Diskussion nach Messerangriff Warum Deutschland niemanden nach Afghanistan abschiebt
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim werden Forderungen laut, Straftäter nach Afghanistan abschieben zu können. Doch ist das überhaupt möglich?
Ein Asylgesuch wurde bei Sulaiman A. abgelehnt – und das schon vor zehn Jahren. So berichten es mehrere Medien übereinstimmend. Trotzdem wurde der Mann bis heute nicht nach Afghanistan abgeschoben. A. wurde am vergangenen Freitag festgenommen, nachdem er in Mannheim einen Polizisten mit einem Messer getötet und mehrere Menschen schwer verletzt haben soll. Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen: Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lägen bei dem mutmaßlichen Täter klare Hinweise auf ein islamistisches Motiv vor.
- Nach Messerattacke in Mannheim: Grüne warnen FDP
Seitdem wird in der Politik heftig darüber gestritten, ob Deutschland künftig auch Abschiebungen nach Afghanistan durchführen sollte – und ob die Behörden bei der Behandlung von A. zu lange untätig waren. Doch warum schiebt Deutschland bisher keine Menschen nach Afghanistan ab? Und: Ließen sich die Bestimmungen überhaupt so leicht ändern?
Nach dem Angriff in Mannheim pocht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf eine schnelle Entscheidung. Sie lasse seit mehreren Monaten "sehr intensiv" prüfen, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder ermöglicht werden könnten, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Berlin. Dabei verwies sie auf eine einheitliche Haltung der Innenminister von Bund und Ländern in dieser Frage.
"Für mich ist klar, dass Personen, die eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit Deutschlands sind, schnell abgeschoben werden müssen. Und da bin ich auch ganz entschieden, die Sicherheitsinteressen Deutschlands überwiegen hier eindeutig gegenüber den Bleibeinteressen von Betroffenen." Es gehe sowohl um Abschiebungen nach Afghanistan als auch nach Syrien. In der Ampelregierung ist dies aber wegen des Widerstands der Grünen umstritten.
Abschiebeverbot ohne Ausnahmen
Tatsächlich beschäftigten sich die Behörden schon länger mit dem Umgang von ausländischen Straftätern und möglichen Abschiebungen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags hatten erst im April ein Papier zu der Sachlage veröffentlicht, nachdem die Innenministerkonferenz bereits im vergangenen Dezember das Innenministerium aufgefordert hatte, Möglichkeiten zu Abschiebungen in den Ländern zu prüfen.
Aktuell gilt für beide Länder ein Abschiebeverbot: Generell ist es unzulässig, Menschen in Länder abzuschieben, in denen sie etwa um sein Leben fürchten müssen oder ihnen Folter drohen könnte. Dabei ist es auch unerheblich, ob die entsprechende Person in Deutschland eine Straftat begangen hat oder nicht.
Gleichzeitig geht aus dem Papier hervor, dass die Bundesregierung auch praktisch aktuell keine Möglichkeiten sieht, Personen in die beiden Länder abzuschieben: Deutschland erkennt etwa die De-facto-Regierung in Kabul seit der Machtübernahme der Taliban nicht an. In Syrien führt weiter der Machthaber Baschar al-Assad einen Krieg gegen das eigene Volk. Dementsprechend sei die Sicherheitslage in beiden Ländern nicht gegeben, um Abschiebungen durchführen zu können.
Keine Ausreisepflicht bei A.
Ähnlich bewerten auch andere EU-Staaten die Lage, darunter Dänemark, Griechenland, Estland und Lettland. Einen etwas anderen Weg geht dagegen Schweden: Grundsätzlich hält die Regierung dort Abschiebungen nach Afghanistan für möglich, allerdings nur für Männer. 2023 wurden demnach fünf Menschen zwangsweise in das Land abgeschoben, zwei davon wegen begangener Straftaten. Zudem wurden 229 Afghanen in andere Länder abgeschoben. Ebenso wurden fünf Personen nach Syrien ausgewiesen, vier davon wegen Straftaten. Die Regierung in Stockholm vertritt laut dem Papier die Meinung, dass Abschiebungen in gewisse Teilen des Landes trotz des Krieges zulässig sind.
Eine Abschiebung war in dem konkreten Fall von Sulaiman A. allerdings nie vorgesehen: Denn trotz seines abgelehnten Asylgesuchs war der 25-Jährige offenbar nicht ausreisepflichtig. Gegen A. wurde ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich da er 2014 noch minderjährig war, berichte die Deutsche Presse-Agentur unter Bezug auf Sicherheitskreise.
Scholz kündigt Rede an
Das Thema wird in jedem Fall aber die Politik weiter beschäftigten, etwa bei der kommenden Innenministerkonferenz in Hamburg. Die Ministerrunde solle das Bundesinnenministerium bitten, die Sicherheitslage in Afghanistan und in der Region der syrischen Hauptstadt Damaskus neu zu bewerten. "Wir müssen einen Weg finden, für Straftäter, aber auch für Gefährder und islamistische Verfassungsfeinde, Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen", sagte der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD).
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könnte sich am Donnerstag noch ausführlicher zu dem Thema äußern: Im Bundestag wird der Kanzler eine Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage abgeben. Ob der Schwerpunkt innen- oder außenpolitisch sein wird, blieb allerdings offen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- bundestag.de: "Titel: Zu Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien aus Deutschland und ausgewählten EU"
- lto.de: "Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan?"
- welt.de: "Die Akte Sulaiman A. und eine mögliche Spur ins Dschihadisten-Milieu" (kostenpflichtig)