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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Programmierer über Leistung "Das macht mich wütend"
Die Anforderungen sind hoch, die Arbeitszeiten lang. Deutsche Firmen seien zu wenig bereit, die Leistung ihrer IT-Spezialisten zu honorieren, sagt Softwareprogrammierer Felix Meinhold.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Felix Meinhold, 47, Softwareprogrammierer aus Berlin
"Seit 20 Jahren gebe ich in meinem Beruf Vollgas, meine Erkenntnis aus dieser Zeit: Leistung lohnt sich hier nicht unbedingt.
Ich habe das große Glück, dass mir mein Job unglaublichen Spaß macht, dass ich sehr gut bin in dem, was ich mache. In der Woche kann ich ohne große Probleme 60 bis 80 Stunden programmieren oder darüber nachdenken. Das mag eigenartig klingen, als wäre es eher ein Hobby und dann bekomme ich auch noch Geld dafür. Aber natürlich erwarte ich für die Ergebnisse und den Einsatz, den ich erbringe, auch eine entsprechende finanzielle Anerkennung und Wertschätzung durch meine Auftraggeber.
- Kann Deutschland noch Leistung? Hier finden Sie alle Beiträge der Serie
Programmierer erleben selten Momente, in denen sie sich zurücklehnen und ausschließlich auf ihre langjährige Erfahrung verlassen können. Es gibt ständig neue Anforderungen und Entwicklungen, die teilweise innerhalb von ein paar Monaten passieren. Es ist permanent notwendig, viel Eigenleistung zu erbringen und weiterzulernen. Sonst verpasst man schnell den Anschluss.
Deshalb ist der Spaßfaktor unabdingbar – böse Zungen bezeichnen uns nicht umsonst als Nerds –, denn wenn der wegbricht, gibt es in dem Beruf massive Probleme mit Burnout. Wir verbrennen da viele in unserer Branche. Die, die es bis zur Rente schaffen, sind die, denen der Beruf auch Spaß macht. Mein Vater, der schon länger im Ruhestand ist, programmiert übrigens auch noch.
Zur Person
Felix Meinhold ist 47 und lebt in Berlin. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Softwareprogrammierer. Er war über lange Zeit sowohl angestellt als auch selbstständig für mittelständische Unternehmen in Deutschland tätig. Seit vier Jahren arbeitet er selbstständig für internationale Firmen. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.
Wirkliche Anerkennung und Wertschätzung für diesen Einsatz habe ich allerdings erst erfahren, seit ich begonnen habe, im internationalen Umfeld zu arbeiten.
Solange ich für deutsche Firmen tätig war, lief das anders. Als ich etwa vor einigen Jahren bei einem mittelständischen Unternehmen angestellt war, arbeitete ich an einem riesigen Projekt, für das Millionen geflossen sind – es ging um die komplette Umstellung eines Kunden von Papier auf Digital. Da arbeitet man über Monate hinweg intensiv daran, so etwas umzusetzen. Tag und Nacht war ich mit dem Thema gedanklich beschäftigt, bis die Digitalisierung abgeschlossen war. Und dann gab es zum Dank einen Kugelschreiber mit dem Namen der Firma darauf.
Diese fehlende Anerkennung und die schlechten Rahmenbedingungen sind meiner Meinung nach das Problem – und nicht, dass Leute hier keine Leistung erbringen wollen. Ich konnte mich im Laufe der Jahre zwar beruflich stetig verbessern, und insofern war es bis zu einem bestimmten Punkt auch gut. Aber hätte ich weiter in deutschen Unternehmen gearbeitet, wäre ich aufgrund der starren Strukturen und der fehlenden Bereitschaft, in den IT-Bereich zu investieren, irgendwann wirklich frustriert gewesen.
Natürlich ist es für sie schwierig, angemessene Gehälter für angestellte Spezialisten zu zahlen. Wer in Deutschland eine Firma im IT-Bereich gründen will, bekommt es mit so hohen Lohnnebenkosten zu tun, dass das kaum finanzierbar ist. Viele Unternehmen arbeiten deshalb projektbezogen mit Selbstständigen zusammen. Diesen können sie temporär mehr bezahlen, und sie schlagen sich nicht dauerhaft in den Kosten nieder.
Trotzdem arbeiten viele freie IT-Spezialisten so wie ich lieber für ausländische als deutsche Firmen. Denn da wird die Relevanz für diesen Bereich eher gesehen. Internationale Kunden schätzen die Arbeit, die ich leiste, viel mehr – finanziell, aber auch in Bezug auf das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Es wird zwar weitaus mehr verlangt, aber es wird einem auch mehr zugetraut. Ich habe etwa nie zuvor ein Team geleitet. Mein derzeitiger Auftraggeber sagt: Du leitest jetzt ein Team. Mach einfach.
Digitalisierung in Deutschland
Im weltweiten Länderranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit belegte Deutschland im Jahr 2022 mit einem Indexwert von 85,17 Punkten den 19. Platz – angeführt wird die Liste von Dänemark. Auch die EU-Kommission attestiert Deutschland in einem Bericht zum digitalen Wandel in der EU, dass weitere Anstrengungen erforderlich sind. Doch dafür fehlen vielerorts Spezialisten: Laut einer aktuellen Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom sind in Deutschland 149.000 IT-Jobs unbesetzt. "Zu wenig Fachkräfte und zu viel Regulierung bremsen das digitale Deutschland", sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst.
Oder in Bezug auf die Ausstattung: Deutsche Firmen statten ihre Außendienstler ohne Probleme mit sehr teuren Dienstwagen aus. Mein Dienstwagen – wenn man so will – ist ein guter Computer. Ich arbeite remote, insofern ist das einzige, was eine Firma an Ausstattung für mich aufbringen muss, mein Rechner. Mein letzter deutscher Arbeitgeber gab mir dafür ein Limit von gerade einmal 1.500 Euro – was wirklich wenig ist, wenn man professionell arbeiten will.
Eine amerikanische Firma, mit der ich zuletzt an einem langen Projekt gearbeitet habe, machte dagegen bereits bei der Budgetplanung die Ansage: Nimm das teuerste und größte Gerät, denn wenn du in sechs Monaten nicht weiterarbeiten kannst, weil deine Festplatte voll ist, kostet uns das wesentlich mehr, als wenn du jetzt etwas einsparst. Die Leistung der Projektbeteiligten wird mit allen Mitteln gefördert. Übertriffst du die Erwartungen, bekommst du zudem einen satten Bonus.
Geht es beim Leistungsgedanken nur um den Tausch von Arbeit gegen Bezahlung, erfüllen doch alle, die arbeiten, ihr Soll
Felix Meinhold
Bei dem Leistungsbegriff, den Politiker und die Wirtschaft haben, schwingt immer der Vorwurf mit, dass die Leute nicht mehr bereit seien, Leistung zu erbringen. Das macht mich wütend. Gerade bei Arbeit, die kein Zuckerschlecken oder monoton ist, stellt sich mir die Frage: Was leistet eigentlich die Firma für die Mitarbeiter – außer Werkzeug oder einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen?
Geht es beim Leistungsgedanken nur um den Tausch von Arbeit gegen Bezahlung, erfüllen doch alle, die arbeiten, ihr Soll. Überstunden, besondere Produktivität oder gar Spaß sollten Firmen ohne entsprechenden Gegenwert und entsprechende Wertschätzung nicht erwarten."
- Persönliches Gespräch mit Felix Meinhold
- de.statista.com: "Länderranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit weltweit im Jahr 2022"