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Abschiebung: Könnten Straftäter bald nach Syrien abgeschoben werden?


Nach Attentat von Solingen
Warum Abschiebungen nach Syrien so schwer sind

Von dpa, fho

28.08.2024Lesedauer: 4 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:240515-935-100194Vergrößern des BildesBundespolizisten bei einer Abschiebung: Derzeit werden keine Personen von Deutschland aus nach Syrien abgeschoben. (Quelle: Boris Roessler/dpa)

Seit dem Attentat in Solingen durch einen jungen Syrer hat die Debatte um Abschiebungen Fahrt aufgenommen. Doch wie ist die Rechtslage und die Situation vor Ort?

Der Anschlag in Solingen hat die Debatte um Sicherheit und Migration neu entfacht. Tatverdächtig ist ein 26-jähriger Syrer, der mutmaßlich aus islamistischen Motiven handelte. Nun ruft unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz nach Möglichkeiten, abgelehnte Asylbewerber wieder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben – auch wenn im konkreten Fall eine Abschiebung nach Bulgarien scheiterte. Darüber hinaus wurden Forderungen nach einem generellen Aufnahmestopp laut.

t-online gibt einen Überblick über die aktuelle Lage.

Schiebt Deutschland bislang nach Syrien ab?

Nein. Die Bundesrepublik schiebt derzeit nicht nach Syrien ab. Doch schon seit dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim Ende Mai wird über neue Maßnahmen diskutiert.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern in Länder wie Syrien oder Afghanistan wieder zu ermöglichen. Gefährder sind Menschen, denen die Sicherheitsbehörden schwerste politisch motivierte Straftaten bis hin zum Terroranschlag zutrauen. Verurteilte Straftäter sollen nach früheren Angaben vor einer möglichen Abschiebung einen Großteil ihrer Strafe hierzulande abgesessen haben. Allerdings unterhält Deutschland derzeit keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban-Machthabern in Kabul noch zur Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

Überlegt wird in der Bundesregierung, ob Rückführungen über Nachbarstaaten möglich wären. Zumindest mit Usbekistan hat es schon Gespräche gegeben. Details will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Gespräche nicht nennen.

Im konkreten Fall des mutmaßlichen Täters von Solingen, Issa al-Hassan, scheiterte die Abschiebung – allerdings nach Bulgarien. Eine Abschiebung nach Syrien stand hier nicht im Raum. Bulgarien war das erste EU-Land, in das er eingereist war und nach dem Dublin-Abkommen hätte er deshalb dort Asyl beantragen müssen. Da er den geltenden Fristen dafür entging, wurde ihm in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt.

Wie ist die Rechtslage?

Uneindeutig. "Hier kommt es auf die Gefahreneinschätzung durch die zuständigen Behörden und Gerichte an", sagt der Rechtswissenschaftler Winfried Kluth vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) der Deutschen Presse-Agentur. "Bei diesem Thema wird seit einiger Zeit geprüft, ob es ausreicht, wenn einzelne Landesteile (zumindest für bestimmte Personengruppen) als sicher eingestuft werden können."

Hier gehen die Einschätzungen jedoch auseinander. Das Auswärtige Amt sieht insbesondere in Syrien nach wie vor große Sicherheitsprobleme. Die Rechtsprechung deutscher Gerichte ist nicht einheitlich. Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das feststellte: "Für Zivilpersonen besteht in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts mehr."

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) argumentierte im RBB-Inforadio, in Einzelfällen seien Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan bereits möglich, wenn auch "nicht trivial". Sie verteidigte die Lageberichte ihres Ministeriums als Entscheidungshilfe, die die Lage vor Ort anhand von Berichten und Fakten darstellten. "Daran kann man sich orientieren als Gericht, daran kann man sich orientieren als Landesregierung. Niemand muss sich daran orientieren an den Fakten, die wir beschreiben."

Was sagt Justizminister Buschmann zu den Forderungen?

