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Terror, Hochwasser, Krieg: Olaf Scholz legt den Schalter um


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Regierungserklärung des Kanzlers
Scholz legt den Schalter um


06.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Olaf ScholzVergrößern des Bildes
Der Kanzler umschließt sein Redemanuskript mit beiden Händen: "Ohne Sicherheit ist alles nichts." (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa-bilder)
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Islamistischer Terror, Hochwasser, Russlands Krieg: Der Kanzler sieht Deutschlands Sicherheit von innen und außen bedroht. Wenige Tage vor der Europawahl legt Olaf Scholz den Schalter um. Zu spät?

Olaf Scholz beginnt seine Regierungserklärung eher ungewöhnlich: "Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Viele in unserem Land warten voller Spannung auf diesen Sommer." Der Kanzler meint die Heim-EM der Fußballnationalmannschaft; er sei überzeugt, Deutschland werde sich dabei "von seiner besten Seite zeigen".

Islamistischer Terror in Mannheim, reißende Fluten in Süddeutschland, Russlands grausame Gleitbombenangriffe auf die Ukraine – angesichts der vielen Krisen im Moment könnte man kritisch einwenden: Warum redet der Bundeskanzler in so einer ernsten Lage vom Fußball? Das ist natürlich kein Zufall, doch dazu gleich mehr.

Denn der eigentliche Schwerpunkt der Kanzlerrede ist ein anderer: das Sicherheitsgefühl der Bürger in Deutschland, das zuletzt durch mehrere Ereignisse erschüttert wurde. Scholz sieht dabei vor allem drei große Ursachen: das islamistische Attentat in Mannheim, das Hochwasser in Süddeutschland und Russlands neue Offensive in der Ukraine.

Erodierende Sicherheit im Land

Der Kanzler räumt ein, dass zwar zwischen diesen Entwicklungen kein direkter Zusammenhang bestehe, aber "sie beschäftigen uns alle". Völlig zu Recht wollten die Bürger wissen, wie die Lage sei und was die Bundesregierung unternehme, sagt Scholz. Die "wichtigste Antwort" darauf sei: "Jede und jeder muss in unserem Land ohne Furcht vor seinen Mitmenschen leben können." Das sei das zentrale Versprechen des Rechtsstaats, und man setze es "mit aller Macht" durch.

Zunächst geht es Scholz um die innere Sicherheit: Der Kanzler beschreibt in – für seine Verhältnisse – scharfen Worten das Terrorattentat in Mannheim, bei dem ein afghanischer Islamist den Polizisten Rouven L. getötet hatte. "Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", sagt Scholz und verkündet damit eine Wende. "Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren", so der Kanzler weiter.

Der neue Abschiebe-Kurs des Kanzlers war schon im Vorfeld erwartet worden. Damit bricht der Kanzler ein bisheriges Tabu, das Abschiebungen nach Afghanistan verhinderte. Teile der Opposition und die FDP haben schon lange gefordert, Abschiebungen von Schwerstkriminellen auch nach Afghanistan zu erlauben. Doch bisher blockierten SPD und Grüne, mit Verweis auf die dortige Sicherheitslage.

Der "Null Toleranz"-Kanzler

Zwar hat sich die Lage im Taliban-regierten Afghanistan nicht sonderlich geändert, dafür aber die politische Stimmung in Deutschland. Der Aufschrei nach dem Attentat von Mannheim ist nur der jüngste Pendelausschlag einer sich schon länger ausbreitenden gesellschaftlichen Stimmung. Insgesamt 234.000 Ausreisepflichtige leben in Deutschland, davon 46.000 ohne Duldung. Immer wieder scheitern Abschiebungen an rechtlichen Hürden.

Der sozialdemokratische Kanzler hat das anerkannt und versucht nun, vor die Welle zu kommen. Ob er das schafft oder damit zu spät kommt, muss sich zeigen. Scholz kündigte zudem härtere Abschieberegeln an, etwa für Personen, die terroristische Straftaten verherrlichen. Auch warb er für die Ausweitung von "Messerverbotszonen" in Hotspots und bei Großveranstaltungen.

Neues rhetorisches Arsenal

Scholz schlug in seiner Rede nicht nur konkrete Maßnahmen vor, sondern war auch sichtlich bemüht, rhetorisch neue Akzente zu setzen. So mahnte er etwa, es gebe kein "Faustrecht" in Deutschland. Wer als Schutzsuchender seinen Status ausnutze, wie der Täter von Mannheim, verwirke diesen Schutz. "Da gibt es Null Toleranz", so Scholz.

Faustrecht, Null Toleranz, Messerverbotszonen – es sind Begriffe, die eigentlich aus dem rhetorischen Werkzeugkasten der Union stammen und derer sich Scholz hier bewusst bedient ("Faustrecht" wird auch später CDU-Chef Friedrich Merz in seiner Rede verwenden). Ob das die Bürger so kurz vor der Wahl überzeugt? Fraglich. Die meisten dürften sich daran erinnern, dass es unter anderem die SPD war, die noch vor einem Jahr Abschiebungen nach Afghanistan verhinderte.

