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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Haushaltsstreit im Kabinett Der Unerbittliche trifft die Felsenfeste
Christian Lindner ist sich mit fast allen Ministern darüber einig, wie viel Geld sie im kommenden Jahr ausgeben dürfen. Nur mit Familienministerin Lisa Paus streitet er sich noch immer.
Es klang so, als sei alles gelöst. Als wäre endlich der Knoten durchschlagen worden, als könnten alle aufatmen. Am Dienstag meldete die "Süddeutsche Zeitung": "Die Koalition einigt sich im Haushaltsstreit".
Was? Der größte Streitpunkt innerhalb der Koalition, die konfliktreiche Frage, wofür im nächsten Jahr Geld ausgeben werden soll, wurde einfach abgeräumt? Wirklich? Erst weiter unten im Text stand über den Zwist um die Kindergrundsicherung: "Man sei sich einig, dass dieser jetzt nicht entschieden werde."
Das ist die Zusammenfassung der Meldungen, die aktuell zum Haushaltsstreit kursieren: Der größte Zoff wird einfach vertagt.
Am 5. Juli soll der Regierungsentwurf über den Haushalt für das Jahr 2024 im Kabinett verabschiedet werden. Anschließend wird er in die parlamentarische Beratung gehen, die Haushaltspolitiker sind froh, dass die grundsätzliche Einigung noch vor der Sommerpause geglückt ist. Doch gerade der Streit über die Kindergrundsicherung könnte für die Koalition noch zu einer echten Zerreißprobe werden. Trotz der vorläufigen Einigung könnten der Ampelkoalition turbulente Wochen bevorstehen.
Wer in der Zeit spart, hat in der Not, heißt es
Wer verstehen will, wie der Haushaltsstreit sich so festfahren konnte, muss das Verfahren der jüngsten Monate betrachten. Innerhalb der Koalition stehen sich zwei Lager gegenüber, die ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis davon haben, wie viel Geld ausgegeben werden soll.
Das eine Lager umfasst weite Teile der SPD und die FDP, dort glaubt man – etwas vereinfacht gesagt – dass nach den Jahren der Krise, zunächst mit der Pandemie und anschließend mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, wieder sparsamer gehaushaltet werden muss.
Ja, die Weltlage sei nicht leicht, aber es stehe aktuell eben auch keine Ausnahmesituation wie in den Jahren zuvor an. Die Schuldenbremse solle jetzt wieder eingehalten werden, wie es die FDP schon längere Zeit vorschlägt. Wer in der Zeit spart, hat in der Not, so lässt sich diese Haltung zusammenfassen.
Im anderen Lager befinden sich etliche grüne Minister. Außenministerin Annalena Baerbock gehört dazu ebenso wie Familienministerin Paus. Sie glauben eher, dass sich mit mehr Geld auch die aktuelle Situation besser bewältigen lasse. Eher jetzt noch ein wenig zusätzliche Milliarden investieren, damit man schneller aus der Krise kommt. Anschließend könne dann auch wieder gespart werden. Die Schuldenbremse hat dabei keine Priorität.
Einige Ministerien planten gar nicht erst nach Lindners Vorgaben
Diese Haltungen lagen dermaßen weit voneinander entfernt, dass Finanzminister Christian Lindner die Aufstellung der sogenannten Eckwerte – also der groben Kalkulation, welches Ministerium wie viel ausgeben darf – im Frühling dieses Jahres kurzerhand aussetzte. Das war neu, etliche Jahre lang hatte sich das Verfahren etabliert. Lindner bestimmte stattdessen selbst eine Summe, die jedes Ressort bekommt und mit der im Haushalt insgesamt die Schuldenbremse eingehalten wird. Etliche grüne Ministerien legten eine eigene Planung unter der Lindner-Prämisse aber gar nicht vor.
Und dann, nachdem über Monate wenig Bewegung bei den Positionen zu erkennen war, wurde die Zeit allmählich knapp. Also schaltete sich der Kanzler ein, Olaf Scholz führte in den vergangenen Wochen etliche Gespräche mit Lindner und den einzelnen Fachministern.
