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Wagenknecht-Wahlkampfauftakt in Thüringen | "Ich wähle AfD oder BSW"


Wagenknecht in Eisenach
Als sie richtig loslegt, läuten die Glocken


Aktualisiert am 20.08.2024Lesedauer: 5 Min.
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Alle wollen ein Selfie mit ihr: Sahra Wagenknecht beim Wahlkampf in Eisenach. (Quelle: Karina Hessland/reuters)

In Thüringen gibt es laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei zwischen BSW und CDU. In Eisenach macht Sahra Wagenknecht zum Wahlkampfendspurt Stimmung.

Es wird laut, als sie gegen 17.50 Uhr endlich die Bühne betritt. Die Besucher rücken weiter nach vorn und heben die Handys, um Fotos zu machen. Fotos von Sahra Wagenknecht. Der Star ist da, könnte man meinen. Und mit ihm der große Ärger über alles, was im fernen Berlin so passiert.

In weniger als zwei Wochen stimmen die Thüringer über einen neuen Landtag ab. Das Bundesland gilt spätestens seit der jüngsten Wahl als schwer regierbar – weil die politischen Ränder hierzulande besonders stark sind und nur wenige Koalitionen realistisch erscheinen. Gern schaltet sich in diesem Schlussspurt auch das Spitzenpersonal aus Berlin ein.

So auch Wagenknecht am Montag in Eisenach. Das Aufsehen vor Ort: immens. Fast 400 Menschen sind bei der Veranstaltung zugegen. Wohl mit ein Grund für die Neugier: Es ist nicht ausgeschlossen, dass das erst am Jahresanfang gegründete "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) direkt an einer Regierung beteiligt sein wird. Und damit auch Ministerinnen und Minister stellen könnte.

Zusammenarbeit mit der AfD?

Zwei dieser potenziellen Minister waren in Eisenach dabei und gaben sich kämpferisch. Neben Wagenknecht interessieren sich viele vor allem über die Spitzenkandidatin Katja Wolf und ihre Haltung zu einem möglichen Bündnis mit der AfD unter Björn Höcke, die in Thüringen als gesichert rechtsextrem gilt. Wolfs Haltung zu einer potenziellen Zusammenarbeit? Nein, soll es nicht geben, aber ...

Eisenach wirkt zum Wochenanfang frisch herausgeputzt. Historische Gebäude säumen den Marktplatz, alle in äußerlich bestem Zustand. Die Sonne scheint auf die imposante Georgenkirche, davor plätschert im Georgsbrunnen gemächlich das Wasser. Die Eisenacher schlecken "ehrliches Eis", so nennt es der Eisladen, oder sie essen eine Gabelspitze der Bio-Tarte des örtlichen Cafés. Andere schlendern durch die belebten Straßen der Altstadt. Probleme sind an diesem Nachmittag auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Die Thüringer sehen Probleme

Doch neben den Klamottenständen, die auf dem Marktplatz aufgestellt sind, steht mittlerweile auch die Bühne, auf der Sahra Wagenknecht am frühen Abend auftreten wird. Der Stargast des BSW, der die Spitzenkandidaten für die thüringische Landtagswahl, Katja Wolf und Steffen Schütz, unterstützen soll. Und die Menschen, die sich hier vor der Bühne schon eingefunden haben – die sehen Probleme. Und zwar nicht zu knapp.

Nur haben die meist nichts mit der Landespolitik zu tun. Thema Nummer eins: Waffenlieferungen an die Ukraine. Alle Besucher, mit denen t-online vor Beginn des Auftritts spricht, blicken mit wenig Verständnis auf die militärische Unterstützung des Landes, das von Russland überfallen wurde. Der Krieg müsse beendet, die Waffenlieferungen eingestellt werden. "Und Sahra Wagenknecht spricht es eben aus, was das Volk denkt", sagt ein Besucher, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Waffenlieferungen verlängern das Leid."

Von den BSW-Spitzenkandidaten Katja Wolf und Steffen Schütz haben auf dem Eisenacher Marktplatz bislang nur die wenigsten etwas gehört. Die meisten sind wegen Wagenknecht selbst hergekommen. Und sie sind unzufrieden. Mit "Habecks Heizungsgesetz", der Migrationspolitik der Bundesregierung und dem niedrigen Mindestlohn. Auf die Frage, was sie vom BSW konkret in Thüringen erwarten, wissen viele keine Antwort. Doch wenn sie Wünsche von der Landespolitik haben, dann nach mehr Lehrern und weniger Bürokratie.

