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Hamas-Angriff auf Israel: Ahmad Mansour fordert hartes Vorgehen gegen Anhänger


Interview
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Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit?
"Ich halte das für richtig"

InterviewVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 10.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Pro-palästinensische Demonstration in Berlin NeukölnVergrößern des Bildes
Pro-palästinensische Demonstration in Berlin-Neukölln (Archivbild) (Quelle: Sergej Glanze/imago-images-bilder)

Unterstützer der Palästinenser bejubelten in deutschen Städten das Morden der Hamas in Israel. Gegen sie müssen die Behörden strikter vorgehen, fordert der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour.

Palästinensische Hamas-Terroristen jagten und töteten am Wochenende Hunderte Menschen in Israel. Während das Morden noch andauerte, feierten in Berlin-Neukölln und anderen Städten Sympathisanten diese Terrorakte. Nun fordern Politiker ein härteres Vorgehen gegen radikalislamische Palästinenserorganisationen und ihre Unterstützer.

Auch der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour kritisiert, Deutschland gehe nicht konsequent genug gegen solche Kundgebungen vor. Am Telefon erzählt er zunächst, wie sehr ihn die Nachrichten aus Israel mitnehmen. Auch er sorgt sich um seine israelisch-arabischen Angehörigen, die im Zentrum von Israel leben.

t-online: Herr Mansour, was ging in Ihnen vor, als Sie am Wochenende Menschen sahen, die den Hamas-Terror bejubelten?

Ahmad Mansour: Traurigkeit. Ich war einfach nur traurig, dass so etwas immer noch möglich ist. Es braucht ein Mindestmaß an Menschlichkeit, um so eine Gräueltat nicht zu feiern. Man kann Israel für seine Politik kritisieren, das tue ich auch, sie nicht gut finden. Aber man kann doch nicht das Abschlachten von Zivilisten bejubeln.

Hat Sie dieser Jubel überrascht?

Nein, überhaupt nicht. Mich überrascht nur, dass die Politik und die Gesellschaft offenbar immer wieder von Neuem davon überrascht ist. Wir haben solche Proteste und Kundgebungen schon so oft erlebt, jedes Mal, wenn die Situation im Nahen Osten eskaliert. Und immer wieder werden dort auch antisemitische Parolen verbreitet. Es wird dann oft die Gewalt, die von Israel ausgeht, angeprangert. Aber am Wochenende wurden 700 friedliche Menschen einfach so abgeschlachtet, ohne dass Israel in Gaza irgendetwas getan hat. So etwas zu feiern, zeigt, wie tief der Hass sitzt.

Wie verbreitet ist dieser Hass?

Es gibt wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen doppelt so häufig vorkommt wie in der Mehrheitsgesellschaft, also bei 40 bis 50 Prozent. Wir sehen auch eine Zusammenarbeit mit linken Gruppierungen. In sozialen Medien mischen sich zudem antisemitische mit rechtsradikalen und arabischen Erzählungen. In meiner Arbeit mit Jugendlichen gibt es kein anderes Thema, auf das wir so viel Energie verwenden müssen wie auf den Nahostkonflikt und Israel-bezogenen Antisemitismus.

Was kann, was muss dagegen getan werden?

Zum einen: Wir müssen viel mehr über den Nahostkonflikt aufklären. Lehrer müssen dazu befähigt werden, didaktisch und pädagogisch die Komplexität, die historische Dimension und die politischen Hintergründe zu vermitteln. Auch was die Hamas bedeutet oder die Hisbollah. Für viel zu viele junge Menschen sind die Juden und Israelis die Täter und die Palästinenser die Opfer. Sie wissen nichts darüber, wie es zur Gründung Israels gekommen, wie der Konflikt entstanden ist, warum Israel handelt, wie es handelt.

Und zum anderen?

Wir brauchen mehr Medienkompetenz und müssen etwas gegen die Propaganda in den sozialen Netzen tun. Terrororganisationen wie die Hamas und ihre internationalen Unterstützer können ihren Hass einfach verbreiten. Deshalb brauchen wir digitale Sozialarbeiter, und auch die Zivilgesellschaft ist gefragt. Wir merken ja, dass wir viele Leute verlieren, dass die Demokratie nicht mehr attraktiv ist und die Populisten einfaches Spiel haben, alle Sorten Menschen in sozialen Medien zu gewinnen. Wir brauchen ein systematisches, flächendeckendes Konzept dagegen. Aber auch strafrechtlich müssen wir gegen solche menschenverachtenden Kundgebungen strikter vorgehen.

Der Psychologe Ahmad Mansour.
Der Psychologe Ahmad Mansour. (Quelle: Jörg Carstensen/dpa./dpa)

Ahmad Mansour

Der Psychologe, geboren 1976, ist arabisch-palästinensischer Israeli und Deutscher. Seit 2004 lebt er in Berlin. Er arbeitet für Projekte gegen Extremismus und Antisemitismus. Anfang 2018 gründete er die Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, die Projekte gegen muslimischen Extremismus und Antisemitismus für junge Menschen anbietet. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz, den Carl-von-Ossietzky-Preis und das Bundesverdienstkreuz.

