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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mächtige FDP-Frau Wer kommt, wenn sie geht?
Der Abgang von Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach Brüssel hinterlässt eine Lücke im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Wer leitet künftig die Sitzungen? Zwei FDP-Männer konkurrieren um ein mächtiges Amt.
Es dürfte ein schwerer Gang werden für Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Ein letztes Mal geht es für sie am Mittwoch, 9 Uhr, von ihrem Büro im Paul-Löbe-Haus in den Sitzungssaal 2.700, ein letztes Mal leitet sie dort als Vorsitzende das Treffen des Verteidigungsausschusses. Danach ist Schluss, Brüssel ruft. Strack-Zimmermann tauscht die Rolle ihres Lebens gegen ein Mandat im Europäischen Parlament, in das sie als Spitzenkandidatin der Liberalen sicher einziehen wird.
"Ich werde das hier vermissen", sagte Strack-Zimmermann kürzlich im Gespräch mit t-online. "Aber: Niemand ist unersetzlich. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass mein Nachfolger einen guten Job machen wird."
Doch wer wird dieser Nachfolger? Nach t-online-Informationen soll die Entscheidung voraussichtlich am heutigen Dienstag fallen. Da sich der engere Führungskreis der FDP-Fraktion am Montagabend nicht auf einen Namen einigen konnte, soll es laut Deutscher Presse-Agentur zu einer Kampfkandidatur zwischen zwei Abgeordneten kommen: dem verteidigungspolitischen Sprecher der FDP, Alexander Müller, und seinem Vorgänger, Marcus Faber. Beide sind Mitglieder im Verteidigungsausschuss.
Zwei FDP-Männer kämpfen um die Nachfolge
Ebenfalls seinen Hut in den Ring geworfen hatte zunächst auch Nils Gründer, dem aufgrund seines niedrigen Alters von 27 Jahren aber kaum Chancen zugerechnet worden waren. Keinerlei Ambitionen hegt nach t-online-Informationen derweil das vierte Ausschussmitglied neben Strack-Zimmermann und den bereits genannten, Christian Sauter.
Klar ist: Der FDP-Fraktion, die in dieser Legislaturperiode den Chef des Verteidigungsausschusses stellt, bleibt nicht mehr viel Zeit bleibt, um den Posten zu besetzen. Schon nächste Woche Mittwoch soll der neue Ausschusschef die Sitzung leiten.
Es wird ein enges Rennen: Faber und Müller genießen beide einen guten Ruf als versierte Verteidigungspolitiker. Beide sollen zudem ähnlich fit in den Themen sein, auch in ihren Positionen unterscheiden sie sich nicht allzu sehr. Allerdings gelten sie als unterschiedliche Typen. Während Faber immer wieder öffentlichkeitswirksam in Erscheinung tritt, hier und da gezielte Spitzen setzt, gilt Müller als ruhiger, bedächtiger.
Wie mit Strack-Zimmermanns Erbe umgehen?
Innerhalb der Fraktion gibt es deshalb Stimmen, die Faber größere Chancen ausrechnen als Müller. Die Logik lautet: Im nahenden Wahlkampf braucht es einen, der auch mal Lautsprecher sein kann. Nicht ganz so sehr wie Strack-Zimmermann, das war manchmal zu viel des Guten. Doch zu groß sollte der Kontrast zu ihr auch wieder nicht sein. Dafür eignet sich das Feld der Verteidigungspolitik zu sehr, um sich nicht zuletzt in Abgrenzung zur SPD zu profilieren.
Und noch etwas könnte für den 40-jährigen Faber sprechen: der Parteiproporz. Müller nämlich stammt aus Hessen, das zusammen mit dem Saarland und Rheinland-Pfalz innerhalb der Fraktion eine gemeinsame Landesgruppe bildet. Und die mit den Ampelministern Volker Wissing (Digitales und Verkehr) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung und Forschung) bereits zwei Spitzenpositionen hält. Faber hingegen gehört als Vertreter Sachsen-Anhalts der Landesgruppe Ost an, die im Vergleich dazu weniger Top-Posten besetzt.
Müller ist deshalb aber noch längst nicht aus dem Rennen. Im Gegenteil: Aus anderen Teilen der Fraktion wird eine konkurrierende Erzählung gestreut, derzufolge Müller die höheren Chancen haben soll. Gerade weil der Oberstleutnant der Reserve zurückhaltender und diplomatischer auftrete, könnte er am Ende den Segen der Fraktion bekommen. Stabilität und Zuverlässigkeit hätten jetzt Vorrang vor knackigen Posts in sozialen Medien, sagen manche.
Ein neuer Scholz-Gegner?