"AfD oder BSW"

Was sie wählen wollen? "AfD oder BSW", antworten die meisten. Viele sind noch unsicher. Eine Koalition der beiden Parteien? Fänden viele nicht schlecht. "Wenn die gemeinsam gute Lösungen finden, bin ich damit glücklich", sagt Gerhard Hofmann, selbst ehemaliges CDU-Mitglied und heute wegen Wagenknecht hier. "Enttäuschtes ehemaliges CDU-Mitglied", hat er hinterher geschoben.

Nach rechts hatten sich Steffen Schütz und Katja Wolf aber eigentlich frühzeitig abgegrenzt. Keine Zusammenarbeit mit der AfD, das verkündeten sie direkt nach ihrer Wahl auf die Spitzenplätze der Landesliste. Und dass Wolf das ernst meint, das hatte sie im Laufe ihrer politischen Karriere schon demonstriert. Sie ist ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach und musste vor wenigen Monaten noch neue AfD-Stadträte verpflichten – sie verweigerte ihnen den Handschlag.

Ob sie die Ablehnung als mögliche Abgeordnete im thüringischen Landtag so weiter fortführen kann oder will, muss sich erst zeigen, wie auch während ihrer Rede deutlich wird. Sie kündigt nämlich an, nicht per se AfD-Initiativen im Parlament abzulehnen. Auf Nachfrage sagt sie allerdings: "Ich habe es in 15 Jahren in der Stadt Eisenach nicht mitbekommen, dass die AfD einen sinnvollen Antrag eingebracht hat."

Stimmen für AfD-Anträge?

Aber wenn es so weit kommen sollte, dann werde man nicht aus prinzipiellen Gründen behaupten, der Antrag sei "Quatsch und einen nahezu wortgleichen neuen schreiben", so wie es derzeit eingeübte Praxis sei. Auf die konkrete Frage, ob das BSW also für AfD Anträge stimmen würde, gibt sie keine Antwort.

Nachdem Steffen Schütz und Katja Wolf auf der Bühne dem ehemaligen MDR-Moderator Steffen Quasebarth, jetzt BSW-Mitglied und auf Listenplatz 3, Rede und Antwort gestanden haben, folgt für viele Besucher der Höhepunkt der BSW-Show: Sahra Wagenknecht.

Und sie spürt, was die Besucher hören wollten. Keine Landespolitik. Sondern Schimpfen auf die Ampel. Die hätte "keinen Plan" vom Regieren. Es werde keine "Politik für die Menschen" gemacht und die Politiker in Berlin, zu denen sie selbst gehört, wüssten gar nicht mehr "was auf deutschen Straßen" passiere. Es ist ein Heimspiel für die gebürtige Thüringerin. Die derzeitige politische Lage vergleicht sie mit der Endphase der DDR.

"Die Meinungsfreiheit ist beschnitten, wir werden dazu gezwungen, was wir denken sollen", ruft sie auf dem Marktplatz ins Mikrofon. Zeitgleich gehen um 18 Uhr die Glocken der Georgenkirche los. "Und wir haben sogar kirchlichen Segen", ergänzt sie und bekommt lauten Applaus.

Vergleich mit Martin Luther

Dazu passt es, dass Wagenknecht ein weiteres religiöses Bild bemüht. Sie vergleicht das Bündnis Sahra Wagenknecht mit der Reformationsbewegung. Das sei eine Zeit der Veränderung in Deutschland gewesen: "Wir brauchen zwar heute keine religiöse Reformation, aber eine Reform der Politik“, sagt Wagenknecht, die sich offenbar in der Tradition von Martin Luther sieht.

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Auch "Vorurteile gegen den Osten" nutzt Sahra Wagenknecht, um die Stimmung anzuheizen. Sie hätte gerade mit Journalisten gesprochen, die gefragt hätten: "Warum wählt der Osten denn so komisch?" Weil der Osten verstanden habe, dass in Berlin etwas falsch laufe, beantwortet sie die Frage selbst. Großer Applaus.

Am Ende der Veranstaltung muss Wagenknecht zuerst unzählige Selfies mit den Besuchern und ihrem Mann Oskar Lafontaine machen, dann noch in einem kleinen Pressezelt den zahlreichen Journalisten Fragen beantworten. Als die zwei Satiriker der ZDF-"Heute Show" Wagenknecht ihre Dienste für das BSW anbieten und vorschlagen, es genau wie Wagenknecht im Bundestag zu machen, nämlich "selten vor Ort zu sein, aber das Geld einkassieren", zieht ihr Mann sie Richtung Auto.

Am Dienstag ist der nächste Termin in Altenburg.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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