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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der nächste große Ampelkrach Die Genossen schalten auf Gegenangriff
Der 12-Punkte-Plan der FDP sorgt für neuen Sprengstoff in der Ampel. Ein internes Arbeitspapier der SPD nimmt nun den Vorstoß der Liberalen Punkt für Punkt auseinander.
Die Antwort der SPD auf den Wirtschaftsvorstoß der FDP spart nicht mit scharfen Worten: Der 12-Punkte-Plan der FDP sei ein "Angriff auf die Fleißigen in unserem Land", Wirtschaftspolitik "auf Kosten der arbeitenden Mitte und zu Gunsten weniger Wohlhabender" sei der falsche Weg. So steht es in einem internen Arbeitspapier der SPD, das am Dienstag bekannt wurde und t-online vorliegt.
Vor allem in der Einleitung des fünfseitigen Dokuments lässt sich der Unmut der Genossen über die Vorschläge der Liberalen ablesen: "Die FDP macht mal wieder Vorschläge, die vor allem an die eigenen Reihen gerichtet sind", heißt es dort. Diese seien "sozial ungerecht" und machten "wirtschaftspolitisch keinen Sinn". "Dafür gibt es höchstens Mehrheiten auf dem FDP-Parteitag, aber nicht in der Bevölkerung und auch nicht im Bundestag", so das Papier weiter.
Schon kurz nach Bekanntwerden am Sonntag hatte der 12-Punkte-Plan der Liberalen heftige Kritik der Ampelpartner hervorgerufen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte das FDP-Papier eine "Beschimpfung von Arbeitnehmern", die Vorschläge offenbarten einen "zynischen Blick auf unsere Mitmenschen". Selbst Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schaltete sich in den Streit ein. (Hier lesen Sie mehr dazu, was im 12-Punkte-Plan der FDP steht.)
Doch damit ist die Auseinandersetzung aus sozialdemokratischer Sicht offenbar noch nicht erledigt. Das interne Papier mit dem Titel "SPD Gegenargumente zum 12-Punkteplan der FDP" ist zwar kein offizielles Dokument. Aber es zeigt zugleich, dass die SPD den Vorstoß der Liberalen durchaus ernst nimmt und sich argumentativ auf eine größere Debatte vorbereitet.
"Abbau von Arbeitnehmerrechten durch die Hintertür"
Das SPD-Arbeitspapier nimmt die 12 Forderungen der FDP Punkt für Punkt auseinander. So heißt es zur Forderung der FDP, ein "Jahresbürokratieabbaugesetz" einzuführen, das jährlich "unnötige Vorschriften" streichen soll: "Hier können wir grundsätzlich zusammenfinden", es sei richtig, Bürger und Unternehmen gezielt zu entlasten und unnötige Vorschriften abzuschaffen.
Doch dürfe Bürokratieabbau nicht zum "Abbau von Arbeitnehmerrechten durch die Hintertür" führen. Zudem habe die Regierung unter SPD-Kanzler Olaf Scholz bereits die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Das 2023 auf der Klausurtagung in Meseberg beschlossene "Bürokratieabbauprogramm" habe zudem zu einer "jährlichen Entlastung von Erfüllungsaufwand von mehr als drei Milliarden Euro" geführt.
Das Bürokratieentlastungsgesetz IV sorge für noch weniger Bürokratie, habe allerdings noch "Luft nach oben" und werde von der SPD im Gesetzgebungsprozess entsprechend bearbeitet werden. Ein Seitenhieb gegen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der die Vorlage des Kabinettsentwurfs erarbeitet hatte.
Bürgergeld und "Sozialmoratorium"
Beim Thema Bürgergeld und Sozialausgaben endet die formale Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern. Der FDP-Forderung nach einer Verschärfung der Bürgergeld-Sanktionen erteilt das SPD-Papier eine klare Absage. So seien die Sanktionen gegen Verweigerer vor Kurzem erst verschärft worden (hier lesen Sie mehr zu den beschlossenen Vollsanktionen für Bürgergeld-Bezieher) und beträfen ohnehin nur 0,4 Prozent der Leistungsempfänger.
Vorrang habe stattdessen die Qualifizierung von Leistungsempfängern, damit diese nicht nur für Saisonjobs befähigt werden, sondern dauerhaft Anschluss an den Arbeitsmarkt erhalten. Die FDP, die als Ampelpartner das Bürgergeld mitbeschlossen hatte, kritisiere hier "ihre eigenen Gesetze".
Kosten von "mindestens 12 Milliarden Euro"
Auch bei den Forderungen nach einer kompletten Soli-Abschaffung und steuerlichen Vorteilen bei Überstunden liegen SPD und FDP über Kreuz: 2021 wurde der Solidaritätszuschlag (Soli) für 90 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuerzahler abgeschafft. Die Forderung nach einer Streichung auch für die restlichen zehn Prozent ist seitdem ein FDP-Dauerbrenner.
