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Ampel streitet über Asyl- und Flüchtlingspolitik


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Flüchtlingspolitik der Ampel
"Das ist an Absurdität kaum zu überbieten"

InterviewVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 06.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle des Gymnasiums Kirchseeon: "Wenn die Zahlen wieder hochgehen, fällt uns das auf die Füße" (Quelle: Wolfgang Maria Weber/imago-images-bilder)
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Die Kommunen sind wegen der hohen Anzahl an Asylbewerbern noch immer überlastet, Bund und Länder sind zerstritten. Was könnte nun helfen?

Über kaum ein Thema streitet der Bund so leidenschaftlich mit den Bundesländern wie über die Flüchtlingspolitik. An diesem Mittwoch kommen die Regierungschefs der Länder mit Kanzler Olaf Scholz zusammen, um darüber zu beraten. Und schon im Vorfeld schoben sich Bund und Länder den Schwarzen Peter zu: Der Bund hinke hinterher, heißt es vor allem von CDU-Ländern. Der Bund wiederum sieht die Länder am Zug. Mehr zu den Streitthemen lesen Sie hier.

Doch was würde tatsächlich helfen? Und wie ist die Lage derzeit in den Kommunen? Migrationsexperte Hannes Schammann von der Universität Hildesheim sieht in erster Linie zwei große Baustellen. Welche das sind und warum er die politische Diskussion um die Bezahlkarte absurd findet, erklärt er im Interview mit t-online.

t-online: Herr Schammann, vor rund einem Jahr haben wir fast täglich Hilferufe aus den Kommunen gehört, sie seien durch die hohe Anzahl an Geflüchteten überlastet. Mittlerweile ist es deutlich ruhiger geworden. Heißt das, die Lage hat sich entspannt?

Hannes Schammann: Das kommt darauf an, wo man hinschaut. Die Unterbringungskrise, also dass die Länder und Kommunen nicht wussten, wohin mit den Neuankommenden, hat sich vordergründig entspannt. Auch, weil die Zahlen der Geflüchteten ganz deutlich abgenommen haben. Es bleibt aber das Problem, dass die Asylbewerber aus den Sammelunterkünften in dauerhaften Wohnraum vermittelt werden müssen. Das ist angesichts des angespannten Wohnungsmarktes sehr schwierig. Spätestens, wenn die Zahlen wieder hochgehen, fällt uns das auf die Füße. Ein weiteres Problem liegt bei den Ausländerbehörden.

Inwiefern?

Sie sind flächendeckend überlastet. Sie müssen ja nicht nur Geflüchtete betreuen, sondern auch beispielsweise Fachkräfte, etwa bei Einbürgerung oder Visaerteilung. Sie sind der behördliche Flaschenhals: Die meisten Maßnahmen, die wir nun auf Bundesebene besprechen, müssen die Ausländerbehörden anschließend auf kommunaler Ebene implementieren. Das ist eine Katastrophe, denn dort fehlen viel zu viele Arbeitskräfte. Der WDR hat vor Kurzem berichtet, dass in Nordrhein-Westfalen bis zu 20 Prozent der Stellen in den Ausländerbehörden unbesetzt sind. Und unsere Forschung zeigt, dass es eine enorm hohe Personalfluktuation gibt.

(Quelle: Uni Hildesheim)

Zum Gesprächspartner

Hannes Schammann ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim und leitet dort die Migration Policy Research Group. Ein Fokus seiner Forschung liegt dabei auf der Rolle von Kommunen. Vor seiner Professur hat er zu migrations- und integrationspolitischen Themen unter anderem bei der Robert Bosch Stiftung und im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gearbeitet.

Beim vorherigen Bund-Länder-Treffen wurde das Ziel formuliert, Asylverfahren zu beschleunigen. Innenministerin Nancy Faeser kündigte am Wochenende dazu an, dass das Bundesamt für Migration (BAMF) mehr als 1.000 neue Stellen erhalten soll. Schafft das Abhilfe?

Nein, das hilft den Ausländerbehörden nur sehr eingeschränkt. Vielmehr noch: Es kann ihnen sogar schaden. Denn bei der Suche nach Fachkräften konkurrieren die lokalen Behörden mit dem BAMF, das im Zweifel besser zahlt. Man muss nun also vor Ort die Frage beantworten, wie man mit weniger Personal effizienter arbeiten kann als bislang.

Und wie könnte das funktionieren?

Die Vereinfachung des Migrationsrechts und die Digitalisierung von Anträgen könnten helfen. Ein weiteres Problem ist, dass ein wichtiger Teil der Integrationsarbeit derzeit für die Kommunen eine freiwillige Aufgabe ist. Das heißt, es liegt vollkommen im Ermessen der jeweiligen Kommune, ob und wie sie die Integrationsarbeit koordiniert. Ein Sozialdezernent sagte uns kürzlich, dass Integration derzeit kommunalrechtlich so wichtig ist wie die Weihnachtsbeleuchtung. Manche fordern daher, die Integrationsplanung zur kommunalen Pflichtaufgabe zu machen – oder aber auf Länderebene gute Förderstrukturen zu schaffen, damit die Kommunen diese nutzen können. Das kann allerdings der Bund nicht vorschreiben.

Das heißt, da wären die Länder in der Pflicht?

Ja, aber der Bund kann dabei unterstützen. Unsere Forschungsgruppe hat für die Integrationsbeauftragte des Bundes kürzlich eine Studie erstellt, in der wir vorschlagen, den ohnehin kürzlich vereinbarten Sockelbetrag des Bundes zur Entlastung der Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme etwas aufzustocken und für Koordination und Planung zu nutzen. Dann wären wir auch auf künftige Krisen besser vorbereitet. Das heutige Bund-Länder-Treffen wäre der ideale Ort, um darüber zu sprechen.

