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Bürgergeld-Debatte: Wie viele "Totalverweigerer" gibt es wirklich?


Nach Linnemann-Kritik
So viele "Totalverweigerer" beim Bürgergeld gibt es wirklich

Von t-online, mak

29.07.2024Lesedauer: 4 Min.
Carsten Linnemann (CDU): Um seine Forderung war eine Debatte entbrannt.Vergrößern des BildesCarsten Linnemann (CDU): Um seine Forderung war eine Debatte entbrannt. (Quelle: Rolf Poss/imago)

CDU-General Linnemann sorgt derzeit mit seiner Forderung für Wirbel, arbeitsunwilligen Bürgergeld-Empfängern die Grundsicherung zu streichen. Doch wie viele "Totalverweigerer" gibt es tatsächlich?

Streit ums Bürgergeld: Für seine Forderung, vermeintlich arbeitsunwilligen Empfängern des Bürgergeldes die Grundsicherung komplett zu streichen, erhält CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Gegenwind vom Sozialflügel der eigenen Partei.

"Die Forderung von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht an der Wirklichkeit vorbei", kritisierte der Vizevorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler. "Wer für die Jobcenter nicht erreichbar ist, hat häufig psychische Probleme." Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen, sei jedenfalls mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, so Bäumler.

Zuvor hatte Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt: "Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen." In diesem Fall müsse der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig sei. Doch wie viele "Totalverweigerer" beim Bürgergeld gibt es wirklich?

226.000 Fälle von Leistungskürzungen

Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit sagte der "Tagesschau" bereits im Frühjahr, dass man keine genauen Zahlen zu "Totalverweigerern" habe. "Wir können statistisch nicht auswerten, wie oft eine Minderung festgestellt wurde, weil jemand eine Arbeit abgelehnt hat", so der Sprecher weiter.

Statistisch erfasst werde aber der Minderungsgrund "Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses", bei dem auch Weiterbildungen und Qualifikationen berücksichtigt werden. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es zwischen Februar und Dezember 2023 insgesamt knapp 16.000 solcher Fälle. Für Januar 2023 liegt demnach keine Differenzierung nach Gründen vor.

Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr mehr als 226.000 Fälle von Leistungskürzungen – das entspricht einem Anstieg von 77.520 Fällen gegenüber dem Vorjahr. Es kann aber auch sein, dass einem Leistungsempfänger das Bürgergeld mehrfach gekürzt wird, was die Fälle in der Statistik erhöht. Die meisten Kürzungen (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil Leistungsbezieher ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.

"Generell lässt sich feststellen, dass zuletzt mehr als 80 Prozent der Minderungen wegen Meldeversäumnissen festgestellt werden", so der Sprecher der Arbeitsagentur zur "Tagesschau" weiter. Solche Meldeversäumnisse entstehen etwa, wenn Bürgergeldempfänger wichtige Termine beim zuständigen Träger, bei ärztlichen oder psychologischen Untersuchungen versäumen, ohne einen nachvollziehbaren Grund anzugeben.

"97 von 100 Menschen kommen mit Leistungsminderungen nicht in Berührung"

Rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland erhalten Bürgergeld, davon gelten 3,9 Millionen als erwerbsfähig. Die Arbeitsagentur weist darauf hin, dass etwa 2,6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Jahr 2023 von mindestens einer Kürzung betroffen waren. "Damit kommen 97 von 100 Menschen mit Leistungsminderungen nicht in Berührung", heißt es von der Arbeitsagentur weiter.

Bei den "Totalverweigerern" kommt man nach Berechnungen von t-online nur auf einen Prozentsatz von 0,4 Prozent. Zumindest, wenn man die Daten der Monate Februar bis Dezember 2023 zugrunde legt. Die Rechnung sieht folgendermaßen aus: In absoluten Zahlen waren es 15.774 Fälle von "Totalverweigerern" (siehe oben), geteilt durch rund 3,9 Millionen erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger.

Rechnet man den Anteil auf das gesamte vergangene Jahr hoch, kommt man auf eine absolute Zahl von rund 17.000 "Totalverweigerern". Die Quote liegt entsprechend bei etwa 0,44 Prozent – ist also verschwindend gering. Beachten Sie jedoch, dass diese Rechnung stark vereinfacht ist.

Diskussion über Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge

Die Debatte dreht sich derweil auch um ukrainische Flüchtlinge, die in Deutschland Bürgergeld beziehen. CDU-General Linnemann kritisierte die Regelungen scharf. "Die Ukrainer verteidigen auch unsere Freiheit. Aber wenn es eine Leistung gibt, ist sie mit einer Gegenleistung verbunden. Dazu zählt, eine Arbeit aufzunehmen." Hier fehlten "ganz klar" entsprechende Anreize. Ausnahmen sieht er bei Alleinerziehenden oder Menschen, die Angehörige pflegen.

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (heute Bürgergeld) erhalten – anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich Bund und Länder damals verständigt. Begründet wurde die Änderung auch damit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und keine Entscheidung abwarten müssen, wie es bei Asylbewerbern der Fall ist.

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Im März 2024 bezogen laut Angaben der Bundesregierung rund 722.000 Flüchtlinge aus der Ukraine Bürgergeld in Deutschland. Davon wurden 506.000 als erwerbsfähig eingestuft und erhielten entsprechende Leistungen, während 216.000 als nicht-erwerbsfähig galten, in den meisten Fällen Kinder.

CSU: Arbeitsverweigerer in die Ukraine zurückschicken

Von den rund 500.000 Erwerbsfähigen zählen 186.000 als arbeitslos, schreibt der "Tagesspiegel" unter Verweis auf Daten der Arbeitsagentur. Die meisten der 500.000 Erwerbsfähigen haben jedoch einen anderen Status:

So befinden sich nochmals etwa 186.000 ukrainische Flüchtlinge bereits in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme, heißt es weiter. Damit ist etwa eine Eingliederung in den Betrieb oder eine Umschulung gemeint. Weitere knapp 19.000 stockten mit dem Bürgergeld auf, schreibt der "Tagesspiegel", und weitere 61.000 Flüchtlinge gingen zur Schule oder machten eine Ausbildung. Wie viele "Totalverweigerer" es indes unter ukrainischen Flüchtlingen gibt, steht nicht fest.

Die CSU hatte Ende Juni gefordert, Kriegsflüchtlinge in die Ukraine zurückzuschicken, wenn sie in Deutschland keine Arbeit annehmen. "Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine", sagte der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, der "Bild am Sonntag". Von SPD und Grünen kam Protest, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) teilte die Sicht auf das Problem. Ein Zurückschicken wäre laut Bundesinnenministerium nicht ohne Weiteres möglich.

Lohnt sich Arbeiten noch?

Bereits Anfang des Jahres hat das Münchner Ifo-Institut in einer vielfach beachteten Studie durchgerechnet, inwiefern sich Arbeit in Deutschland noch lohnt. Das Ergebnis: "Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als Nichtstun."

Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, widersprach damals der Kritik am Bürgergeld: "Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch."

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