Justizminister Marco Buschmann hält Abschiebungen nach Syrien für möglich. Die Regierung müsste die Position aufgeben, nicht mit den Taliban oder der syrischen Regierung zu reden.

Einen Aufnahmestopp von asylsuchenden Syrern und Afghanen lehnt er hingegen ab. "Dass wir pauschal für die ganze EU oder Deutschland sagen, dass wir bestimmte Menschen gar nicht mehr aufnehmen, das ist ein rechtliches Problem", sagte der FDP-Politiker im ARD-Morgenmagazin. "Ich finde, wir müssen über die Menge reden, wir müssen über die Verteilung in Europa reden, wir müssen über den Schutz der Außengrenzen reden, aber wir können nicht einfach sagen, niemand darf mehr zu uns kommen."

Eine immer wieder diskutierte, aber schwierig umzusetzende Alternative wären Abschiebungen in Drittstaaten. Großbritannien war mit seinem Ruanda-Modell in dieser Hinsicht vorgeprescht, doch bislang gilt dieses vor allem als teuer und wenig effektiv.

Wie ist die Situation aktuell in Syrien?

In Syrien sind die großen Kämpfe aus den Jahren des Bürgerkriegs vorbei, eine Aussicht auf Frieden gibt es aber bis heute nicht. Der Konflikt begann 2011 mit Protesten gegen Präsident al-Assad. Dessen Regierung kontrolliert heute etwa zwei Drittel des faktisch geteilten Landes, unterstützt vom Iran und Russland. Die Türkei hält Gebiete im Norden besetzt. Den Nordosten kontrollieren arabische und kurdische Milizen, unterstützt von im Land stationierten US-Soldaten. Idlib im Nordwesten beherrscht die radikal-islamische HTS-Miliz. Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Mit Blick auf eine Rückkehr von Flüchtlingen kann heute wohl kein Teil des Landes als sicher bezeichnet werden. Nach Einschätzung der EU und des UN-Flüchtlingshilfswerks ist die Lage in den Regierungsgebieten "nicht förderlich für eine sichere Rückkehr". Demnach werden Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr dort unter anderem für das Militär zwangsrekrutiert, willkürlich verhaftet, gefoltert oder sind körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt.

Auch andere de-facto-Behörden sowie bewaffnete Gruppen verüben dem UN-Menschenrechtsbüro zufolge schwere Menschenrechtsverletzungen an zurückkehrenden Flüchtlingen. Manche seien entführt worden oder verschwunden, berichtet das Büro, anderen seien Geld und Besitztümer abgenommen worden.

Auch im kurdisch verwalteten Nordosten gibt es Vorwürfe, dass die als SDF bekannten Streitkräfte Menschen etwa körperlich misshandeln, zu Unrecht festnehmen oder Kinder als Soldaten rekrutieren. In dieser Region wird auch ein Wiedererstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) befürchtet, zumal hier Zehntausende IS-Mitglieder und deren Familienangehörige in Gefängnissen und Lagern sitzen. Die Sorge ist auch, dass die Türkei hier eine neue Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG beginnen könnte, die sie als Terrororganisation einstuft.

Wie gehen andere Länder damit um?

Schweden wurde in den vergangenen Tagen von mehreren Politikern als Vorbild beim Thema Abschiebungen ins Feld geführt. Doch auch das skandinavische Land hat Probleme. Das "Handelsblatt" berichtet, dass Schweden in diesem Jahr noch keine Abschiebungen in unsichere Länder wie Syrien oder Afghanistan durchgeführt hat.

Nach Angaben der schwedischen Einwanderungsbehörde wurden die Abschiebungen zwar nicht offiziell gestoppt, aber sie seien in der Praxis schwierig durchzuführen. Probleme bereiten den Behörden dabei die fehlenden Papiere der straffälligen Asylbewerber, ohne die keine Flugtickets ausgestellt werden können. Das ist umso wichtiger, wenn es Transitflüge sind.

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