"Unser Land funktioniert"

Auch die dramatische Hochwasserlage in Bayern und Baden-Württemberg bedroht das Sicherheitsempfinden in Deutschland, so die Diagnose des Kanzlers. Scholz spricht von "Naturgewalten, wie sie sich niemand vorstellen konnte", und dem menschengemachten Klimawandel als größter globaler Herausforderung. Doch Scholz spricht auch von einer "Flut von Hilfsbereitschaft", bei der Zehntausende Helfer im Einsatz gewesen seien und auch der Bund "mit allen seinen Kräften" geholfen habe.

Scholz möchte, dass auch in dem für die Betroffenen größten Unglück eine Botschaft nicht verloren geht: "So ist Deutschland. Wir sind stark, weil wir zusammenhalten." Der Kanzler würdigt zudem das Zusammenspiel von Rettungskräften und Behörden in der Not. "In den vergangenen Tagen hat sich wieder gezeigt: Unser Land funktioniert." Was Scholz meint: Seine Kanzlerschaft funktioniert.

Neue Befugnisse für Kiew bei Gegenangriffen

Scholz widmet den letzten Teil seiner 25-minütigen Regierungserklärung der äußeren Sicherheit. Diese ist aus Sicht des Kanzlers vor allem durch die imperialistischen Ambitionen von Kremlchef Wladimir Putin bedroht. Russlands Offensive gegen die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine, bei der es zu brutalen Gleitbombenangriffen auf ukrainische Städte kommt, hatte den Westen zuletzt zu einem Kurswechsel genötigt.

Fortan erlauben die Nato-Staaten der Ukraine, bei der Verteidigung gegen solche Angriffe im russischen Grenzgebiet auch westliche Waffensysteme einzusetzen. Ein deutsches Flugabwehrsystem Patriot kann also künftig einen russischen Kampfjet über russischem Gebiet abschießen, sollte der gerade eine Rakete Richtung Ukraine tragen.

Eine Kehrtwende, die der Kanzler nun erstmals öffentlich verteidigt. Damit ändert er nicht nur den bisherigen Kurs seiner Regierung, sondern legt auch zeitweise sein Rolle als Friedenskanzler ab. Scholz betont zwar, dass es seine "absolute Priorität" sei, Deutschland nicht in einen Krieg hineinzuziehen, doch er bleibt hierbei vergleichsweise schmallippig.

Die Metamorphosen des Kanzlers

Damit vollzieht der Kanzler eine weitere Wandlung in diesem Wahlkampf. Seit Monaten inszeniert sich Scholz bei öffentlichen Auftritten als Friedenskanzler. "Frieden sichern – auf Olaf Scholz kommt es an", steht etwa auf einem SPD-Wahlplakat, das suggeriert, dass nur der Kanzler Deutschland vor einem Krieg bewahren könne.

Doch diese Erzählung passt kaum zur jetzigen Ukraine-Wende. Und auch anlässlich der jüngsten innenpolitischen Ereignisse scheint die Erkenntnis im Kanzleramt zu reifen: Friedensappelle alleine reichen nicht. Nun also der Sicherheitskanzler. Des Kanzlers nächste Häutung.

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Auch wenn Scholz' Metamorphose nicht über Nacht kommt und er sein "Ohne Sicherheit alles nichts"-Diktum etwa schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar benutzte: Scholz hat in seiner Bundestagsrede einen neuen Ton angeschlagen, wenige Tage vor einer wichtigen Wahl.

Regierungserklärung als Wahlkampfrede

Seine Regierungserklärung war damit also auch zumindest in Teilen eine Wahlkampfrede. Nur so wird auch verständlich, warum Scholz angesichts der ernsten Themen immer wieder Bezüge zur bald beginnenden Fußball-EM einbaut. Etwa, wenn er die Erfolge der deutschen Integrationspolitik betont, indem er auf die Migrationsgeschichte vieler EM-Spieler verweist ("Es sind alles unsere Jungs"). Oder wenn er den Bürgern zuruft: "Lassen Sie sich die Vorfreude auf dieses Fußballfest nicht nehmen."

Scholz hofft offenbar, dass der Fußball bewirkt, was seine unbeliebte Regierung aus eigener Kraft nicht herzustellen vermag: Zuversicht. Die Heim-EM als Deus ex Machina: eine Kraft, für die der Kanzler nichts kann, zu der er nichts beigetragen hat – die ihm aber trotzdem helfen könnte.

Ein zweites Sommermärchen?

Ob Deutschland ein zweites Sommermärchen erlebt, das, wie damals die WM 2006, der Regierung aus der Depression hilft, ist eine riskante Wette. Viel entscheidender ist, ob der Kanzler sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf ziehen kann. Kann er, nach dieser Rede?

Vielleicht ein bisschen. Es ist nicht auszuschließen, dass Scholz ein paar unentschiedenen Wählern kurz vor der Europawahl am Sonntag etwas zurückgegeben hat, was zuletzt tief erschüttert wurde: das Gefühl, sicher in Deutschland leben zu können. Ob ein paar warme Worte und Einzelmaßnahmen allerdings ausreichen, wird sich in wenigen Tagen zeigen. Noch sehen Umfragen die Kanzlerpartei bei mageren 14 Prozent.

Verwendete Quellen
  • Regierungserklärung von Olaf Scholz
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