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Anschlag auf Weihnachtsmarkt geplant: Wie hoch ist die Terrorgefahr?


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Anschlagspläne in Deutschland
Der Krieg in Nahost kommt nach Deutschland


30.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wurde 2016 zum Anschlagsziel: Der Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. (Quelle: Jens Kalaene/dpa)
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Zwei Jugendliche sollen einen islamistischen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt geplant haben. Wie hoch ist die Terrorgefahr in Deutschland?

Am Dienstag schlugen die deutschen Behörden zu. Zeitgleich wurden in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zwei Jugendliche festgenommen. Sie sollen einen islamistischen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt geplant haben – und das schon am morgigen Freitag. Mehr dazu lesen Sie hier.

Angesichts dessen und des Kriegs im Nahen Osten warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vor einer "jederzeit bestehenden, erheblichen Gefahr" durch islamistische Terrororganisationen und Einzeltäter in Deutschland. Auch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, spricht von einer "komplexen und angespannten Bedrohungslage" und hält insbesondere die Gefahr einer Radikalisierung allein handelnder Täter für "real und so hoch wie seit Langem nicht mehr".

Warum führt der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas hierzulande offenbar zu einer Radikalisierung? Und warum sind gerade Jugendliche von dem Phänomen betroffen? t-online hat Experten zu diesem Thema befragt.

"Sehr aufgeheizte Stimmung"

Die beiden Islamforscher Michael Kiefer und Susanne Schröter teilen die Einschätzung der Innenministerin und des Verfassungsschutzes. "Es herrscht aktuell eine sehr aufgeheizte Stimmung nicht nur in der deutschen Dschihadisten-Szene", erklärt Kiefer im Gespräch mit t-online. Auch Schröter meint, dass der Krieg im Nahen Osten hierzulande "in hohem Maße emotionalisiert" wird.

Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück
(Quelle: privat)

Zur Person

Michael Kiefer (62) ist ein deutscher Islamwissenschaftler. Seit 2021 lehrt Kiefer als Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft mit dem Schwerpunkt muslimische Wohlfahrt an der Universität Osnabrück.

Israel hatte die Hamas im Gazastreifen angegriffen, nachdem die Terrororganisation am 7. Oktober mehr als 1.200 Menschen getötet und etwa 240 Geiseln aus Israel nach Gaza verschleppt hatte. Nach Angaben der Hamas kamen in dem Krieg bislang mehr als 14.800 Menschen im Gazastreifen ums Leben, rund 36.000 wurden verletzt. Die von den Hamas-Behörden genannten Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Radikalisierung im Internet

Die Experten verorten eine Wurzel des Problems der islamistischen Radikalisierung in Videos und anderen Beiträgen, die vor allem in sozialen Netzwerken geteilt werden. Mehr zu dem Thema lesen Sie hier.

Kiefer, der schon das Bundesinnenministerium zum Thema des politischen Islamismus beraten hat, nennt diese Beiträge "hoch emotionalisierend". Tausende Videos würden zum Krieg zwischen Israel und Hamas geteilt. Die Ethnologin Schröter geht noch einen Schritt weiter: "Angesichts des Kriegs in Nahost findet eine emotionale Eskalation statt", sagt sie t-online. Sie werde von ausländischen Regierungen wie etwa jener der Türkei noch weiter befeuert.

Seit dem brutalen Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und den darauf folgenden israelischen Angriffen auf die Terrororganisation hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wiederholt die israelische Regierung attackiert. Erdoğan brandmarkte Israel als angeblichen "Terrorstaat", die Hamas hingegen bezeichnete er als "Befreiungsorganisation".

Jugendliche als Ziele von Islamisten

Die Experten sind sich einig: Die Radikalisierung vonseiten politischer Akteure und im Netz treffe insbesondere Jugendliche. Diese seien dafür "empfänglich", sagt Michael Kiefer. Dass Jugendliche – wie nun offenbar in NRW und Brandenburg der Fall – solche Anschläge planten, sei "kein ganz neues Phänomen", sagt der Experte. Schon zu Hochzeiten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) während des syrischen Bürgerkriegs habe es "Ausreisewellen" radikalisierter Jugendlicher zum IS gegeben. "Die Mobilisierung von jungen Menschen im Netz ist auch auf diese Zielgruppe zugeschnitten."

