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Bauernproteste in Berlin: Lindner von Landwirten niedergebrüllt – "Hau ab!"


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Lindner bei Bauern-Demonstration
Wie kommt er da nur wieder raus?


15.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Berlin: Finanzminister Lindner (FDP) schreit gegen buhende Demo-Teilnehmer an. (Quelle: reuters)
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Die Bauern sind erzürnt über die Subventionskürzungen und fühlen sich von der FDP im Stich gelassen. Christian Lindner wagt am Montag den Beruhigungsversuch – und scheitert fürs Erste. Verliert er die Unterstützung der Landwirte für immer?

Die Bauern sind nicht mit Mistgabeln gekommen. Sondern mit iPhones und Laptops, sie filmen sich gegenseitig, laden ihre Videos im Internet hoch. "Der Mittelstand trägt das Land, gemeinsam gehen wir Hand in Hand" steht auf einem Plakat. Auf einem anderen: "Es reicht". Die Botschaft: Hier demonstrieren keine altmodischen Hinterwäldler, sondern moderne Landwirte mit teils Dutzenden Beschäftigten.

Zu Tausenden stehen sie am Montag wieder vor dem Brandenburger Tor, zur Abschlusskundgebung ihrer Demonstrationswoche, die längst eine Machtdemonstration geworden ist. Und heute wollen die Bauern ihre Macht Finanzminister Christian Lindner zeigen, der zu ihnen gekommen ist.

Video | Tausende Bauern legen Berliner Zentrum lahm – und buhen Lindner aus
Großdemonstration der Landwirte in Berlin.
Quelle: Glomex

"Hau ab! Hau ab! Hau ab!", schleudern sie ihm entgegen. Immer wieder. Immer lauter. Lindner beginnt trotzdem zu reden, aber er kommt nicht gegen das Geschrei der Bauern an. Irgendwann unterbricht ihn der Präsident des Bauernverbandes, der sich an das Publikum wendet: "Es gebührt der Respekt, ihm zuzuhören! Ich fordere Sie auf, ruhig zu sein."

Es ist der wohl schwierigste öffentliche Auftritt für Lindner, seitdem er in der Regierung ist. Jubel kennt er. Gebrüllter Hass schlägt ihm selten entgegen. Lindner schreit sogar selbst im Laufe seiner Rede, das tut er sonst nie. Doch es ist ein harter Kampf, der da begonnen hat. Und der FDP-Chef und Finanzminister ringt mit lauter Stimme darum, die Unterstützung der Landwirte nicht zu verlieren.

Deren lautstarker Protest ist auch eine Art Schrei nach Liebe. Die Bauern sind enttäuscht. Viele glaubten, die FDP sei ihr letzter Verbündeter, die Stimme der Selbstständigen, der Macher. Ihre politische Bastion in der sonst politisch linken Bundesregierung.

Befeuert haben dieses Bild die Liberalen selbst, die bei allen Gelegenheiten seit Regierungsantritt betonten, es sei nun einmal nicht einfach, mit "zwei linken Parteien" zu regieren. Die Frage, die sich aus Sicht der Landwirte nun stellt, ist, was die einzige nicht-linke Partei in der Bundesregierung für sie tut. Die Antwort vieler am Brandenburger Tor an diesem Montag: zu wenig.

Vorredner: Sich freuen, wenn die angedrohten Schläge doch nicht kommen?

Deshalb der Protest gegen zwei ursprünglich geplante Kürzungen, die die Bauern insgesamt mehr als 900 Millionen Euro im Jahr gekostet hätten. Zwar hat die Ampelregierung das Aus für die KfZ-Steuerbefreiung inzwischen zurückgenommen, doch beim schrittweisen Auslaufen der Agrardiesel-Förderung soll es bleiben.

Für Lindner und die FDP ist das ein Drahtseilakt. Einerseits sind sie es, die wie keine zweite Partei in der Ampel aufs Sparen pochen, andererseits haben Bauern bei der Bundestagswahl überproportional oft FDP gewählt. Aktuell liegen die Liberalen bei fünf Prozent in den Umfragen, in diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen und eine Europawahl an. Die Landwirte sind mächtig und damit umso wichtiger für die FDP.

Gegen 11.45 Uhr kommt Lindner bei den Bauern an, eine gute halbe Stunde muss er warten. Ein Vorredner sagt, es sei nicht in Ordnung, wenn man jemandem Schläge androhe und dann von dem verlange, dass er sich freuen solle, wenn die Schläge doch nicht kämen. So etwas muss sich Lindner anhören.

Es hat 3 Grad Celsius in Berlin, über der Stadt fällt Schneeregen. Als er schließlich ans Mikrofon tritt, dunkle Allwetterjacke, grober Strickschal, erzählt er erst einmal von sich: "Ich bin schon fertig, wenn ich den Pferdestall nur einmal ausgemistet habe." Er wisse, wie viel körperliche Arbeit es auf dem Land gebe. Er hätte auch gleich sagen können: Ich verstehe euch.