Viel wird davon abhängen, welches Signal die Fraktion mit der neuen Personalie geben will: Soll der neue Ausschussvorsitzende ebenfalls auf Konfrontation mit dem Kanzler gehen, wie es Strack-Zimmermann zuletzt immer häufiger tat? Oder soll er nach außen diplomatischer auftreten und stärker nach innen wirken, um sich voll und ganz auf die Sacharbeit im Ausschuss konzentrieren?
Denn obwohl in der FDP gerade aus allen Richtungen große Lobeshymnen auf Strack-Zimmermann angestimmt werden: So manch einem Liberalen dürfte ein Stein vom Herzen fallen, wenn die streitbare Politikerin erst einmal in Brüssel ist. Strack-Zimmermann hat durch ihre konfrontative Art viel zusätzlichen Unfrieden in der Ampel hervorgerufen, besonders auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) schien es die Liberale abgesehen zu haben. Zuletzt unterstellte sie dem Kanzler "autistische Züge", wofür sie sich kurz darauf entschuldigte (allerdings nicht bei ihm).
Auch organisatorisch lief unter Strack-Zimmermanns Leitung nicht immer alles glatt: Als t-online im Frühjahr über Details einer geheimen Sitzung des Verteidigungsaussschusses berichtete, kam es zu Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) warf daraufhin Strack-Zimmermann "Sorglosigkeit" vor, da diese über hundert Teilnehmer an einer Geheimsitzung zugelassen habe. Über mehrere Tage eskalierten SPD und FDP den Streit um das Leak.
Hoffnung auf Ruhe – oder die neue Strack-Zimmermann?
Diejenigen in der FDP, die jetzt auf mehr Ruhe und Stabilität im Ausschuss hoffen, erinnern zudem an eine Episode aus dem Mai 2022, als Faber, damals noch verteidigungspolitischer Sprecher der FDP, einen kleinen Eklat auslöste. Faber hatte eine Sitzung des Verteidigungsausschusses, bei der Kanzler Scholz zu seiner Ukraine-Politik befragt wurde, mit drei Kollegen frühzeitig verlassen und hinterher Scholz kritisiert. "Leider wurden viele Antworten nicht gegeben. Ich hoffe, dass wir dies nachholen können", schrieb er später auf der Plattform X.
In der FDP war man über Fabers Vorgehen verärgert, Strack-Zimmermann nannte die Aktion "ungewöhnlich". Später erklärte Faber, dass er nicht aus Kritik am Kanzler, sondern wegen Anschlussterminen früher aus der Sitzung gegangen sei. Doch es half nichts, der innerparteiliche Druck wurde am Ende wohl zu hoch: Faber entschuldigte sich und trat als verteidigungspolitischer Sprecher zurück, Müller übernahm.
Schadet der Eklat von vor zwei Jahren Faber noch immer? Oder ist er rehabilitiert? In der FDP sagen manche, Fabers Fehler von damals sei verziehen. Andere wenden ein, für so ein herausgehobenes Amt agiere Faber einfach zu unüberlegt.
Klar ist: Hinter jeder Erzählung stecken Interessen. Entscheidend ist deshalb auch, was FDP-Fraktionschef Christian Dürr sich von Strack-Zimmermanns Nachfolger verspricht. Dürr hielt sich öffentlich zuletzt bedeckt, für wen er intern werbe. So sehr, dass es manchem Liberalen schon zu lange dauert. "Dürr hat sich lange nicht um die Ausschussnachfolge gekümmert. Jetzt gerät er unter Zeitdruck", beschwert sich ein Liberaler hinter vorgehaltener Hand.
Was sagt die Chefin?
Läuft alles wie geplant, einigt sich die FDP-Fraktion im Laufe des Dienstags auf einen neuen Ausschussvorsitzenden. Im nächsten Schritt muss dann der Verteidigungsausschuss die Personalie wählen, formal obliegt die Entscheidung damit auch den anderen Parteien.
Und für wen wäre die scheidende Chefin? Marie-Agnes Strack-Zimmermann hält sich aus allen Diskussionen heraus. Auf Nachfrage sagt sie nur: "Ich traue das allen Verteidigungspolitikern unserer Fraktion zu. Der Ausschuss wird auch in Zukunft einen starken Vorsitzenden haben und seine Arbeit in gewohnter Weise fortsetzen."
Wer auch immer es wird – die ersten Wochen wird ihr Nachfolger wohl noch zwischen dem eigenen Abgeordnetenbüro und dem Ausschusssekretariat im Paul-Löbe-Haus pendeln müssen. Wie t-online erfuhr, ist der Umzug Strack-Zimmermanns, die fast das gesamte Team ihres Abgeordnetenbüros nach Brüssel mitnimmt, erst für den Juli geplant.
- Eigene Recherche