Gegen drei der Männer, die am Wochenende in Berlin-Neukölln Süßigkeiten verteilt haben, um damit die Terrorakte zu feiern, wurde Strafanzeige gestellt.

Ja. Aber was passiert dann mit ihnen? Solche Verfahren haben oft zu wenig Konsequenzen, sie dauern zu lange. Dabei muss das schnell gehen, nicht erst dann, wenn der Zusammenhang schon fast vergessen ist. Direkte Strafen müssen auch wehtun, nicht nur so ein paar Sozialstunden. Wer auf solchen Demos antisemitische Aussagen tätigt, muss mit Repression rechnen. Der Rechtsstaat kann das. Es geht mir nicht um die Verschärfung von Gesetzen, sondern ihre konsequente Anwendung. Und wir müssen radikale pro-palästinensische Vereine wie Samidoun, der am Samstag in Neukölln die Süßigkeiten verteilt hat, verbieten.

Unionspolitiker wie der Generalsekretär Carsten Linnemann bringen einen Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit für Beteiligte ins Spiel, die eine doppelte besitzen.

Ich bin offen, darüber zu diskutieren. Wenn das keine Parolen sind, sondern etwas, was man auch durchsetzen kann, dann halte ich das für richtig. Das sind Leute, die auf unsere historische Verantwortung, auf unsere Erinnerungskultur und Grundwerte spucken. Das sind keine Straftaten, vor denen wir die Augen verschließen dürfen. Da geht es um unser Zusammenleben. Wenn wir wirklich unser historisches Erbe ernst nehmen, dann müssen wir denjenigen, die da nicht mitmachen möchten, Konsequenzen aufzeigen.

Und was soll mit deutschen Antisemiten geschehen?

Die Frage kommt immer. Auch bei denen müssen wir Repressionen anwenden, die sie hart treffen. Ich bin der Meinung, da, wo wir Möglichkeiten haben, müssen wir sie auch nutzen.

Sie kritisieren auch die Reaktion der Muslimverbände in Deutschland. Was werfen Sie ihnen vor?

Ich werfe den großen Muslimverbänden wie dem Zentralrat der Muslime, Milli Görös oder DITIB (muslimischer Dachverband von bundesweit 896 Ortsgemeinden Anm.d.Red.) vor, dass sie das Abschlachten von 700 unschuldigen Menschen durch die Hamas nicht ohne Wenn und Aber verurteilen. Sie relativieren, schreiben etwas von ja, aber Israel übt auch Gewalt aus ... Das ist kein verantwortungsvolles Verhalten von Leuten, die Partner für die Politik sein wollen. Die Politik muss endlich die Realität anerkennen und die Naivität aufgeben, wenn es darum geht, wer die richtigen Partner im Kampf gegen Antisemitismus sind und wer Teil des Problems ist. Die großen Muslimverbände sind Teil des Problems.

Sie vertreten auch nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland, oder?

Nein. Sie vertreten höchstens 20 Prozent. Es gibt auch kleine Moscheevereine, die sich ganz anders verhalten und nicht nur nach außen von Demokratie, Integration und Menschenrechten sprechen und dann nach innen ganz andere Werte vermitteln. Vor allem aber gibt es viele Muslime in Deutschland, die in aller Deutlichkeit diesen Terror der Hamas verurteilen – obwohl sie dadurch Probleme in ihren Familien und Communitys bekommen.

Auch Sie werden gerade wieder sehr angefeindet.

Ja. Aber ich bin das gewohnt. Mein palästinensisches Heimatdorf, das im Zentrum von Israel liegt, kann ich schon länger nicht mehr besuchen. Ich gelte da als Verräter und Nestbeschmutzer, als Islamhasser und Unterstützer des israelischen Geheimdienstes Mossad. Aber ich werde auch von vielen aus der linken Ecke angegriffen, die finden, ich übertreibe.

Warum machen Sie trotzdem weiter?

Weil ich aus diesem Konflikt gekommen bin, weil ich die Tragweite dieses Hasses gespürt habe und weil ich absolut überzeugt davon bin, wenn die Palästinenser eine bessere Zukunft haben wollen, dann gibt es nur den Weg der Versöhnung, der Zusammenarbeit und der Koexistenz. All das, was die Palästinenser seit 75 Jahren versuchen, hat nichts gebracht und wird auch nichts bringen. Im Gegenteil. Es wird noch mehr Elend, noch mehr Kriege und noch mehr Verluste mit sich bringen. Deshalb bin ich als Mensch, als Palästinenser und als Deutscher überzeugt, in diesem Moment auf der Seite Israels stehen zu müssen.

Herr Mansour, danke für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Ahmad Mansour
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