Im Klartext: Hier ist doch das Lager der Vernünftigen

Aber dann sagt Lindner: "Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie nur wegen des Agrardiesels hier sind!" Die Kürzung der Subventionen wird bleiben, das ist schon nach wenigen Minuten klar. Lindner aber macht ein Kompromissangebot zur Abschaffung: "Bürokratie entlastet Sie, kostet den Finanzminister aber nichts!" Er schreit ins Mikrofon: "Ihre Gewinne schwanken zwischen den Jahren! Das müssen wir auch bei der Einkommensteuer berücksichtigen!" Er lobt in seiner Rede, dass die Bauern das Brandenburger Tor ehren würden und nicht beschmieren. Im Klartext: Wir sind doch hier im Lager der Vernünftigen – und nicht der verrückten Linken, der Klimakleber, die unlängst das Wahrzeichen Berlins verschandelt haben.

Lindner beendet seine Rede mit den Sätzen: "Ich kann Ihnen heute nicht mehr staatliche Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt! Aber wir können gemeinsam dafür streiten, dass Sie wieder mehr Freiheit und wieder mehr Vertrauen für Ihre Arbeit erhalten. Und das wäre eine Chance in dieser Lage, die man nicht ausschlagen sollte." Der letzte Satz klingt bittend.

Und er klingt nach einem Mann, der in den letzten Wochen den richtigen Umgang mit den Bauern gesucht und bis heute nur schwer gefunden hat. Beim Dreikönigstreffen der Liberalen Anfang Januar in Stuttgart hatte Lindner noch gesagt: "Kehren Sie um! Sie haben sich verrannt!" Die Proteste nahmen da jedoch erst richtig an Fahrt auf.

Die Landwirte wurden stärker reglementiert – auch dagegen richtet sich die Wut

Lindner schlug daraufhin einen anderen Kurs ein. Er nahm die Wut der Bauern auf, sagte jedoch, diese beziehe sich nur auf die aktuellen Kürzungen beim Agrardiesel. Die wären nur der Anlass für den Protest, die eigentlichen Gründe lägen woanders.

Im ARD-Talk "Maischberger" sagte Lindner: "Viele Jahre beobachte ich – übrigens sehr kritisch –, dass aus der Politik versucht wird, in die landwirtschaftlichen Betriebe hineinzuregieren: Düngemittelverordnung, ganz präzise Vorgaben an Pflanzenschutz, Flächen sollen stillgelegt werden."

Die Kritik der Bauern ist tatsächlich weitreichender. Die Vorgaben bei den landwirtschaftlichen Flächen nahmen in den letzten zehn Jahren massiv zu. Düngung wurde reglementiert, es gab vermehrt Vorschriften für den Stallumbau, Bio-Produktion wurde zwar gefördert – doch die Bürokratie wuchs. Die Streichung bei den Subventionen des Agrardiesels stört viele Landwirte jedoch besonders – weil es sie finanziell künftig noch stärker belastet. Es dürfte daher mehr sein als nur der aktuelle Anlass des Protestes bei einer grundlegenden Unzufriedenheit.

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Die nächste Demonstration ist schon angekündigt

Ein Anruf beim FDP-Agrarpolitiker Gero Hocker. Hocker sitzt für die Liberalen seit 2017 im Bundestag, er kennt seine Partei, er kennt das Problem. Den Auftritt von Lindner fand er gut, sagt er am Telefon. Und: "In Berlin reden wir über Ernährungsräte und ähnliche Orchideenthemen. Da denkt mancher, dass wir das große Ganze aus dem Blick verlieren. Für Bauern müssen wir endlich für fairen Wettbewerb innerhalb des europäischen Binnenmarktes sorgen und Landwirtschaft von unnötiger Bürokratie entlasten, beides ist Landwirten als Unternehmern viel wichtiger als alleine der Agrardiesel."

Die Frage ist, ob Hocker recht behält. Ob die Landwirte sich mit einer Reduktion der Bürokratie besänftigen lassen, wenn sie zugleich mehr für den Diesel zahlen müssen. Die Koalition führt in diesen Tagen weiter Gespräche über die künftige Aufstellung des Haushalts. Am Donnerstag beginnt dann die Agrarmesse Grüne Woche in Berlin.

Wie jedes Jahr wurde dazu die Demonstration "Wir haben es satt" angekündigt, eine Traditionsveranstaltung. Vergangenes Jahr nahmen an ihr etwa 10.000 Menschen teil. Dieses Jahr wird sie wohl deutlich mehr Zulauf bekommen – nicht zuletzt von Bauern, die sich in der FDP getäuscht sehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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