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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grüne in Ampelkoalition Lassen sie es knallen?
Nach dem Veto von Familienministerin Paus gegen ein geplantes Gesetz von Christian Lindner rumort es in der Ampelkoalition: Bremsen die Grünen künftig die Regierung aus? Die Angst vor einer "zweiten FDP" ist groß.
Die politische Attacke erreichte Lisa Paus über die Medien und sie erreichte sie schriftlich. Christian Lindner, der Bundesfinanzminister, sagte am Donnerstag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Es ist nicht hilfreich, ganz unterschiedliche Vorhaben sachfremd miteinander zu verknüpfen." Er schob nach: "Die logische Voraussetzung einer neuen Leistung wie etwa der Kindergrundsicherung ist, dass wir überhaupt eine prosperierende Wirtschaft haben."
Denn darum geht es in dem Streit, der diese Woche die Ampel erschütterte: Familienministerin Lisa Paus hatte ein von Lindner geplantes Gesetz zur Entlastung der Wirtschaft am Mittwoch im Kabinett blockiert. Sie ist der Ansicht, dass vorher die Finanzierungsmittel für die von ihr geplante Kindergrundsicherung erhöht werden sollten. Ihrem Kollegen Lindner teilte sie nun, ebenfalls via "FAZ", mit: "Immer wieder heißt es, wir müssten erst mal erwirtschaften, was wir verteilen können." Dabei sei es doch umgekehrt: "Wir brauchen gute Rahmenbedingungen für Familien, auch damit Eltern überhaupt erwerbstätig sein können."
Es knirscht in der Ampelkoalition wie in einer Kiesgrube. Die Minister streiten sich am Kabinettstisch und kommunizieren am Tag darauf über eine Tageszeitung. Alles wirkt festgefahren. Der Grund ist vor allem Lisa Paus, die von ihrem Festhalten an mehr Geld für die Kindergrundsicherung nicht abrücken will – in der FDP stellt sich mancher eine reine Verwaltungsreform als ausreichend vor.
Äußerung von Lindner sorgt für Heiterkeit
Wer sich in diesen Tagen bei den Grünen umhört, für den zeichnet sich das Bild einer Partei, die jetzt die richtige Lautstärke sucht. Für die einen, die vor allem im "Fundi"-Lager stehen, ist die Blockade von Paus genau das richtige Signal. Endlich sagt es mal eine. Die anderen glauben, dass Paus mit ihrem Verhalten den Ruf der ganzen Koalition beschädige – nur weil die FDP oft bremse, müsse man das ja nicht genauso handhaben.
Und so ergibt sich ein Kampf darum, ob man nun in ein ähnliches Horn wie die Liberalen stoßen will. Dass ausgerechnet Christian Lindner davon redet "unterschiedliche Vorhaben miteinander zu verknüpfen", sorgt bei manchen Grünen für eine gewisse Heiterkeit. Gern wird nun daran erinnert, wie die FDP in den vergangenen anderthalb Jahren die Grünen immer wieder unter Druck gesetzt hat. Mithilfe der Verknüpfung von unterschiedlichsten Themen.
Denn die Streitigkeiten in der Ampelkoalition entzünden sich vor allem zwischen der Ökopartei und den Liberalen. Sie können sich nicht einigen, Kanzler Scholz wirkt bisweilen wie ein Schlichter in den politischen Gesprächen. Es ist die Rolle, in der er sich selbst auch gern sieht. Doch die Grünen nervt zunehmend der Eindruck, dass sie nicht mehr der "Lieblingspartner" des Kanzlers sind. Egal, ob es der Streit um den Tankrabatt und das 49-Euro-Ticket war, das Verbrenner-Aus in der EU, die Schuldenbremse und der Autobahnausbau – häufig drückte die FDP den Themen ihren gelben Stempel auf. Und Scholz ließ sie gewähren.
Das Durchsetzen der FDP hat man bei den Grünen nicht vergessen
Besonders dramatisch spitzte sich die Lage beim sogenannten "Gebäudeenergiegesetz" zu, oft "Heizungsgesetz" genannt. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck präsentierte zunächst einen groben Entwurf, daraufhin folgte innerhalb der FDP ein Aufstand, angeführt vom Abgeordneten Frank Schäffler, eigentlich ein Hinterbänkler. Sogar die Parteiführung wurde davon auf einem Parteitag überrumpelt – doch am Ende setzten sich Schäffler und seine Mitstreiter durch. Habeck lenkte ein. In der FDP war danach nicht nur von einer Überarbeitung die Rede, sondern davon, dass es ein "ganz neues Gesetz gebe". Das hat man bei den Grünen vor allem im "Fundi"-Flügel nicht vergessen.
