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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lauterbach peitscht Gesetz durch Er könnte sich noch wundern
Cannabis wird wie geplant zum 1. April legal. Gesundheitsminister Karl Lauterbach freut sich über seinen Erfolg. Doch er könnte sich noch wundern.
Michael Kretschmer ahnt wohl, dass er das heute nicht gewinnen wird. Mit dem Cannabis-Gesetz öffne die Bundesregierung die "Büchse der Pandora", warnt Sachsens Ministerpräsident im Bundesrat. Es gebe so viel Kritik von allen Seiten, aber "erwachsene Politiker" ließen sich "dann einfach überstimmen" und "in die Ecke stellen".
Kretschmer findet: "Herr Gesundheitsminister, das, was Sie hier angerichtet haben, das ist wirklich demokratieschädigend."
Als Kretschmer redet, notiert sich der Herr Gesundheitsminister, Karl Lauterbach, noch eifrig ein paar Dinge auf seinen Redekarten, schaut etwas auf seinem Handy nach, unterstreicht eine Passage, umkreist eine andere. Er weiß, dass viel auf dem Spiel steht heute. Die Latte hat er sich selbst hoch gelegt: Es ist sein Gesetz, und es könnte scheitern, glaubt er.
Als Lauterbach dann dran ist, schüttelt Kretschmer minutenlang den Kopf. Angesichts einer Verdoppelung des Cannabis-Konsums und der Zahl der Drogentoten, fragt Lauterbach: "Ist die Büchse der Pandora da nicht längst offen?"
Das ist die Frage: Ist sie das? Und hilft Lauterbachs Gesetz wirklich, die Büchse zu schließen? Den Schwarzmarkt einzudämmen und die Suchtprävention zu stärken? Da sind sich die Länder auch an diesem Freitagvormittag im Bundesrat nicht einig. Selbst Länder, in denen Grüne und Sozialdemokraten regieren, haben große Zweifel, auch wenn viele eine Legalisierung grundsätzlich richtig finden.
Und trotzdem ist gegen Mittag klar: Die Cannabis-Legalisierung wird wie geplant zum 1. April kommen. Eine Mehrheit gegen das Gesetz kommt nicht zustande. Klar ist aber auch: Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern hat gelitten und die zwischen den Ländern und Lauterbach sowieso. Es ist einiges kaputtgegangen.
Das Problem mit der Amnestie
Der Ärger in den Ländern hatte sich über Wochen aufgebaut. Im Bundesrat ist er am Freitag längst nicht verpufft. Die Union war und ist grundsätzlich gegen die Legalisierung, zu gefährlich, besonders für junge Menschen. Das hatte die Ampel eingeplant, als sie das Vorhaben in ihren Koalitionsvertrag schrieb.
Nicht eingeplant hatte sie, dass auch SPD und Grüne vor allem in den Ländern massive Bedenken haben würden, zumindest gegen die Art und Weise, wie Lauterbach die Legalisierung vorangetrieben hat. Zu wenig Prävention und Jugendschutz war einer der Kritikpunkte. Der andere, noch eindringlicher vorgetragene Punkt: Die Justiz werde das so nicht schaffen. Es brauche mehr Zeit.
Grund dafür ist die geplante Amnestie, also ein rückwirkender Straferlass. Mit ihr will Lauterbach, grob gesagt, sicherstellen, dass niemand weiterhin für Cannabisbesitz im Knast sitzen oder Strafe zahlen muss, der nach neuem Recht nun unschuldig ist.
Die Justiz warnt seit vielen Wochen, dadurch müssten bis zum 1. April in jedem Land Zehntausende Akten überprüft werden. Und zwar händisch: Wenn "BTM" für Betäubungsmittel draufsteht, muss der Aktendeckel aufgeklappt werden und jemand schauen, ob es um Cannabis geht und die Menge nach neuem Recht legal wäre.
Mancher will die Amnestieregelung deshalb gar nicht, andere wollen sie erst später. Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach, ein Grüner, sagt am Freitag: "16 Justizminister aus sechs Parteien haben sich im Rechtsausschuss einstimmig für ein späteres Inkrafttreten der Amnestie ausgesprochen." Mehr Einigkeit geht nicht.
Lauterbach aber besteht auf der Amnestie, aus Gerechtigkeitsgründen. Die Kritik am Aufwand wischt er regelmäßig beiseite, "vorgeschoben" sei das, sagte er t-online vor einigen Wochen. Weil die Zahl der Fälle, um die es gehe, "viel niedriger als immer behauptet" sei. Es ist eine Position, mit der er sich auch bei Legalisierungsbefürwortern keine Freunde gemacht hat. Denn angeschaut werden müssen eben viel mehr Fälle.
