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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Staatsanwaltschaft will ermitteln AfD-Mann nennt Volker Beck "Pädophilen" und verliert Immunität
Weil er den Grünen-Politiker Volker Beck einen "Pädophilen" und "notorischen Lügner" nannte, will die Staatsanwaltschaft gegen den AfD-Abgeordneten Nicolaus Fest ermitteln.
Der AfD-Europaabgeordnete Nicolaus Fest verliert nach Informationen von t-online seine parlamentarische Immunität. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat am Dienstag in geheimer Sitzung mit deutlicher Mehrheit dafür gestimmt. Grund ist ein Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die laut ihrem Sprecher wegen des Anfangsverdachts der Beleidigung ermitteln will. Grünen-Politiker Volker Beck hatte Fest angezeigt. Für die Ermittlungen hat der Ausschuss nun voraussichtlich den Weg frei gemacht.
Rede im EU-Parlament
Das EU-Parlament muss noch zustimmen, das gilt allerdings als Formsache. In der Regel folgt das Plenum der Empfehlung des Ausschusses. Sergey Lagodinsky (Grüne), stellvertretender Vorsitzender des EU-Ausschusses, bestätigte t-online auf Anfrage das Ergebnis der Abstimmung. Fest sagte t-online, es handele sich um ein "klar politisches Verfahren von der links-grünen Mehrheit im Ausschuss". Beck und "seine Freunde beim Berliner Justizsenator" missbrauchten die Staatsanwaltschaft, "um mir zu schaden".
Der Stein des Anstoßes ist eine Rede von Fest in Brüssel: Der AfD-Abgeordnete hatte den Grünen-Politiker und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck am 10. März 2021 in einer Aussprache des EU-Parlaments zu Kinderrechten als "verkommenes, pädosexuelles Subjekt" bezeichnet. Die Grünen seien verantwortlich für jahrzehntelangen Missbrauch von Kindern, wie eine kürzlich erschienene Studie zeige.
Auseinandersetzung bei Twitter
Mit seinen Vorwürfen bezieht sich Fest auf einen Buchbeitrag von Beck aus dem Jahr 1988. In seinem Artikel für den Sammelband "Der pädosexuelle Komplex" hatte Beck eine Entkriminalisierung von bestimmten sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern gefordert. Als das spätestens 2007 erneut öffentlich wurde, räumte er ein, seinem damaligen Beitrag liege der falsche Gedanke zugrunde, es könne gewaltfreien und einvernehmlichen Sex zwischen Erwachsenen und Kindern geben. Es habe sich um einen "systematischen Irrtum in weiten Teilen der Sexualwissenschaft und auch Teilen der Kriminologie" gehandelt. Dafür entschuldigte er sich später.
Als Monate nach Fests Rede im EU-Parlament noch Videoausschnitte der Aussage in sozialen Medien geteilt wurden, nannte Beck den AfD-Politiker am 10. September 2021 einen "feigen und üblen Verleumder". Er selbst habe sich "in der Einschätzung des Umgangs mit Pädophilen" geirrt und dafür entschuldigt, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. "Das macht mich nicht zu einem Pädophilen." Vielmehr setze er sich seit vielen Jahren für die Bekämpfung sexuellen Missbrauchs ein, hieß es in einem beigefügten Text.
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Auf Becks Stellungnahme reagierte wiederum Fest bei Twitter: "Lieber Herr Beck, warum nennen Sie mich feige? Ich nenne Sie doch in aller Öffentlichkeit einen notorischen Lügner und Pädophilen, der sein projüdisches Engagement nur als Schutzschild benutzt. Schalömchen!" Nach Informationen von t-online sollen allein diese Äußerungen Gegenstand der Ermittlungen werden – da die vorausgegangene Rede im EU-Parlament vor strafrechtlichen Konsequenzen geschützt ist. In seiner Stellungnahme gegenüber t-online erhebt Fest allerdings sogar noch einen weiteren schweren Vorwurf gegen Beck.