Auch, dass die FDP eine zumindest kleine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken durchsetzte, stieß vielen dort bitter auf. Mit der Blockade von Lisa Paus finden manche nun eine Art Ventil, ihren Zorn auf die FDP zu kanalisieren: Wie du mir, so ich dir. Ein Abgeordneter fasst es so zusammen: "Was die FDP kann, können wir schon lange." Zitieren lassen will sich niemand mit solchen Sätzen. Andere sehen kritisch, dass Paus mit ihrer Blockade den eigenen grünen Wirtschaftsminister düpiert. Robert Habeck hatte dem Wachstumschancengesetz bereits zugestimmt.
Doch die Unterstützung für Paus ist dennoch groß. Erhard Grundl, bayerischer Bundestagsabgeordneter der Grünen, sagte t-online: "Der Vorschlag von Lindner hätte auch sonst nicht nur Zustimmung gefunden." Und: "Wir müssen selbstverständlich was bei der Wirtschaftspolitik tun, dürfen aber auch in der Sozialpolitik die Aufgaben nicht aus dem Blick verlieren. Ich stelle jedenfalls keine Verwerfungen nach dem Veto von Lisa Paus in unserer Bundestagsfraktion fest."
"Die Fachminister werden sich zusammensetzen müssen"
Der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke sagte t-online: "Es geht um die Frage der Priorisierung: Steht die Familienpolitik oder Wirtschaftspolitik im Vordergrund. Wir brauchen aber beides. Kinderarmut ist ein reales Problem in diesem Land und auch dafür muss ausreichend Geld da sein." Der grüne Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar sagte: "Die Fachminister werden sich zusammensetzen müssen und eine gemeinsame Lösung finden."
Den Kurs von Lisa Paus finden viele in der Partei gar nicht schlecht. Es sei natürlich ungünstig, so wird hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass ausgerechnet gegen Ende der Sommerpause eine grüne Ministerin als die Verhinderin von Koalitionsvorhaben dastehe. Aber das könne man eben nun nicht ändern, der FDP habe das ja bekanntlich auch nicht geschadet.
Gudrun Lux ist Stadträtin in München, in Bayern wird im Herbst ein neuer Landtag gewählt. Sie kennt die Stimmung an der Basis, sie kennt das Problem. Lux sagt: "Generell ist demokratischer Streit ja etwas Gutes: Wir ringen um die besten Lösungen. Da braucht's dann natürlich immer auch Kompromisse und zu denen müssen alle bereit sein." Lux sieht die Blockade von Paus skeptisch, sie ist im "Realo"-Lager ihrer Partei. Wenig Begeisterung dürfte Paus auch bei den Parteifreunden in Hessen ausgelöst haben. Auch hier wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Der Eindruck, dass man in Berlin Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft blockiert, ist für die mit der CDU regierenden Grünen nicht eben hilfreich.
Im Realo-Lager verweist mancher zudem entsetzt auf die gestiegenen Umfragewerte der AfD. Eine zerstrittene Regierung sei nun das Letzte, womit man punkten könne, sagt mancher. "Familienministerin Paus sind 20 Prozent für die AfD in Umfragen noch zu wenig", schreibt der junge FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Teutrine auf der Plattform X, die vormals Twitter hieß. Das Verständnis für den Zorn der "Fundis" ist einerseits groß, andererseits dürfe man es auch nicht übertreiben.
"Ich vermute, dass im Hintergrund sich längst zusammengesetzt wird"
Innerhalb der restlichen Koalition wird bereits diskutiert, wie man mit den nun aufmüpfigen Grünen umgehen soll. Wenn die Partei "wie eine zweite FDP" permanent Gesetze ausbremse, könnte das Regieren zur Unmöglichkeit werden. Kanzler Olaf Scholz hatte bereits im ZDF-Sommerinterview vor wenigen Tagen über die koalitionären Streitigkeiten gesagt: "Ich wünschte mir, dass das im Ton manchmal anders stattfindet, als es in der Vergangenheit war."
Die grüne Stadträtin Lux hält von einer Kommunikation über Zeitungen, wie sie Lindner und Paus am Donnerstag betrieben, jedenfalls nichts. Sie sagt t-online: "Ich denke, statt dass sich jetzt über die Medien gegenseitig Vorwürfe gemacht werden, sollten alle sich wieder zusammensetzen und zusammenraufen. Aber ich vermute, dass das im Hintergrund längst geschieht."
Ende August soll es in Meseberg eine Kabinettsklausur geben. Und eine ist fest davon überzeugt, dass man sich dann geeinigt haben wird. Es ist Lisa Paus. Der "FAZ" sagte sie: "Bis Meseberg sind alle offenen Punkte besprochen und abgestimmt – das gilt auch für die Kindergrundsicherung."
- Telefonate mit verschiedenen Politikern der Grünen