Vor dem aktuellen Gipfel aber sind Bund und Länder nun zerstritten. Vor allem die unionsgeführten Länder klagen, der Bund mache nicht genug, um die angespannte Lage in den Kommunen zu lösen, der Bund wiederum sieht die Länder in der Pflicht. Was davon stimmt?

Das ist der typische Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeiten. Die Migrationspolitik in Deutschland ist sehr komplex organisiert, es gibt kaum klare Zuständigkeiten. Das führt dazu, dass jeder immer sagen kann: Schuld hat der andere. Man müsste aber meinen, dass Politiker sich wählen lassen, um ein Problem zu lösen und nicht um es abzuwälzen. Wir brauchen also dringend einen Kulturwandel. Bund, Länder und Kommunen sollten weniger darauf schauen, wo die Grenzen ihrer Zuständigkeit liegen, sondern sich fragen, was sie dazu beitragen können, um die gemeinsame Aufgabe zu lösen.

Nun hat gerade der Thüringer Landrat Christian Herrgott (CDU) Schlagzeilen gemacht, der gemeinnützige Arbeit für Asylbewerber verpflichtend machen will.

Die Diskussion, die darum entbrannt ist, ist ziemlich schräg. Denn eigentlich ist das völlig unspektakulär – in vielen Unterkünften ist es gang und gäbe, dass die Bewohner dort anpacken. Es wird aber nun so diskutiert, als würde jemand endlich durchgreifen und den Menschen Manieren beibringen. Dabei ist die Intention des Landrats ja eigentlich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, die Menschen an den Arbeitsmarkt heranzuführen, ihnen etwas zu tun zu geben. Diese ganze Debatte aber um Arbeitspflicht könnte man sich sparen, wenn man das Asylbewerberleistungsgesetz einfach abschafft.

Asylbewerberleistungsgesetz

Das Gesetz regelt seit 1993 die Leistungen für Asylbewerber. Derzeit liegt der kombinierte Satz aus Taschengeld und dem notwendigen Bedarf für einen alleinstehenden Erwachsenen bei 460 Euro. Es sieht außerdem vor, dass Asylbewerber für einen Zeitraum von drei bis neun Monaten keine Erwerbstätigkeit annehmen, aber für gemeinnützige Arbeit herangezogen werden dürfen.

Ist das nicht ein wenig radikal?

Nein, diese Extraregeln machen alles nur komplizierter. Man könnte Geflüchtete auch ganz normal im Rahmen der Sozialgesetzgebung zur Arbeitsaufnahme verpflichten. Dann gilt: Wer zumutbare Arbeitsangebote ausschlägt, wird sanktioniert. Das dahinter liegende Problem aber ist, dass das Asylbewerberleistungsgesetz in seiner Zielrichtung völlig unklar ist. Einerseits sollen die Leute an den Arbeitsmarkt herangeführt werden, ein nützlicher Teil der Gesellschaft werden. Gleichzeitig aber soll es Asylbewerber abschrecken. Wir überlassen die Entscheidung über den Zweck des Gesetzes weiterhin den lokalen Behörden.

Eine ähnliche Diskussion gibt es um die Bezahlkarte: Unter den Befürwortern betonen die einen die abschreckende Wirkung, die anderen die Vorteile für die Behörden und Geflüchteten, etwa, dass Letztere sich nicht mehr bei der Behörde anstellen müssen, um ihr Bargeld ausgezahlt zu bekommen.

Die Konsequenz aus dieser Debatte ist jetzt, dass die Ampel ins Gesetz schreiben will, dass Leistungserbringung auch in Form einer Bezahlkarte möglich ist. Das ist an Absurdität kaum noch zu überbieten. Das ist wie zu sagen, wenn es regnet, ist es erlaubt, einen Regenschirm zu verwenden. Es schafft keine Klarheit. Es kommt jetzt stark auf die Praxis an, was dabei herauskommt und wie viele unterschiedliche Bezahlkarten es tatsächlich geben wird. Nur wird man nicht verhindern, dass die Menschen an Bargeld kommen, es macht es nur unbequemer.

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Zum Beispiel?

Es gibt ja das viel zitierte Beispiel, dass die Menschen in den Supermarkt gehen, sich mit der Bezahlkarte einen Sechserpack Wasser kaufen, das auskippen und sich das Pfand ausbezahlen lassen. Ob das nun so passiert, sei dahingestellt. Aber Wege, an Bargeld zu kommen, gibt es immer.

14 Bundesländer wollen gemeinsam ein Konzept für eine Bezahlkarte entwickeln, in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern soll es jeweils ein eigenes geben. Wie sinnvoll ist das?

Dass die 14 Länder einen gemeinsamen Weg gehen wollen, ist schon einmal ein Riesenerfolg im Föderalismus – vor allem in der Migrationspolitik mit all ihren kleinteiligen Praktiken. Etwa bei den Gesundheitsleistungen: In einigen Regionen braucht man die Erlaubnis vom Sozialamt, in anderen haben die Asylbewerber eine Art elektronische Gesundheitskarte, die der normalen Krankenkassenkarte ähnelt. Bei der Bezahlkarte muss man nun abwarten, da bin ich selbst unsicher. Ob sie aber tatsächlich einen abschreckenden Effekt nach außen hat, wage ich zu bezweifeln. Sie wird in der vorgeschlagenen Form wahrscheinlich nur Integrationsprozesse etwas verlangsamen.

Herr Schammann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefon-Interview mit Hannes Schammann
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