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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wirtschaftsminister bei Lanz Habeck: "Das wird die teuerste Kilowattstunde Strom"
Der Wirtschaftsminister verteidigt bei "Markus Lanz" seine Energiepolitik. Auch fordert Habeck ein Ende der Naivität im Umgang mit China. Warum kommt der Politiker trotzdem nicht an TikTok vorbei?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erhielt in der Talkshow "Markus Lanz" ausgiebig Gelegenheit, seine Energie- und Klimaschutzpolitik zu erläutern.
Der Grünen-Politiker ging am Dienstagabend im ZDF auch auf die Vorwürfe ein, bei der Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke im April 2023 aus einer ideologischen Ablehnung der Atomkraft heraus gehandelt zu haben oder zum Opfer atomkraftfeindlicher Umtriebe in seinem Ministerium geworden zu sein.
Gäste
- Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
- Marie-Christine Ostermann, Unternehmerin
- Michael Bröcker, Journalist
Der Auftrag für alle sei gewesen, ohne Denkverbote nach einer Lösung zu suchen. Wären die Brennelemente für die Kraftwerke noch leistungsfähig gewesen, hätte er selbst einer Laufzeitverlängerung bis zur Überwindung der Gasmangellage zugestimmt, erklärte Habeck.
Vom Moderator mit einem Mailwechsel aus dem eigenen Hause konfrontiert, in dem der Vorschlag, neue Brennelemente aus Frankreich zu besorgen, rigoros unterbunden wurde, musste der Minister allerdings zugeben, bislang nichts von dem Vorgang gewusst zu haben.
Habeck nimmt Markus Söder ins Visier
"Wir sind doch gut durch die Krise gekommen", verteidigte er stattdessen seinen Kurs. Die Atomkraft habe dabei "ein bisschen geholfen", so Habeck weiter. Allen, die von einer Rückkehr zur umstrittenen Energiegewinnung aus der Kernkraft träumten, erteilte der Grünen-Politiker eine klare Absage. Man müsse dann auch sagen, wo man die Kraftwerke bauen und die Abfälle entsorgen wolle, mahnte das Kabinettsmitglied an und zielte damit vor allem in Richtung des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder.
Auch ökonomisch ergebe eine Rückkehr zur Atomkraft keinen Sinn. "Das wird nicht marktwirtschaftlich funktionieren. Ich wette, es wird kein Unternehmen geben, das ohne staatliche Absicherung, also Subventionen, sagt: 'Ich baue neue Atomkraftwerke'", konterte Habeck die Äußerungen seiner Mitdiskutantin Marie-Christine Ostermann. Die Unternehmerin hatte mit Blick auf die hohen Energiepreise in Deutschland gefordert, über den Wiedereinstieg in die Atomkraft nachzudenken.
Ein weiteres Problem sei die Bauzeit. "In Deutschland brauchen wir 20 Jahre für ein neues Atomkraftwerk, weil wir eben Deutschland sind und bei uns nichts schneller geht", rechnete der Vizekanzler unverblümt vor. Von der Deutschland-Geschwindigkeit, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Jahr noch für alle großen Erneuerungsprojekte in Aussicht gestellt hatte, war in Habecks Gedanken zur Atomkraft nichts zu spüren.
Habeck: "Das wird die teuerste Kilowattstunde Strom"
Den Drang der europäischen Nachbarn zum Ausbau der Atomkraft kommentierte Habeck angesichts ausufernder Kosten am Beispiel Großbritanniens mit den Worten: "Das wird die teuerste Kilowattstunde Strom, die Europa jemals gesehen hat."
Seinen Auftritt bei "Markus Lanz" nutzte Habeck zudem, um eine Änderung des Verhältnisses zu China anzumahnen. "China war im gedanklichen Gerüst Deutschlands und der deutschen Wirtschaft entweder die billige Werkbank oder der große Absatzmarkt", schickte der Minister voraus.
Man sei naiverweise davon ausgegangen, dass das nie machtpolitisch ausgenutzt werde. Zwar könne man sich nicht einfach von China entkoppeln und müsse das Land auch "im demokratischen Gespräch der verschiedenen großen Akteure" halten, aber Naivität verbiete sich, so Habeck. Als Beispiele nannte der Vizekanzler chinesische Investitionen in die kritische Infrastruktur, die Nutzung chinesischer Produkte und den möglichen Datenabfluss in Richtung China im digitalen Bereich.
Lanz setzt Habeck beim Thema TikTok unter Druck
Moderator Markus Lanz nutzte die Gelegenheit, seinen Gast sofort wieder in die Defensive zu bringen, und fragte Habeck, warum dieser dann ausgerechnet der überaus einflussreichen chinesischen Social-Media-Plattform TikTok beigetreten sei.
"Das ist eine Gratwanderung, deshalb habe ich da auch lange drüber nachgedacht", gab Habeck zu. Wir haben mit dem Unternehmen gesprochen, und soweit wir es überprüfen können, gehen unsere Daten nicht nach China", führte das Mitglied der Bundesregierung weiter aus. "Die Sicherheitslinien, die wir eingezogen haben, scheinen mir stark genug zu sein. Also, es ist ausgeschlossen, dass China über meine Tätigkeit bei TikTok jetzt Dienstgeheimnisse über mein Dienstmobiltelefon abgreifen kann", verteidigte sich Habeck.
Die Entscheidung sei angesichts einer jüngst erschienenen Jugendstudie gefallen, der zufolge viele junge Leute ihre politischen Informationen nur noch über TikTok bezögen. "Ich wollte dahin, wo eine Generation, die anders schwer zu erreichen ist, gerade ist", rechtfertigte sich der Politiker.
Auf Nachfrage des Moderators gab er unumwunden zu, dass dieser Schritt auch vom Erfolg der AfD auf der Plattform beeinflusst gewesen sei. "Wir gehen dahin, wo der Diskurs sonst verloren wird", gestand Habeck ein. Man habe den Raum, gerade weil es sich datentechnisch um einen Graubereich handle, weitgehend preisgegeben und müsse nun versuchen, ihn sich wieder zurückzuholen.
- "Markus Lanz" vom 30. April 2024