Grünen-Ministerin blockiert Wirtschaftsgesetz Das Kopfschütteln wird größer
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lisa Paus blockiert ein Steuergesetz des Finanzministers – dabei wird das sogar von Robert Habeck unterstützt. Sie löst damit eine neue Koalitionskrise aus. Verrennt sich die Familienministerin?
Es ist eine dünne, schwarze Linie, die an diesem Mittwochmittag die Ampelkoalition beben lässt. Die Linie findet sich auf einer Mitteilung der Bundespressekonferenz und sie streicht einen Termin durch: "Wachstumschancengesetz und Zukunftsfinanzierungsgesetz". Daneben steht: "Termin abgesagt!"
Eigentlich wollte Finanzminister Lindner bei dieser Gelegenheit erläutern, wie er die deutsche Wirtschaft wieder stark machen möchte. Der Entwurf für das "Wachstumschancengesetz" soll die Unternehmen stärken, die Republik nach vorn bringen. Dafür waren etwa sechs Milliarden Euro vorgesehen. Der ganz große Bogen sollte gespannt werden. Daraus wurde nichts. Der Grund für die Absage sitzt mit Lindner am Mittwochvormittag am Kabinettstisch: Lisa Paus. Die grüne Familienministerin hat dem Gesetz ihre Zustimmung verweigert.
Die Blockade stößt allseits auf Unverständnis
Ihre Haltung lässt sich in etwa so zusammenfassen: Für die Wirtschaft sind viele Milliarden Geld vorhanden, doch bei der von mir geplanten Kindergrundsicherung muss gespart werden? Das darf nicht sein.
Dabei hatte sogar ihr Parteikollege, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, Unterstützung für das Lindner-Gesetz angedeutet. Paus blieb hart: Zu wenige Milliarden für die Kinder, keine Milliarden für die Wirtschaft.
Ihre Blockade stößt allseits auf Unverständnis. Nun wird bereits die Frage diskutiert, wie sich die Regierung überhaupt noch auf den Haushalt, der Anfang September in die erste Lesung gehen soll, einigen können soll. Sogar bei den Grünen ist man entsetzt. Paus macht einen solchen Druck, dass sie sich in ihrem Vorhaben verrennen und die Stabilität der Koalition ernsthaft gefährden könnte. Dabei war die Ampel nach der großen Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz und die vielen kleineren doch mit dem festen Vorsatz in die Sommerpause gegangen, fortan einträchtiger zu regieren. Daraus wird nun wohl nichts.
Am Mittwochmittag ist der Groll in der Koalition entsprechend gewaltig. Der FDP-Abgeordnete Peter Heidt sagt t-online: "Wie Lisa Paus im Alleingang dieses Gesetz blockiert, ist mir ein riesiges Rätsel." Der finanzpolitische Sprecher, Markus Herbrand, drückt es noch schärfer aus: "Lisa Paus mauert sich mit ihrer Haltung ein. Wir brauchen eine Lösung in dem Streit, es kann nicht sein, dass alle paar Tage in diesem Spätsommer die Kindergrundsicherung zum Totschlagargument für die Verhinderung aller Gesetze wird, wo es Geld für die Wirtschaft geben soll." Generalsekretär Djir-Sarai sieht das Veto gar als einen "Angriff auf die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland", Fraktionschef Dürr "kann es nicht fassen", zitiert ihn die "Bild"-Zeitung.
Auch aus der SPD kommt scharfe Kritik. Die Vize-Fraktionschefin der Bundestagsfraktion Verena Hubertz sagt: "Das Verschieben des Gesetzes ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Wirtschaft braucht jetzt Maßnahmen. Im Wachstumschancengesetz gibt es einige gute Vorschläge. Daher müssen wir als Ampelkoalition in die Gänge kommen und das parlamentarische Verfahren schnellstmöglich starten, anstatt uns gegenseitig zu blockieren."
Lindner will zwei Milliarden – Paus dagegen zwölf
Von allen Seiten donnert es nur so los. Doch die grüne Familienministerin scheint nicht bereit zu sein, auch nur ein Jota von ihrem Plan abzuweichen.
Wer verstehen will, wieso Lisa Paus die Koalition gegen sich aufbringt, muss das Vorhaben der Kindergrundsicherung betrachten. Der Plan dafür steht bereits im Koalitionsvertrag – jedoch ist dort nicht im Detail ausformuliert, wie das Projekt konkret aussehen soll. Eine Verwaltungsreform mit ein wenig mehr Geld, damit die Leistungen einfacher von Eltern abgerufen werden können – so sieht man es in der FDP. Die finanzielle Hilfe für Kinder müsse grundlegend aufgestockt werden, und zwar um mehrere Milliarden – so sehen es die Grünen. Die Liberalen können sich etwa zwei Milliarden Euro mehr vorstellen, Lisa Paus spricht von zwölf Milliarden. Über Monate ging das Gezerre hin und her.
