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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittenes Papier Das steht im Zwölf-Punkte-Plan der FDP für die Wirtschaft
Die FDP legt Vorschläge für eine bessere Wirtschaftspolitik vor – und erzürnt damit vor allem die SPD. Was drinsteht im Zwölf-Punkte-Plan der Liberalen.
Vor dem Parteitag der FDP am kommenden Wochenende blasen die Liberalen zum Angriff: Mit einem Zwölf-Punkte-Plan zur Belebung der schwächelnden Wirtschaft, dem das Präsidium der Partei am Montag zustimmte, hat die Parteispitze scharfe Reaktionen zunächst vom Koalitionspartner SPD hervorgerufen.
Der Beschluss, der t-online vorliegt und über den am Wochenende zuerst die Zeitung "Bild am Sonntag" berichtet hat, sieht eine ganze Reihe von Ideen vor, die insbesondere die Sozialdemokraten nur schwer mittragen können. t-online fasst die kontroversen Punkte der FDP-"Wirtschaftswende" zusammen, die Deutschland wieder mehr Wachstum bescheren soll:
- Bürgergeld-Reform: Die Liberalen wollen, dass Bürgergeldempfängern künftig 30 Prozent der Leistungen gekürzt werden sollen, wenn sie "zumutbare Arbeitsangebote, auch sogenannte Ein-Euro-Jobs", nicht annehmen. Das wäre eine deutliche Verschärfung des Sanktionsregimes, das bislang nur eine stufenweise Leistungskürzung vorsieht, beim ersten Ablehnen eines Jobs etwa um 10 Prozent. Lediglich "Totalverweigerern" sollen die Jobcenter für die Dauer von bis zu zwei Monaten die Leistungen nach einer Ansage von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) komplett streichen können.
- Steuervorteile für Überstunden: Diese Idee hatten die Liberalen bereits vor zwei Wochen groß vorgestellt. Ab der 41. Wochenstunde sollten geleistete Überstunden steuerlich begünstigt werden – damit sich Mehrarbeit für die Bürger mehr lohnt.
- Sozialstaat-Moratorium: "Für mindestens drei Jahre" solle die Politik keine neuen Sozialleistungen beschließen. Ob damit auch die per Koalitionsvertrag beschlossene, im Parlament aber noch hochumstrittene Kindergrundsicherung mit gemeint ist, lässt das Papier offen. Klar genannt ist aber: Beim Bürgergeld sei bei einer "strikt regelsatzgebotenen" Berücksichtigung der Inflation dieses Jahr "eine Nullrunde zu erwarten". Die Idee dahinter: Arbeit soll sich mehr lohnen als das Beziehen von Sozialleistungen.
- Aus für die "Rente mit 63": Dem Präsidiumspapier könne sich Deutschland die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte "nicht mehr leisten". Denn: Dadurch verlassen tendenziell mehr ältere Menschen den Arbeitsmarkt, die angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels aber dringend gebraucht werden.
- Soli-Abschaffung: Ein FDP-Dauerbrenner – der in der aktuellen Debatte um die richtige Wirtschaftspolitik nicht nur auf Menschen mit höheren Einkommen, sondern vor allem auf die rund 500.000 Unternehmen abzielt. Die sollen durch ein Aus für den Solidaritätszuschlag, der womöglich vom Bundesverfassungsgericht ohnehin gekippt wird, direkt entlastet werden.
- Ende der Erneuerbare-Energien-Subventionen: Die EEG-Förderung soll rasch beendet werden, damit die "erneuerbaren Energien endgültig" in den regulären Markt übernommen werden. In diesem Punkt könnte es neben der SPD auch mit den Grünen zum Knatsch kommen.
Daneben spricht sich die FDP-Spitze außerdem für einen Einkommenssteuertarif "auf Rädern" aus, der sich automatisch an die Inflation anpassen soll, damit die Bürger über die kalte Progression nicht immer wieder mehr belastet werden. Zudem fordern die Liberalen um ihren Parteichef Christian Lindner leichtere Abschreibungsregeln für Unternehmen, zusätzliche Bürokratieentlastungen, ein Moratorium für neue Regeln und Auflagen für den Bau, das die Baukosten senken soll, sowie mehr Technologieoffenheit für mehr Innovationen und ein Aussetzen des deutschen Lieferkettengesetzes, das demnächst ohnehin durch die jüngst beschlossenen neuen EU-Regeln ersetzt werden wird.
Aus den Reihen der FDP haben das Papier bislang nur wenige Vertreter kommentiert. Das Präsidium trifft sich am Vormittag zur Sitzung, danach ist eine Pressekonferenz angesetzt, in der es erläutert werden soll.
Mützenich: "Überbleibsel aus der Mottenkiste"
Bei den Sozialdemokraten jedoch ist der Ärger über den Beschluss schon jetzt sehr groß – und manche Aussage klingt wie ein Ultimatum an die Liberalen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert etwa griff den Koalitionspartner im "Tagesspiegel" frontal an: "Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampelkoalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag." Was sich übersetzen lässt in: Dieses Papier birgt Sprengstoff für das Ampelbündnis.
Die Ampel zum Scheitern zu bringen, steckt auch hinter Russlands Propaganda-Strategie, die in Deutschland über Bots und Fake News verbreitet wird. Hören Sie hier mehr dazu:
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Auch SPD-Chef Lars Klingbeil holte kräftig aus. Im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung sagte er, es sei zwar richtig, dass man etwas tun müsse, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern. "Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig." SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte die Forderungen der FDP "ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit".
Dem entgegnete FDP-Vizechef Johannes Vogel am Sonntag, dass die "derzeitige Schwäche des Wirtschaftsstandortes" Deutschland auch den starken Sozialstaat gefährde. "Alle Koalitionspartner müssen ein gemeinsames Interesse haben, die Wirtschaftswende hinzubekommen", sagte Vogel der Deutschen Presse-Agentur. Dazu gehöre es, Bürgerinnen und Bürger steuerlich zu entlasten, aber auch "Leistungsgerechtigkeit" beim Bezug von Grundsicherung herzustellen.
Deutschland droht eine lange Wirtschaftsflaute
Die Grünen wollten die Vorschläge der Liberalen am Sonntag auf Anfrage zunächst nicht kommentieren. Doch auch hier ist zu erwarten, dass viele den Präsidiumsbeschluss mit Unmut aufgenommen haben dürften.
Hintergrund der gesamten Diskussion ist das maue Wirtschaftswachstum, das sämtliche Ökonomen und auch die Bundesregierung für dieses Jahr erwarten. Während die allermeisten anderen Industrienationen dieses Jahr einen deutlichen Wachstumsschub erfahren, droht Deutschlands Bruttoinlandsprodukt zu stagnieren.
Zudem warnen unter anderem die Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten, dass Deutschland auch langfristig den Anschluss zu verlieren droht, sollten nicht jetzt strukturelle Reformen auf den Weg gebracht werden. Dazu zählen die Ökonomen vor allem mehr Arbeitsanreize, da ob des demografischen Wandels das sinkende Volumen an Arbeitsstunden in den nächsten Jahren zur Bremse für die deutsche Wirtschaft und damit das Wohlstandswachstum werden könnte.
- Beschluss-Entwurf des FDP-Präsidiums
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa