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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Landwirte warten auf Scholz "Er kann uns viel erzählen, solange er hier ist"
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Donnerstagmorgen ein ICE-Werk in Cottbus eröffnet. Vor der Halle warten wütende Bauern auf den Kanzler – vergeblich.
Tobias Eßer berichtet aus Cottbus.
Eigentlich hätte es für Olaf Scholz (SPD) ein Wohlfühltermin sein können. In Cottbus eröffnet der Bundeskanzler an diesem Donnerstag das modernste und größte ICE-Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn. Doch die 1.500 Menschen, die sich nur wenige Meter davon entfernt versammelt haben, interessiert das an diesem Morgen wenig. Die meisten von ihnen sind Landwirte aus Brandenburg. Sie sind gekommen, um mit dem Kanzler über die geplanten Streichungen bei den Agrarsubventionen zu sprechen.
Mehrere Stunden haben die Männer und Frauen bei minus fünf Grad Celsius schon auf den Kanzler gewartet. Eine Gulaschkanone mit Suppe steht für sie bereit, heißer Kaffee wird von Freiwilligen durch die Reihen der Bauern gereicht. Gegen 10.50 Uhr tritt ein Mann mit Hut und grüner Weste auf die Bühne, auf der die Worte stehen: "Ohne uns kein Essen". Er heißt Heiko Terno, ist Vizepräsident des Landesbauernverbandes Brandenburg (LVB) und Kommunalpolitiker der CDU. "Der Bundeskanzler wird heute nicht herkommen und mit uns reden", sagt er. In seinem engen Zeitplan sei dafür keine Zeit mehr. Die wartende Menge quittiert die Ankündigung mit Pfiffen, höhnischem Gelächter und einzelnen "Feigling"-Rufen.
Scholz spricht mit dem Präsidenten des Bauernverbandes
So ganz verschließt sich der Kanzler dem Dialog mit den Landwirten aber nicht: Henrik Wendorff, Präsident des LVB, spricht noch während des Kanzlerbesuchs in Cottbus mit Olaf Scholz. Die Ergebnisse werde Wendorff anschließend mit den wartenden Bauern teilen. Das könne allerdings noch dauern, sagt Heiko Terno. Man solle sich doch inzwischen an der Gulaschkanone aufwärmen, die "Kollegen sind ja nicht umsonst hergekommen".
Auch Christoph Schulz hätte den Kanzler gerne gesehen und einige Worte mit ihm gewechselt. In der Nähe der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben betreibt der 37-Jährige einen Geflügelhof, der schon seit über 300 Jahren in Betrieb ist. "Mit Herrn Scholz würde ich gerne über die verfehlte Agrarpolitik der Bundesregierung sprechen", sagt er. Dass er dazu nun keine Gelegenheit bekommt, findet er schade. "Aber ich kann es auch verstehen", sagt Schulz. "Die Menschen hier sind ziemlich aufgebracht. Da glaube ich nicht, dass er wirklich zu Wort gekommen wäre."
Organisatoren wollen Rechtsextreme ausschließen
Nicht nur Bauern haben sich vor dem ICE-Instandhaltungswerk in Cottbus versammelt. Auch andere, die mit der Politik der Ampel-Regierung unzufrieden sind, sind gekommen. "Achtung, Feind hört mit", zischt ein älterer Mann, der eine Jacke des rechtsextremen Modelabels Thor Steinar trägt, als er einen Kameramann des ZDF in seiner Nähe erblickt. Die Parole war der Titel einer innenpolitischen Kampagne der Nationalsozialisten, die damit die Bevölkerung für die Spionage der Alliierten in Kriegszeiten sensibilisieren wollten.
Es sind Demonstranten wie dieser Mann, die während der Reden auf der Kundgebung die lautesten Zwischenrufe abgeben. Rechte Symbolik sieht man – abgesehen von wenigen Ausnahmen – am Donnerstag allerdings nicht. Zwei Fahnen der Landvolkbewegung wehen an Treckern, die völkische und antisemitische Bewegung gründete sich in den 1920er-Jahren und verübte Bombenattentate auf Regierungseinrichtungen. Ihre schwarze Fahne mit Schwert und Pflug taucht bei den Bauernprotesten immer wieder auf.
