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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grüne in der Ampelkrise "Das kann wirklich niemand wollen"
Der Bundesregierung fehlen plötzlich viele Milliarden Euro, die gängige Haushaltspraxis steht in der Kritik. Was heißt das für die Bundesländer? Ein Gespräch mit Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz.
Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt, Klimakrise – und als wäre das nicht schon genug, fehlen der Politik plötzlich viele Milliarden Euro. Wie wirkt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konkret bei den Menschen, in den Bundesländern aus? Und was müssen die vielen Krisen für die Politik der Grünen bedeuten, die sich ab Donnerstag in Karlsruhe zum Parteitag treffen? Darüber spricht Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) im Interview mit t-online.
t-online: Herr Bayaz, wie viele Sorgen machen Sie sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um Ihren Haushalt in Baden-Württemberg?
Danyal Bayaz: Wir schauen uns das Urteil sehr genau an. Es ist wegweisend und betrifft die Grundsätze der Haushaltspolitik. Was ich jetzt schon sagen kann: Wir haben keine Corona-Kredite umgewidmet. Und wir haben auch keine Sondervermögen, Schattenhaushalte oder andere Tricksereien angewandt.
Was muss die Bundesregierung jetzt tun?
Es ist eine komplizierte Lage für die Ampel. Ihr wurde die finanzielle Geschäftsgrundlage entzogen. Jetzt braucht es kurzfristige wie auch mittelfristige Lösungen. In jedem Fall muss Schaden für die Menschen und Unternehmen im Land abgewendet werden.
Was sollte kurzfristig passieren?
Für dieses Jahr könnte erneut die Notlage erklärt werden. Damit würde die Schuldenbremse ausgesetzt, und mit einem Nachtragshaushalt könnte die Ampel den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden.
Der Grünen-Politiker Danyal Bayaz ist seit 2021 Finanzminister in der Landesregierung von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Bayaz, 40 Jahre, war von 2017 bis 2021 Bundestagsabgeordneter und machte sich dort als Finanzpolitiker und Obmann im Wirecard-Untersuchungsausschuss einen Namen. Vorher hat er als Berater bei der Boston Consulting Group gearbeitet.
Um die Notlage auszurufen, braucht es objektive Gründe. Liegen die vor?
Ja. Das Krisenjahr 2022 ist noch nah, die Folgen hoher Energiepreise und der Inflation spüren wir nach wie vor. Wir stecken in einer Rezession, das Bruttoinlandsprodukt sinkt. Das rechtfertigt die Notlage, so sehen es auch viele Experten. Ob diese Argumente aber auch für eine weitere Notlage 2024 ausreichen, wie manche nun andeuten, wird man sehen müssen. Die Notlage darf kein beliebiges Instrument werden.
Was braucht es stattdessen?
Für das nächste Jahr muss alles auf den Prüfstand. Da hilft es nichts, wenn irgendwer etwas von vornherein ausschließt. Die Ampel wird Prioritäten setzen müssen, da sollten auch wir Grüne keine Denkverbote aufstellen. Was für mich klar ist: Die Zukunftsprojekte dürfen nicht hinten runterfallen.
Was heißt das konkret?
Unternehmen erzählen mir, dass die USA schon angeklopft haben und sagen: Wenn das mit eurer Förderung in Deutschland nicht klappt, seid ihr bei uns willkommen. Das macht mir große Sorgen, diese Unsicherheit muss schnell enden. Und bei einigen Zukunftsprojekten in Baden-Württemberg, die wir als Land kofinanzieren, steht mit dem Urteil nun der Teil des Bundes infrage.
Zum Beispiel?
Wir haben bei uns im Land ein wichtiges Brennstoffzellenprojekt aus dem Automobilbereich. Wasserstoff ist einer der Schlüssel in der ökologischen Transformation. Wer solche Projekte jetzt infrage stellt, legt die Axt ans Fundament des Wirtschaftsstandorts. Das kann wirklich niemand wollen.
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Muss die Schuldenbremse mittelfristig reformiert werden?
Lassen Sie uns erst mal darauf schauen, was verantwortungsvolle Politik in dieser Zeit alles leisten muss.
Gerne.
Wir müssen die Energieversorgung und den Industriestandort umbauen, wir müssen in Zukunftsthemen wie Forschung und Bildung investieren, und wir müssen eine gute Ausstattung der Bundeswehr gewährleisten, das alles bei steigenden Zinsen. Und das sind nicht nur Aufgaben für ein paar Jahre. Damit werden wir diese und die nächste Dekade zu tun haben.