Neuer Vorwurf: "Versuchter Prozessbetrug"
"Herr Beck hat im Prozess gegen den 'Spiegel' über Jahre vor mehreren Gerichten behauptet, das Plädoyer für die Aufhebung der Strafbarkeit pädosexueller Taten stamme nicht von ihm, sondern sei vom Verlag hineinredigiert worden", sagte Fest. "Leute, die durch mehrere Instanzen einen Prozessbetrug versuchen und die für die Freigabe von Sex mit Kindern eintreten, kann man mit jedem Recht notorische Lügner, pädophil und verkommen nennen."
Tatsächlich hatte Beck zunächst behauptet, der Text sei vom Verlag unautorisiert sinnentstellend redigiert worden. Nachweislich beschwerte er sich bereits 1988 beim Herausgeber über aus seiner Sicht sinnentstellende Redigatur. Als das Original in einem Archiv gefunden wurde, kam der "Spiegel" allerdings zu der Einschätzung, es gebe so gut wie keine Unterschiede, warf Beck vor, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben, und veröffentlichte den Text komplett.
Anschließend entspann sich ein Urheberrechtsstreit darüber, ob der "Spiegel" sich bei der Veröffentlichung auf das Zitatrecht stützen konnte. Beck unterlag in dem Rechtsstreit. Inhalt und Redigaturen des Aufsatzes waren tatsächlich nicht Gegenstand des Rechtsstreits und zwischen den Parteien unstrittig. Dies ergibt sich aus den Gerichtsurteilen von Bundesgerichtshof und Europäischem Gerichtshof. Fest sieht seine Äußerungen trotzdem von Tatsachen gedeckt.
Beck: "Ungeheuerliche Verleumdungen meiner Person"
Anders bewertet das der ehemalige Abgeordnete Volker Beck: "Fests ungeheuerliche Verleumdungen meiner Person dürfen nicht ungeahndet bleiben", sagte er t-online auf Anfrage. "Sie sind keine Meinungsäußerungen, sondern wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen und meines Erachtens strafbar."
Als besonders problematisch bewertet Beck, dass Fests Äußerungen im Parlament nicht Gegenstand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden sollen. "Es gibt keinen Grund, dass ein Europaabgeordneter gegen Ermittlungen wegen Verleumdungen geschützt wäre und sich hinter der Immunität verstecken können sollte", sagte Beck. Das Grundgesetz schließe "verleumderische Beleidigungen" ausdrücklich von der Straffreiheit für Abgeordnete aus.
Beck kritisiert Parlament
"Dass das Europäische Parlament meint, im Plenarsaal seien Verleumdungen entgegen dem Wortlaut des Grundgesetzes und des Statusprotokolls von der Indemnität geschützt, ist ein rechtspolitisches Problem, dem noch einmal nachgegangen werden muss." Die sogenannte Indemnität ist ein Strafausschließungsgrund und stellt sicher, dass Abgeordnete für Äußerungen im Parlament nicht strafrechtlich belangt werden können.
Fest war vor seinem Wirken in der AfD Kulturchef der "Bild"-Zeitung und stellvertretender Chefredakteur der "Bild am Sonntag". Er verließ die Boulevardzeitung 2014, nachdem sich die Chefredaktion von einem Kommentar distanziert hatte, in dem er den Islam als "Integrationshindernis" bezeichnete. 2016 trat er der AfD bei. Dort gilt er seinen Parteifreunden als Abgeordneter, der gerne hart austeilt.
Die voraussichtliche Aufhebung seiner Immunität ist für ihn die zweite Schlappe innerhalb kürzester Zeit: Erst im Februar trat er als Leiter der neunköpfigen AfD-Delegation im Europaparlament zurück. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er dazu, er habe "kein Vertrauen mehr in die Delegation" gehabt. Aus Kreisen der AfD hieß es, die Delegation vertraue ihm nicht mehr.
- Eigene Recherchen
- VolkerBeck.de: Stellungnahme (2013)