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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Einwanderer für Deutschland Die Mission des Kanzlers
Wie löst Deutschland sein Fachkräfteproblem? Beim Besuch in Indien skizziert der Kanzler eine Lösung, die viel mit Einwanderung zu tun hat.
Der Kanzler scheut keine Mühen, das ist die erste Botschaft des Tages. Olaf Scholz fliegt an diesem Sonntagmorgen von Neu-Delhi im Norden in den indischen Süden. Fast drei Stunden dauert das. Und bis Scholz dann an seinem eigentlichen Reiseziel in der Stadt Bangalore ankommt, vergeht eine weitere Stunde Fahrt. Er hätte es leichter haben können.
Doch auf dieser Reise will der Kanzler ein Zeichen setzen. Einen eigenen Tag nimmt er sich für den Austausch mit lokalen Unternehmen in Indien, erst am Nachmittag wird er zurückfliegen. Ihr seid mir wichtig, soll das heißen.
Unterwegs mit einer Manager-Delegation
Die Welt ist im Wandel wegen des Ukraine-Kriegs. Bisherige Probleme treten deutlicher hervor – und einige verschärfen sich. Scholz ist nach Indien gekommen, um Lösungen dafür zu finden. Es geht darum, neue Wirtschaftsbranchen zu erschließen, Handelswege zu ebnen.
Da ist beispielsweise die Rüstungsindustrie, die hofft, auch schwere Waffen künftig nach Indien liefern zu können. Oder Unternehmen, die neue Absatzmärkte für Softwarefirmen finden wollen. Auch deshalb wird Scholz in Indien von einer hochrangigen Manager-Delegation begleitet. Unter anderem dabei: SAP und ThyssenKrupp.
Doch Scholz hat ein besonders drängendes Problem in Deutschland: fehlende Fachkräfte. Die Fachkräftelücke liegt nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft im Zwölf-Monats-Durchschnitt von Juli 2021 bis Juli 2022 für qualifizierte Arbeitskräfte insgesamt bei 537.923 Stellen. Dabei geht es um diverse Branchen, von Krankenpflegern bis zu IT-Fachleuten. Menschen, wie sie zu großen Teilen in Indien ausgebildet werden und leben. Zumindest bislang. Scholz will gern, dass mehr von ihnen nach Deutschland kommen, um dort zu arbeiten. Bereits im letzten Mai, als der indische Premier Modi in Berlin war, vereinbarte er mit Scholz eine Mobilitäts- und Migrationspartnerschaft. Nun sollen die Pläne konkreter werden.
Der wichtige Termin des Tages: SAP
Zunächst geht es für Scholz jedoch zu einer Firma, die für sich schon in Anspruch nimmt, die Zukunft gepachtet zu haben: Sun Mobility, ein Hersteller von Elektroakkus, die sich einfach an firmeneigenen Ladestationen gegen neue, volle Akkus auswechseln lassen. Ein Akkukreislauf-Unternehmen, wenn man so will. Scholz wird durch die Anlage geführt, er begutachtet die Produktion. Dort reihen sich Produktionsgeräte, Mitarbeiter stehen an Computern. Das alles geht zügig, es ist nicht das Relevanteste an diesem Tag.
Denn kurz darauf macht Scholz sich auf zum zweiten, wichtigeren Termin des Tages. Dorthin, wo es um die Fachkräfte gehen soll: zum Softwareriesen SAP. Der Kanzler steigt erneut ins Auto, fährt nur einige Meter und steigt dann aus. Er steht auf einem großen, weitläufigen Campus. Innen ist die Einrichtung modern, es sieht ein wenig wie in einer hippen Softwarefirma aus.
Das "SAPLab", wie der Standort heißt, ist die größte Niederlassung der Firma außerhalb von Deutschland. Scholz spricht ausführlich mit Firmenvertretern. Hier arbeiten Menschen, die er gern umwerben würde. In der Ampelkoalition ist Scholz damit nicht allein. Viele glauben, dass man gerade hoch qualifizierte Fachkräfte aus Indien einfacher integrieren sollte. Und dafür im Zweifel auch die Gesetzgebung anpassen müsste.
"His Excellency"
Wie weit Scholz dabei gehen will, sagt er am Sonntagnachmittag nicht. An einer großen Wand leuchtet das Konterfei von Scholz, dazu haben die Inder "His Excellency" geschrieben – das Werben um Fachkräfte lässt den Kanzler schon fast royal wirken. Scholz spricht an diesem Mittag auch mit Vertretern von Start-ups und trifft Menschen, die schon bald nach Deutschland einwandern wollen, um dort zu arbeiten.
Bei seinem Statement gibt sich der Kanzler dann selbstbewusst. Deutschland sei ein Land, das "hier große Wertschätzung genießt", sagt Scholz und meint Indien. So ähnlich wiederholt er das in mehreren Variationen.
Ob Deutschland denn attraktiv genug für die Inder sei, will eine Journalistin wissen. Schließlich seien Einreisen nach Kanada beispielsweise einfacher – und auch die Sprachbarriere sei dort oft weniger vorhanden. Scholz erklärt erneut, Deutschland sei "ein großartiges Land". Und viele würden auch Englisch sprechen, das senke die Hürden. Richtig beantwortet das die Frage zwar nicht. Aber der Kanzler macht den ersten Schritt, damit also aktiv Werbung – und das ist erst mal die Hauptsache.
- Eigene Beobachtungen vor Ort in Bangalore