Die SPD hält dagegen: "Nur die Steuerpflichtigen mit den Top-10%-Einkommen", darunter auch Unternehmen, zahlten noch den Soli. Die SPD wolle die Unternehmen nicht "um die Ecke", sondern direkt unterstützen, etwa durch erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten oder Steuergutschriften. Breite Steuersenkungen würden die Unternehmen zwar entlasten, "haben aber wenig Anreizwirkung für Investitionen".
Kritik formulieren die Genossen auch an der neuesten Idee aus der Lindner-Partei: Wer über die volle Arbeitszeit hinaus arbeitet, soll für seine Überstunden steuerlich begünstigt werden. Angesichts von "rund 583 Millionen bezahlten und ca. 702 Millionen unbezahlten Überstunden" im vergangenen Jahr sieht die SPD eher die Notwendigkeit, dass die Überstunden überhaupt erst mal "erfasst und vernünftig bezahlt werden". Doch gegen eine Erfassung wehre sich die FDP.
"Das ist nicht gerecht"
Widerstand kündigt die SPD auch bei der Rente mit 63 an. Die würde die FDP gerne abschaffen, denn sie entziehe dem Arbeitsmarkt "wertvolle Fachkräfte". Für die Genossen ist die abschlagsfreie Rente mit 63 jedoch ein Herzensthema, das sie in ihrem Arbeitspapier wortreich verteidigt: "Die arbeitende Mitte von heute muss sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass es eine gute Absicherung im Alter gibt." Das sei "unser Verständnis von Generationengerechtigkeit": Wer 45 Jahre oder länger gearbeitet und Beiträge gezahlt habe, soll auch künftig abschlagsfrei in Rente gehen können.
Diese Möglichkeit abzuschaffen, wäre für viele hart arbeitende Beschäftigte eine Rentenkürzung. "Das ist nicht gerecht." Ohnehin steige für Beitragszahler, die nach 1953 geboren sind, schrittweise das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre an. Im Kern wolle die FDP nur die Arbeitgeber entlasten, doch am Ende gehe es "auf Kosten der Sozialversicherung und damit aller Beschäftigten".
Würde "sehr wahrscheinlich Arbeitsplätze vernichten"
Nächster Streitpunkt: Die Forderung der Liberalen, die staatliche Förderung der Erneuerbaren Energien (EEG) zu beenden. Die SPD zeigt sich auch hier unversöhnlich: Die Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Haushalt senke die Energiekosten für Bürger und Unternehmen. Der Bund beteilige sich zudem am Netzausbau, um die Erneuerbaren weiter auszubauen und "perspektivisch 100 Prozent günstigen Strom aus Erneuerbaren Energien" zu haben.
Zudem sei die Energiewende in Deutschland bereits eine "bedeutende Wertschöpfungskette". Ein "abrupter Stopp der Förderung" würde die beteiligten Branchen hart treffen und "sehr wahrscheinlich Arbeitsplätze vernichten". Daher müsse das Ziel sein, die Energiewende zum "Wachstums- und Jobmotor" für Deutschland zu machen.
Vorlage für den nächsten Ampelkrach
Fazit: Das Papier verdeutlicht einmal mehr die tiefen Differenzen zwischen Liberalen und Sozialdemokraten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte den FDP-Plan die "Scheidungsurkunde für die Ampel". Daran gemessen fällt die SPD-Antwort eher nicht in diese Kategorie: Auch wenn das Papier krawallig beginnt, argumentiert es in den einzelnen Punkten differenziert und begründet die Ablehnung der FDP-Forderungen vornehmlich inhaltlich.
Das kann zweierlei bedeuten: So könnten sich die Genossen dazu entschlossen haben, den FDP-Vorstoß nicht unnötig weiter zu eskalieren und den Liberalen etwas rhetorische Beinfreiheit im Vorfeld ihres Parteitags am Wochenende zu gewähren. Gegen eine Strategie der Gelassenheit sprechen allerdings die scharfen Äußerungen führender Genossen gegen die FDP.
Zweite Möglichkeit: Die SPD hält die FDP-Forderungen nicht für bloße Parteitagsfolklore, sondern für einen gezielten programmatischen Vorstoß, auf den die SPD nun parteiintern reagieren muss. In diesem Sinne wäre das Arbeitspapier eine erste Positionsbestimmung für die kommende Auseinandersetzung mit der FDP um die richtige Wirtschaftspolitik – und eine Vorlage für den wahrscheinlich nächsten großen Ampelkrach.
- Arbeitspapier "SPD Gegenargumente zum 12-Punkteplan der FDP"