Und das bedeutet für die Schuldenbremse?
Ich halte sie für eine Errungenschaft und möchte an ihr festhalten. Aber mit den bestehenden Schuldenregeln werden wir die Aufgaben nicht bewerkstelligen. Es braucht eine Möglichkeit, im Rahmen der Schuldenbremse mehr Investitionen zu tätigen. Das muss auch die Union einsehen, die es für eine Verfassungsänderung im Bundestag bräuchte. Denn sie regiert ja in vielen Ländern und will auch im Bund wieder regieren und stände dann vor derselben Herausforderung.
Sollten umweltschädliche Subventionen abgebaut werden, um zu sparen?
Das steht ja schon im Koalitionsvertrag. Allerdings wird man realistischerweise von diesen 60 Milliarden Euro Subventionen im Jahr nicht sofort alles abschmelzen können. Aber beim Dieselprivileg und der Kerosinbesteuerung sollten wir mutiger sein. Der Druck, dort etwas zu tun, ist mit dem Urteil gewachsen. Dazu gibt es ja auch das Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimaschutz, da geht es ebenso um Generationengerechtigkeit, beides müssen wir zusammenbringen.
Was ist mit dem Vorschlag, Infrastrukturgesellschaften des Bundes mit Geld auszustatten, damit die dann investieren können?
Das ist bei der Deutschen Bahn und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben möglich und kann Teil einer Lösung sein. Aber es sollte nicht dazu führen, dass wir den jetzigen Fehler wiederholen und dort neue große Schattenhaushalte schaffen und Aufgaben aus den Kernhaushalten outsourcen. Die ehrliche Diskussion ist die über die Reform der Schuldenbremse. Wir sollten jetzt aber auch nicht so tun, als wären mehr Schulden die einzige Antwort. Wir müssen offener dafür sein, gerade auch bei Infrastrukturprojekten noch viel stärker privates Kapital zu mobilisieren. Dazu hilft es, unnötige Bürokratie abzubauen, damit Planungen beschleunigt werden können und Gelder auch wirklich abfließen können. Unsere Investitionsschwäche ist komplexer als der reine Blick auf die Schuldenbremse.
Mancher fordert, den CO2-Preis aufs fossile Tanken und Heizen nun schneller ansteigen zu lassen. Ist das für Sie ein Weg?
Ja, darüber sollten wir nachdenken, um die marktwirtschaftlichen Kräfte beim Klimaschutz stärker wirken zu lassen. Es war mein Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der damals dafür gesorgt hat, dass der CO2-Preis von lächerlichen 10 Euro auf 25 Euro angehoben wurde, damit er überhaupt mal etwas Wirkung entfaltet. Im vergangenen Jahr hat man die Steigerung dann wegen der Energiekrise gleich wieder ausgesetzt. Es ist gerade bei einem solchen Instrument aber ein Fehler, bei jedem Gegenwind gleich einzuknicken. Ein verlässlicher ordnungspolitischer Rahmen ist zentral für die Entwicklung neuer grüner Technologien und Geschäftsmodelle.
Bei den Grünen gibt es vor dem Parteitag eine Diskussion darüber, wie pragmatisch man in der Regierung sein muss. Ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat kürzlich gesagt, die Grünen gingen den Leuten zu sehr auf die Nerven. Hat er Recht?
Viele Leute sagen: Die Grünen nerven zwar, aber haben auch recht in der Sache. Das höre ich übrigens in guten wie in schlechten Zeiten. Die Situation derzeit ist aber schon eine Besondere.
Inwiefern?
Wir Grünen haben wie alle Parteien Kernthemen. Dazu gehören der Klimaschutz, die Friedenspolitik und eine humanitäre Asylpolitik. Und überall prallt unsere Politik gerade brutal auf die Realität. Sie wird einem Praxischeck unterzogen. In der Friedenspolitik haben wir unsere Zeitenwende sehr gut hinbekommen, da bin ich stolz drauf. In der Klimapolitik und der Asylpolitik sind wir mittendrin.
Was heißt das?
Wir müssen unsere alten Politikkonzepte darauf abklopfen, ob sie heute auch noch stimmig sind. Ich bin zuversichtlich, dass wir darauf neue Antworten finden können. Das können wir, ohne dabei unsere Grundsätze oder gar das Grundrecht auf Asyl aufzugeben. Unseren Markenkern als Stimme der Humanität in der Debatte braucht es nach wie vor.
Die Grünen haben in der Ampelregierung aber doch vieles mitgetragen: die EU-Asylreform, das Abschiebepaket, die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Wo würden Sie sich noch mehr Realität wünschen?
Die Beispiele zeigen erst mal, dass wir die Situation und unsere Verantwortung ernst nehmen. Es ist auch richtig, nicht jeder Scheinlösung zuzustimmen. Aber man sollte es auch nicht von vornherein ablehnen zu prüfen, ob beispielsweise Asylverfahren in Drittstaaten rechtssicher zu machen sind. Ich bin da eher skeptisch. Aber unkonventionelle Lösungen auszuloten, ist ein Zeichen von Pragmatismus. Wir müssen auch zeigen, dass wir unserer Verantwortung nachkommen, das Land zusammenzuhalten.
Annalena Baerbock und Robert Habeck sind 2018 dafür angetreten, die Grüne zur führenden Partei der linken Mitte zu machen, zu einer Bündnispartei. Ist dieser Kurs in Gefahr?
Er ist zumindest zu kurz gekommen in der letzten Zeit. Wir sind auf dem Papier nach wie vor in der erfolgreichsten Zeit unserer Geschichte. Aber es stellt sich die Frage, in welche Richtung es nun weitergeht. Ich sage: Nur mit dem Kurs des Vizekanzlers Habeck, mit dem Kurs meines Ministerpräsidenten können wir erfolgreich bleiben.
Was heißt das für Sie?
Weniger Staatsgläubigkeit, mehr Vertrauen auf Unternehmertum und Erfindergeist. Wir sind vor allem dann stark, wenn wir starke Bündnispartner haben: in der Wirtschaft, bei den Betriebsräten, in der Wissenschaft, in der Zivilgesellschaft. Eine Bündnispartei braucht vitale Bündnisse
Bedeutet das: weniger Progressivität und mehr Pragmatismus?
Nein. Es braucht eine Kraft der Veränderung, das sind definitiv wir Grünen. Es braucht aber auch Stabilität im Wandel. Das müssen wir besser verinnerlichen. Wir müssen die Leute für die notwendigen Veränderungen gewinnen, ihnen unsere Abwägungen erklären. Aber wir dürfen sie nicht überfordern. Das Tempo der Veränderung ist ganz wichtig. Wir stecken in vielen Krisen gleichzeitig, es gibt Anzeichen einer krisenerschöpften Gesellschaft. Deshalb braucht es klare Ziele, aber eben auch eine sanfte Umsetzung, bei der wir niemanden unterwegs verlieren.
Hunderten grünen Basismitgliedern geht es schon jetzt zu langsam. Sie schreiben in einem offenen Brief, die Grünen seien in der Ampelregierung zu einer "Werbeagentur für schlechte Kompromisse" geworden.
Das ist die Sehnsucht nach "Grün pur". Aber es führt uns zurück in die Nische. Rechthaberei führt zu Irrelevanz. Denn es würde am Ende zu weniger Grün führen, weil wir grüne Politik nur in der Regierung umsetzen können. Da muss unsere Partei klüger sein.
Die Kritiker Ihres Kurses sagen: In Hessen hat ein sehr pragmatischer Tarek Al-Wazir bei der letzten Wahl 5 Prozentpunkte verloren und ist aus der Regierung geflogen. Und in Baden-Württemberg liegen die pragmatischen Grünen in Umfragen nur noch bei 22 Prozent und nicht mehr wie 2021 bei mehr als 32 Prozent.
An Tarek Al-Wazir hat es jedenfalls nicht gelegen, er ist einer der besten Minister, die wir haben. Und unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist immer noch in der breiten Mitte sehr beliebt. Der Wind bläst für uns aber gerade von vorne, und das hinterlässt bei allen Grünen Spuren.
Aber warum ist das so?
Uns sollte eines zu denken geben: Markus Söder hat im bayerischen Wahlkampf die absurdesten Geschichten über Grüne verbreitet. Er hat etwa behauptet, wir wollten die Menschen mit veganen Schnitzeln und Insekten zwangsbeglücken. Und das ist bei manchen Leuten hängengeblieben. Wir müssen uns Gedanken machen, warum man den Grünen so etwas überhaupt zutraut. Da ist Selbstreflexion gefragt, wie wir erreichen, dass so etwas gar nicht erst verfangen kann.
Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonisches Gespräch mit Danyal Bayaz