Ansonsten bemühen sich die Organisatoren darum, Teilnehmer mit rechten Symbolen rigoros von der Veranstaltung auszuschließen. So wollen sie eine Vereinnahmung der Proteste verhindern. Auch Waffen und Galgen sollten nicht auf die Demo mitgebracht werden – vereinzelt sind dennoch Mistgabeln auf der Kundgebung zu sehen.
Woidke bekommt Applaus
Gegen Mittag kommt schließlich Landesbauernpräsident Wendorff zu den Demonstranten und erzählt von seinem Gespräch mit dem Kanzler. "Scholz hat versprochen, sich über unser Anliegen mit Landwirtschaftsminister Özdemir zu unterhalten", sagt er. Als der Name des Grünen-Politikers fällt, reagiert die Menge mit wütenden Rufen und Pfiffen. "Ich habe ihm allerdings auch gesagt: Das reicht nicht. Dieses Versprechen wird die Landwirte nicht von den Straßen herunterbringen." Die Menge klatscht.
Anstelle von Olaf Scholz stellt sich dann ein anderer Politiker den Demonstranten: Dietmar Woidke (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident. Der studierte Landwirt und wird mehr oder weniger wohlwollend von der Menge vor dem neuen ICE-Werk empfangen. "Ihr wisst, ich kann auch Trecker fahren und Kühe melken", sagt der Ministerpräsident – und bekommt sogar vorsichtigen Applaus für diese Aussage.
In seiner kurzen, nur zwei Minuten dauernden Rede verspricht Woidke den Anwesenden, sich für ihre Anliegen auf Bundesebene einzusetzen – der Applaus, den Woidke für diese Aussage bekommt, ist schon etwas lauter als zuvor. Auch wenn ihm nicht alle Teilnehmer das Versprechen abnehmen: "Hört, hört", ruft einer von ihnen sarkastisch.
Auch Christoph Schulz, der Landwirt aus Guben, setzt nicht viel Hoffnung in Woidkes Versprechen: "Er kann uns viel erzählen, solange er hier ist. Aber er hat auch nichts Sachdienliches in der Hand, was er uns vorlegen kann." Trotzdem findet Schulz es gut, dass Woidke wenigstens da ist und mit den Landwirten redet.
Nicht nur bei den Bauern, auch bei den übrigen Brandenburgern scheint das Vertrauen in Woidke und seine Partei zu schwinden. Die SPD steht in den aktuellen Umfragen zur Landtagswahl bei nur 22 Prozent – im Gegensatz zur AfD, die auf 32 Prozent kommt.
"Der Trecker ist ein Symbol des Widerstandes"
Schulz glaubt nicht an ein baldiges Ende der Bauernproteste. "Die Bundesregierung hat viel Arbeit vor sich", erzählt er. "Wir brauchen dringend eine Entbürokratisierung der Landwirtschaft. Es gibt unzählige Auflagen, und ebenso viele Behörden sitzen uns bezüglich der Einhaltung dieser Auflagen im Nacken."
Dass die Ampel auf die Forderungen der Bauern eingeht, damit rechnet Schulz nicht: "Damit die Proteste enden, brauchen wir ein Wunder." Allerdings hält er die Solidarität der Bevölkerung für ein starkes Zeichen an die Politik. "Schauen Sie sich mal in den sozialen Netzwerken um: Der Trecker ist zu einem Symbol des Widerstandes geworden".
Nach Woidkes kurzer Rede löst sich die Veranstaltung vor dem ICE-Werk schnell auf. Die Landwirte drehen allerdings noch einige Runden mit ihren Traktoren durch die Cottbuser Innenstand. Ihre Wut sind sie nicht wirklich losgeworden. Denn der, mit dem sie reden wollten, blieb für sie unerreichbar.
- Eigene Beobachtungen