Mit Erfolg: Wie der "Spiegel" am Freitag meldet, ist Außenministerin Annalena Baerbock mittlerweile zufrieden. Sie habe eine zusätzliche Milliarde Euro für humanitäre Hilfen haben wollen. Die bekommt sie zwar nicht, dafür allerdings die Zusicherung des Finanzministers, im Notfall Geld aus anderen Töpfen zur Verfügung zu stellen. Eine Art "Flexibilitätszusicherung" sei das, heißt es im Nachrichtenmagazin. Ebenso wird berichtet, dass Karl Lauterbach Einsparungen hinnimmt: Im nächsten Jahr schießt der Bund der Pflegeversicherung eine Milliarde weniger zu.
Von einer zweistelligen Milliardensumme will Lindner nichts wissen
Dass Baerbock eingelenkt hat, ist jedoch noch keine Zusicherung dafür, dass die Grünen nun zufrieden sind. Denn der strittigste Punkt ist die sogenannte Kindergrundsicherung. Darauf hatte sich die Ampelregierung bereits bei ihrem Koalitionsvertrag verständigt. Nur geht die Interpretation dieses Wortes in der Regierung weit auseinander. Die grüne Familienministerin Paus versteht darunter, dass signifikant mehr Geld für Kinder zur Verfügung gestellt wird. Sie spricht von elf bis zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.
Finanzminister Lindner sieht das, ähnlich wie Kanzler Scholz, völlig anders. Er ist überzeugt, dass mit der Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags ausreichend für den Nachwuchs getan worden sei. Besonders in der FDP stellt man sich eher eine Verwaltungsreform vor, mit der die familienpolitischen Leistungen gebündelt werden. Von einer zweistelligen Milliardensumme zusätzlich will man dagegen nichts wissen.
Die Kindergrundsicherung wird ohnehin erst 2025 in Kraft treten. Für die Haushaltsplanung 2024, die aktuell debattiert wird, ist sie daher nicht direkt relevant. Allerdings durchaus für die mittelfristige Finanzplanung. Wie unerbittlich dabei verhandelt wird, zeigt sich, wenn man mit grünen und liberalen Haushaltspolitikern spricht.
"Damit schadet Paus ganz Deutschland"
Bruno Hönel, der für die Ökopartei im Haushaltsausschuss sitzt, sagte t-online: "Ein Haushaltsentwurf, der die riesige Herausforderung der Kinderarmut nicht adressiert – der also keine bedarfsgerechte Finanzierung der Kindergrundsicherung vorsieht – kann aus einer sozialpolitischen Verantwortung heraus keine Zustimmung der grünen Kabinettsmitglieder finden."
Die FDP-Haushaltspolitikerin Claudia Raffelhüschen hält dagegen: "Die Androhung der Grünen, ihre Zustimmung zum Bundeshaushalt 2024 von der Forderung nach elf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung ab 2025 abhängig zu machen, ist nicht hinnehmbar. Lisa Paus versucht leider wieder einmal, mit unseriösen Mitteln Klientelpolitik zu betreiben und gefährdet mit ihren horrenden Forderungen, noch dazu ohne realistisches Konzept, den gesamten Bundeshaushalt. Damit schadet Lisa Paus ganz Deutschland."
Für Familienministerin Paus wiederum ist die Kindergrundsicherung ein Herzensprojekt, der "Süddeutschen Zeitung" sagte sie: "Es ist eine Schande für Deutschland, dass jedes fünfte Kind in Armut aufwächst."
Das ist nun die Gemengelage. Die Worte sind scharf, die Positionen wirken unversöhnlich.
Lindner und Paus stehen sich gegenüber wie zwei Cowboys im Wilden Westen: Keiner ist bereit sich zu bewegen, keiner will einen Schritt weichen – aber beide haben noch nicht den Colt gezogen.
Christian Lindner scheint sich trotzdem sicher zu sein. Am Donnerstag ließ er bereits die Einladung für die Bundespresskonferenz in der kommenden Woche verschicken. Der Titel: "Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027." Es dürfte spannend werden.
- Eigene Recherche