Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt Das steht im Papier für den Flüchtlingsgipfel
Am Mittag wollen Bund und Länder ihren Streit um die Flüchtlingspolitik beenden. Doch der gemeinsame Beschlussentwurf ist kein Einigungs-, sondern ein Streitpapier.
Seit 14 Uhr empfängt Kanzler Olaf Scholz die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Kanzleramt. Doch beim Flüchtlingsgipfel scheint der Weg zu einer Lösung noch meilenweit entfernt zu sein: Im Vorfeld haben sich die Unterhändler von Bund und Ländern in den zentralen Fragen offenbar nicht einigen können – etwa darüber, ob die Bundesregierung mehr Geld für die Flüchtlingsunterbringung zahlt oder nicht. Das geht aus einem entsprechenden Entwurf vor, über den die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Auch t-online liegt das Papier vor.
Das 16-seitige Dokument ist eher ein Streit- denn ein Einigungspapier: Zahlreiche Passagen sind als strittig gekennzeichnet – die entsprechenden Sätze stehen in eckigen Klammern. Das betrifft auch die zentralen Eckpunkte:
- So fordern die Länder dem Entwurf zufolge weiter zum einen die vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete durch Bundesmittel. Zum anderen soll der Bund eine flüchtlingsbezogene monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung zahlen. Zahlen werden nicht genannt. In einem Papier der Finanzministerkonferenz war am Sonntag aber eine nötige Pauschale in Höhe von rund 1.000 Euro genannt worden. Zudem soll sich der Bund an den Kosten für die Integration aller Geflüchteten und die Kosten für unbegleitete Minderjährige stärker beteiligen.
- Mit dem Verweis auf die steigende Zahl von Geflüchteten fordern die Länder der Beschlussvorlage zufolge außerdem ein "Finanzierungsmodell, das sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst", ein sogenanntes "atmendes System".
- Der Bund hingegen weist darauf hin, dass er insgesamt 15,6 Milliarden Euro in diesem Jahr für Flüchtlingsbelange ausgibt, die eigentlich Zuständigkeiten der Länder und Kommunen sind. Aufgenommen wurde dabei der Hinweis, dass der Bund für dieses Jahr jenseits der nahezu vollständigen Kostenübernahme für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge und anerkannten Asylbewerber auch noch Ausgaben für Integrationsleistungen in Höhe von etwa 2,7 Milliarden Euro einkalkuliere. Zugleich betonen die Länder, dass dies noch nicht ausreiche, um die Kommunen zu entlasten.
Der Bund argumentiert nicht nur, dass er ausreichend finanzielle Hilfe leiste. Er hat auch ein Finanzierungsproblem für den Haushalt 2024, weil nach Angaben von Finanzminister Christian Lindner dort noch eine Lücke von rund 20 Milliarden Euro klafft. Die von den Ländern geforderte, dauerhafte stärkere Entlastung bei den Flüchtlingskosten würde das Loch ab nächstem Jahr noch vergrößern. In der Ampelkoalition drängen aber etwa die Grünen auf stärkere Hilfen des Bundes für die Kommunen, während die FDP und Teile der SPD dies ablehnen.
Länder zweifeln an einer grundlegenden Einigung
Die Regierungschefs der Länder sind jedenfalls skeptisch in das Spitzentreffen mit Kanzler Scholz gegangen. Am Vormittag hatten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zu internen Beratungen getroffen.
Dort haben sich die CDU- und SPD-geführten Länder nach Informationen von t-online geeinigt; ein entsprechendes Papier dazu soll erstellt werden. Die Prioritäten der Länder dabei für das Treffen: Mehr Geld vom Bund, aber auch eine langfristige, verbindliche Lösung für die Kostenübernahme. Nicht, dass man in einem halben Jahr wieder streite, heißt es.
Im Anschluss an das interne Treffen äußerten mehrere Länderchefs allerdings Zweifel daran, dass es zu einer grundlegenden Einigung mit dem Bund kommen wird. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als derzeitiger Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sagte dem rbb24-Inforadio: "Das ist ein richtig grundsätzlicher Konflikt, und da habe ich ehrlich gesagt leider nicht die ganz große Hoffnung, dass wir uns in diesem Grundsatzthema heute einig werden."
Nach etlichen Warnungen eines Scheiterns des Gipfels wird in dem Entwurf auch eine mögliche Entwicklung der Verhandlungen am Mittwoch skizziert. Dort findet sich ein Vorschlag, dass die zuständigen Fachminister bis Ende Mai einen Umsetzungsvorschlag unterbreiten sollen.
Liste der sicheren Herkunftsstaaten überarbeiten
Neben Finanzierungsfragen geht es in dem Entwurf auch um die Frage von Abschiebungen und Digitalisierung. Der Bund hat in dem Papier zahlreiche Forderungen wie eine Zusicherung der Länder verankert, dass sie etwa die Digitalisierung der Ausländerbehörden bis Ende 2023 beziehungsweise 2024 vorantreiben und generell die Asylverfahren beschleunigen.
Zudem soll die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten ständig überarbeitet und um die EU-Beitrittsaspiranten Georgien und Moldau ergänzt werden. Dies könnte die Asylverfahren für Antragsteller aus diesen Staaten verkürzen. Auch diese Passagen sind in dem Entwurf allerdings noch mit Klammern versehen, also "strittig" gestellt. Denn die Länder pochen bisher darauf, dass sie nur einer Verständigung über andere Aspekte der Flüchtlingsthematik zustimmen werden, wenn auch die Finanzfragen geklärt sind.
- Eigene Recherchen
- Beschlussvorschlag zur Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 10. Mai 2023 (Stand 9. Mai 2023)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa