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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rücknahme von Migranten Scholz sucht Hilfe, doch Nigeria hat andere Probleme
In Nigeria will der Kanzler strategische Partnerschaften knüpfen. Es geht um Gaslieferungen und Fachkräfte. Doch bei einem der wichtigsten Themen findet Scholz hier nur wenig Gehör.
Am Sonntagabend fährt der Bundeskanzler durch die wenig belebten Straßen von Abuja. Olaf Scholz hat gerade in Nigerias Hauptstadt Präsident Bola Ahmed Tinubu zum Abendessen getroffen. Jetzt geht es zum Flughafen.
Die Umgebung ist dunkel. Nur vereinzelt leuchten Lichter. Hier und da versammeln sich Menschen vor einem Autoscheinwerfer. Das liegt daran, dass die Hälfte der Bevölkerung in Nigeria keinen Strom hat.
Aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in ihrer Heimat, hoffen viele Menschen aus Nigeria anderswo auf ein besseres Leben – etwa in Deutschland. Das war eines der zentralen Themen von Scholz bei Tinubu, und es hat zwei Seiten, von denen man eine in Afrika nicht so gerne hört.
Nigeria wünscht sich wirtschaftliche Unterstützung
Es ist schon der dritte Besuch des Bundeskanzlers auf dem afrikanischen Kontinent. Der zweite in diesem Jahr. Scholz ist es wichtig, die Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika auszubauen, die in den vergangenen Jahren nur spärlich gepflegt wurden. Unterdessen zeigten China und Russland in Afrika immer mehr Präsenz.
Dabei sind strategische Partnerschaften mit Ländern wie Nigeria wichtig für Deutschland. Etwa, weil die Region reich an Öl und Gas ist. Deutschland benötigt Energiequellen für den Übergang in der Klimatransformation und Scholz dürfte daran gelegen sein, mittelfristig über eine möglichst breite Palette von Anbieterländern zu verfügen. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist mit Russland der größte Gaslieferant weggefallen.
Bei den Gesprächen ging es aber vor allem auch um Fragen der Migration.
Einerseits gibt es, gerade mit Blick auf die Demografie in Deutschland, den Wunsch nach qualifizierten Fachkräften aus den bevölkerungsreichen Ländern. So leben allein in Nigeria rund 220 Millionen Menschen. Die Bevölkerung wächst rasend schnell.
Andererseits muss es der Regierung gelingen, mit mehreren afrikanischen Ländern Migrationsabkommen zu vereinbaren, um die Rückführungen abgelehnter Asylbewerber voranzutreiben. Derzeit leben etwa 12.000 ausreisepflichtige Personen aus Nigeria in Deutschland.
Die Lage in dem Land ist schwierig. Es ist zwar mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 477 Milliarden US-Dollar die größte Volkswirtschaft in Afrika. Dennoch befindet es sich nach wie vor in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Inflation beträgt aktuell rund 21 Prozent. Und rechnet man das BIP pro Kopf runter, sind es gerade mal rund 2.000 US-Dollar. In Deutschland liegt es pro Kopf 25-mal so hoch bei 50.000 Dollar.
Und es gibt viel zu besprechen. Das zeigt sich schon daran, dass am Sonntagabend Scholz und Tinubu auf sich warten lassen, ehe sie von ihrem ersten Gespräch berichten. Der Präsident gibt die Marschrichtung vor: "We are open for business."
Er spricht über die Entwicklung seines Landes, über die vielen jungen, gesunden Menschen, über Investitionen, über Gaslieferungen. Es ist seine Zukunftsvision von einem modernen afrikanischen Staat. Die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber? Spielt darin keine Rolle.
Scholz muss zwei Punkte zusammengebunden bekommen
Wie bekommt Scholz die zwei Punkte also zusammengebunden? Dass auf der einen Seite jene kommen, die im deutschen Arbeitsmarkt dringend gebraucht werden. Zeitgleich aber die, die kein Bleiberecht haben, zurückgehen. Oder gar nicht erst kommen.
Für Ersteres ist der nigerianische Präsident mehr als offen. Immerhin verdienen Fachkräfte, die etwa nach Deutschland auswandern, dort deutlich besser als in ihrer Heimat. Viele von ihnen schicken monatlich Geld – an Freunde, Familie. Es ist eine Einnahmequelle, von der das Land profitiert.
Das Interesse des Präsidenten, Menschen zurückzunehmen, scheint sich dagegen auf den ersten Blick in Grenzen zu halten. Als Scholz den Punkt in der Pressekonferenz anspricht, nimmt Tinubu seine Kopfhörer ab, durch die er die Übersetzung hört. Kurz fragt man sich: Will er von dem Thema nichts wissen? Tatsächlich hat er das Headset wohl nur wegen Tonproblemen abgesetzt.
Man kann es dennoch als Sinnbild sehen. Auf die Nachfrage einer Journalistin will er zunächst nicht antworten. Ob Scholz nicht bereits alles gesagt habe. Am Ende erklärt er widerwillig doch noch etwas: Jeder, der Nigerianer sei, sei in seiner Heimat herzlich willkommen.
Das ist nicht nur vage. Es ist auch strategisch klug. Denn viele der Ausreisepflichtigen haben keine Reisedokumente. Und Deutschland ist darauf angewiesen, dass Länder wie Nigeria mitspielen, wenn es um Papiere für ihre Bürgerinnen und Bürger geht. Der Kanzler hat klare Vorstellungen, wie das funktionieren soll.
"... dann wäre ich nicht nach Deutschland gereist"
Abseits der Pressekonferenz erfährt Scholz in Lagos von einer Nigerianerin mit Deutschland-Erfahrung, was zwischen Abschiebung und Fachkräftezuwanderung oft untergeht: die Bekämpfung der Fluchtursachen. In einem deutsch-nigerianischen Beratungszentrum für Rückkehrer trifft er auf die Frau, die zehn Jahre in München gelebt und auf Asyl gehofft hat. Hätte sie gewusst, wie sie sich hier in ihrer Heimat etwas aufbauen kann, wäre sie nie nach Deutschland gekommen, sagt sie heute.
Wegen dieser Botschaft richtet sich das Zentrum nicht nur an Asylbewerber, die abgeschoben wurden oder nach einem abgelehnten Bescheid freiwillig wieder ins Land kamen. Es soll auch Nigerianerinnen und Nigerianer Perspektiven in ihrer Heimat aufzeigen, damit sie bleiben.
Und wie geht es mit denen weiter, die in Deutschland sind und das Land verlassen sollen? Am Ende seines zweitägigen Besuchs, kurz vor dem Weiterflug nach Ghana, wird Scholz gefragt, wie optimistisch er sei. Ob er glaube, dass der Präsident bei den Rückführungen mit ihm zusammenarbeiten werde? Scholz erwidert, das Gespräch mit dem nigerianischen Präsidenten sei in der Frage "sehr klar" gewesen. "Jetzt geht es darum, aus einer ersten konkreten Verabredung eine rechtlich bindende zu machen."
- Eigene Recherche