Vor der Sommerpause präsentierte Christian Lindner seine vorläufige Finanzplanung: Wenig überraschend sind dort für die Kindergrundsicherung zwei Milliarden Euro ab dem Jahr 2025 einkalkuliert. Ein paar Wochen herrschte Ruhe. Nun blockiert Paus das geplante Lindner-Gesetz. Es ist ihre Art zu signalisieren, dass sie gar keine Ruhe haben will.
Die Grünen als neue Partei der Gerechtigkeit
Für Paus ist die Kindergrundsicherung ein persönliches Anliegen. Seit Jahren spricht sie davon, sie punktet mit dem Projekt in der Öffentlichkeit, es soll ihr großer Wurf in dieser Legislaturperiode werden. Doch es gibt noch einen weiteren Grund für ihre Vehemenz: Die Armut von Kindern war eines der grundlegenden Themen ihrer Partei im Wahlkampf vor der Bundestagswahl.
Jedes fünfte Kind in Deutschland lebe in Armut, wurden die Grünen damals nicht müde zu kritisieren, dabei regiere die SPD als angeblich soziale Partei seit Jahren mit und lasse das zu. Mit der Öko-Partei sollte sich das alles ändern: Wir sind der neue Anwalt für soziale Gerechtigkeit, das war in etwa die Haltung. Deshalb sollte es viel mehr Geld für die Jüngsten unter den Armen geben.
Das war jedoch, bevor Russland die Ukraine überfiel, bevor die Energiepreise in die Höhe schnellten und bevor die Inflation wuchs. Allmählich rückt man auch bei den Grünen davon ab, die Kindergrundsicherung in einer Höhe von über zehn Milliarden um jeden Preis durch das Kabinett bringen zu wollen. Vor allem, weil die Koalition die Schuldenbremse ab nächstem Jahr wieder einhalten will und der Spielraum für weitere Ausgaben ohnehin beschränkt ist.
Eine Ministerin als Verhinderin der Hilfe für Unternehmen?
Dass Lisa Paus das Gesetz am Mittwoch blockierte, obwohl Vizekanzler Habeck bereits seine Unterstützung klargemacht hatte, gilt als Affront. So etwas mache man einfach nicht, sie beschädige damit das eigene Führungspersonal, sagt mancher aus der Fraktion. Sonst kämpfen die Grünen geschlossen für ihre Anliegen. Doch jetzt ist die Wut auf Paus riesig.
Auch weil sich so mancher schon öffentlich aus dem Fenster gelehnt hatte und gar mehr als die von Lindner geplanten sechs Milliarden für das Wachstumschancengesetz gefordert hatte. Die Maßnahmen aus dem geplanten Gesetz reichten nicht aus, um die Wirtschaft zu stärken und den Wohlstand zu erhalten, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. "Nötig ist ein Impuls für Wirtschaft, Jobs und Klima. Deshalb halte ich weitere Maßnahmen wie ein Investitionsprogramm für Bauwirtschaft und Industrie für notwendig. Es ist deshalb gut, dass die Koalition sich weiter austauscht." Das klingt nicht danach, dass für die Wirtschaft zu viele Milliarden vorgesehen seien, während es für die Kindergrundsicherung zu wenige seien. Und es klingt auch nicht nach Blockade. Im Gegenteil.
Innerhalb der Öko-Partei sehen einige die Lage so: Während die Bürger sich jeden Tag im Fernsehen die desaströsen Zahlen der deutschen Konjunktur anschauen können, steht nun eine grüne Ministerin als Verhinderin da, als eine, die gegen die notwendige Unterstützung der Unternehmen sei. Paus hat sich bislang nicht geäußert, ob sie ihre Blockade aufgeben will.
Die grüne Finanzpolitikerin Katharina Beck nimmt dagegen Lisa Paus in Schutz: "Die Personalisierung der Diskussion ist nicht das Thema, sondern es geht um relevante und große Entscheidungen für unser Land." Sie fügt hinzu: "Wenn Kinder eine höhere Schulabbrecherquote haben, wozu Armut beiträgt, dann gibt es weniger Fachkräfte – Kinderförderung ist also indirekt auch Wirtschaftsförderung." Ähnlich sieht man das wohl im Familienministerium.
Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht. Zur Not brauche es eben ein Gipfeltreffen der führenden Minister, heißt es intern bei der Ampelkoalition. Die SPD-Politikerin Hubertz dagegen warnt: "Spätestens nach den Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz muss allen bewusst sein, dass es nur gemeinsam konstruktiv nach vorne gehen kann."
- Eigene Recherche
- Unter anderem Gespräche mit Peter Heidt und Katharina Beck