Noch während der Debatte wird verhandelt
Bis zuletzt war deshalb nicht klar, ob das Gesetz durchgehen würde. Noch am Freitag während der Debatte versuchen einige Ministerpräsidenten, eine Mehrheit für eine Verschiebung zu organisieren. Immer wieder stellen sich Grüppchen von Länderchefs zusammen, andere streifen durch die Stuhlreihen und suchen das Zwiegespräch, Hamburgs SPD-Regierungschef Peter Tschentscher etwa.
Doch eine Mehrheit finden sie am Ende nicht. Vor allem wegen der Grünen in den Landesregierungen, wird später von SPD-Seite gestreut. Die Grünen im Bund hatten energisch dafür geworben, das Gesetz im Bundesrat durchzuwinken. Vor allem wohl, weil sie Angst hatten, dass es dort sonst komplett scheitern könnte.
Ihnen und Lauterbach kommt dabei das Verfahren in der Länderkammer entgegen. Bei einem Einspruchsgesetz wie dem zu Cannabis kann der Bundesrat es nicht verhindern, sondern nur den Vermittlungsausschuss anrufen, der dann eine Lösung finden muss. Also zum Beispiel eine Verschiebung der Amnestie.
Um im Bundesrat für den Vermittlungsausschuss zu stimmen, müssen sich die Parteien in den Landesregierungen allerdings einig sein, ob sie das wollen oder nicht. Doch weil die Koalitionsregierungen in den Ländern bunt gemischt sind, stimmen am Ende nur Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und das Saarland für einen Vermittlungsausschuss. Alle anderen sind sich nicht einig, und damit gibt es keine Mehrheit.
Kretschmers hilfreiche Blockade-Drohung
Selbst Sachsen stimmt letztlich nicht für den Vermittlungsausschuss, weil zwar Kretschmer entschieden dafür ist, er seine SPD-Koalitionspartner aber nicht überzeugen kann. Das könnte auch daran gelegen haben, dass es Kretschmer war, der den Streit um den Vermittlungsausschuss am Wochenende noch einmal eskaliert hatte.
"Mein Ziel ist es, dass dieses Gesetz niemals wieder aus dem VA (Vermittlungsausschuss) herauskommt", schrieb Kretschmer beim Kurznachrichtendienst X. Es war die offene Ankündigung einer Blockade. Und ironischerweise stützte er damit die Argumentation, mit der Lauterbach seit Wochen Druck auf die Länder aufzubauen versuchte. Schon im Interview mit t-online hatte der Gesundheitsminister gesagt, die Union wolle das Gesetz im Vermittlungsausschuss "am langen Arm verhungern lassen, bis die Legislaturperiode vorbei ist".
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Nach Kretschmers Einlassungen legte Lauterbach nach, prophezeite, im Vermittlungsausschuss werde das Gesetz "sterben". Und provozierte damit, dass sich der Vorsitzende des Ausschusses, CDU-Politiker Hendrik Hoppenstedt, genötigt sah, ein paar Dinge klarzustellen. "Haltlos, falsch und unangemessen" seien Lauterbachs Unterstellungen. Der Vermittlungsausschuss müsse alle Gesetze auf die Tagesordnung setzen. Blockade? Nicht von uns.
Auch am Freitag hallt dieser Streit noch deutlich nach. Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff spricht von "fragwürdigen Versuchen, die eigenen Reihen zu schließen". Der Preis dafür sei "sehr hoch" und reiche weit über das Cannabis-Gesetz hinaus. Das könne das "Vertrauen in die Demokratie weiter beschädigen". Auch der grüne Justizminister Limbach aus NRW kritisiert das in seiner Rede.
Zugeständnisse an die Länder
Seine Wirkung hat die Drohkulisse wohl trotzdem entfaltet. Genau wie ein weiterer Schachzug Lauterbachs. Er versuchte noch am Mittwoch, mit einer Protokollerklärung zum Gesetz ein paar Kritikpunkte der Länder abzuräumen. So soll es mehr Geld für Suchtprävention geben und Großanbauflächen verhindert werden. Auch ob die erlaubte Cannabis-Menge von 50 Gramm funktioniert, soll nach 18 Monaten überprüft werden.
Bei der Amnestieregelung blieb Lauterbach hingegen auch in der Protokollerklärung hart. Hinter vorgehaltener Hand werfen Ländervertreter ihm schon länger vor, nicht kompromissfähig zu sein. Und zwar nicht nur beim Cannabis-Gesetz, sondern auch bei seinem zweiten, viel größeren Projekt: der Krankenhausreform.
Lauterbach, so sehen es mehrere Länder, hat hier wie dort viel Vertrauen verspielt. Das könnte ihn noch einholen. Trotz des Erfolges beim Cannabis-Gesetz.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen im Bundesrat