Laut Susanne Schröter sind Jugendliche leichte Ziele für islamistische Akteure. Sie seien leichter zu radikalisieren, "auch wenn das Phänomen nicht nur die junge Generation betrifft". Das Internet sei dafür ein wichtiger Ort. "Es ist ein großer Raum der Freiheit, in dem die Freiheit aber zu oft ausgenutzt wird."

Islamforscherin Susanne Schröter
(Quelle: privat)

Zur Person

Susanne Schröter (66) ist eine deutsche Ethnologin und Islamforscherin. Schröter leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam und lehrt als Professorin am Institut für Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Insbesondere an deutschen Schulen führe das zu Problemen. "Dort bekommen Lehrer die Aggressivität, die wegen des Nahostkonflikts ihnen gegenüber ausgeübt wird, kaum noch unter Kontrolle", erklärt die Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt. "An die Öffentlichkeit kommt das jedoch kaum."

Versagen deutsche Behörden bei der Terrorbekämpfung?

Vor allem an den Schulen sieht sie deshalb Nachholbedarf der Behörden: "Als größeres Versäumnis sehe ich, dass der Antisemitismus und der Nahostkonflikt an Schulen kaum behandelt wird. Zu oft wird es als Phänomen der Vergangenheit besprochen", so Schröter. Dabei sei muslimischer Antisemitismus, aber auch in der extremen Linken und Rechten ein Problem der Gegenwart.

Zudem kritisiert Schröter, dass Verbote radikaler Organisationen mitunter zu spät umgesetzt worden seien. "Die Behörden waren in den vergangenen Jahren nicht untätig, haben es aber möglicherweise an mancher Stelle versäumt, früher aktiv zu werden. Dazu gehört das Verbot der Organisation Samidoun, das auch früher hätte vollzogen werden können." Innenministerin Faeser hatte Anfang November den deutschen Ableger der Palästinenserorganisation Samidoun mit einem Vereinsverbot belegt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Islamwissenschaftler Kiefer erkennt kein Behördenversagen bei der Bekämpfung von Radikalisierung und Terrorismus. "Die Behörden haben in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen zur Vereitelung von Terroranschlägen in Deutschland unternommen". Auch im jüngsten Fall sei es wieder gelungen, Anschlagspläne zu vereiteln. "Dass der Hinweis von einem Auslandsnachrichtendienst gekommen sein soll, spricht für eine gute Vernetzung der Geheimdienste und nicht etwa dafür, dass die deutschen Behörden untätig blieben."

"Auch Anis Amri war gut vernetzt"

Seiner Ansicht nach sei damit zu rechnen gewesen, dass angesichts des Kriegs in Israel und Gaza radikale Islamisten in Deutschland Anschläge planen würden. "Solange der Krieg andauert, wird die Terrorgefahr in Deutschland präsent bleiben", sagt Kiefer. Anders als Verfassungsschutzchef Haldenwang warnt er davor, die Gefahr nur bei sich radikalisierenden, allein handelnden Tätern zu sehen: "Dass sich Dschihadisten miteinander vernetzen, hat sich in der Vergangenheit immer wieder ergeben."

Ethnologin Schröter pflichtet ihm bei: In den vergangenen Jahren habe es zwar eine Entwicklung von aufwändig geplanten Anschlägen wie 2015 in Paris hin zu Attentaten von Einzeltätern gegeben. "Das bedeutet jedoch nicht, dass die Täter tatsächlich allein waren. Die Vernetzung war immer da. Auch Anis Amri war vor seinem Anschlag am Breitscheidplatz gut vernetzt.“ Amri hatte 2016 mit einem Lkw auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 13 Menschen totgefahren sowie 67 weitere Marktbesucher teilweise schwer verletzt.

Michael Kiefer sieht Weihnachtsmärkte als Orte mit hoher Symbolik für Dschihadisten. "Der Weihnachtsmarkt als mutmaßliches Anschlagsziel ist ein Ort, an dem die Gesellschaft extrem verwundbar ist", so der Islamwissenschaftler. Vollumfänglich zu schützen seien die Orte nicht: "Man kann nicht überall in der Stadt Betonblöcke aufstellen, um die Gesellschaft zu schützen", sagt Kiefer. "Insgesamt ist es nicht verwunderlich, dass die Tatverdächtigen sich nun offenbar dieses Ziel ausgesucht haben.“

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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