Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tempolimit mit der FDP? Lindners listiger Kuhhandel
Christian Lindner kann sich plötzlich ein Tempolimit vorstellen. Das ist nicht überraschend, sondern taktischer Kuhhandel. Und trotzdem nicht verkehrt.
Andreas Scheuer, der ehemalige CSU-Verkehrsminister, hatte es mal besonders drastisch formuliert. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, behauptete Scheuer, sei "gegen jeden Menschenverstand." Das ist, nicht ganz untypisch für Scheuer, selbstverständlich Unfug. Gegen jeden Menschenverstand ist es, sich in eine Blechkiste zu setzen und mit Tempo 250 ohne Anlass über die Straße zu brettern.
Die Diskussion um ein Tempolimit in Deutschland ähnelt seit Jahren einem Kochtopf auf dem Herd: Es brodelt, ordentlich Druck ist dabei, und schnell wird es hitzig. In der Politik, gerade im konservativ-liberalen Parteienspektrum, galt daher lange: Bloß nicht zu nahe kommen – und erst recht nicht anfassen.
Keineswegs plumpe Parteipolitik
Doch ausgerechnet der FDP-Chef Christian Lindner, selbst begeisterter Porsche-Fahrer, macht es jetzt trotzdem. Lindner sagte dem Politik-Podcast "Lage der Nation": "Ich wäre sofort bereit zu sagen, wir machen in Deutschland ein Tempolimit, wenn die Kernkraftwerke länger laufen". Zack, da ist sie, die Diskussion, die man vor allem in der FDP vermeiden wollte.
Lindners Vorstoß klingt spektakulärer, als er in Wahrheit ist. Der FDP-Chef muss so schnell kein Tempolimit und damit Unmut in den eigenen Reihen fürchten. Denn die Kernkraftwerke werden eben nicht länger am Netz gelassen. Nur mit allergrößter Mühe konnte die Grünen-Führung ihre Partei dazu bringen zu akzeptieren, dass die verbliebenen drei Werke bis April 2023 laufen dürfen. Darüber hinaus noch weiter verlängern? Robert Habeck stände ein parteipolitischer Wintersturm ins Haus.
Schon könnte sich mancher S-Klasse-Fahrer noch umschauen
Das weiß Lindner natürlich. Und sollte es doch anders kommen, wäre das für den FDP-Chef vielleicht gar kein schlechter Deal: Sollten die Grünen sich wirklich zu einer AKW-Verlängerung durchringen können, dann würde umgekehrt die FDP wohl auch ein Tempolimit zähneknirschend hinnehmen. Es wäre ein Kuhhandel – und durchaus nicht der erste in der Ampelkoalition. Der Vorschlag von Christian Lindner ist deshalb keineswegs nur der plumpe Versuch, die Grünen vor sich herzutreiben. Er zeigt, dass etwas Verhandlungsbereitschaft da ist, den brodelnden Kochtopf anzufassen.
An Fahrt könnte die Diskussion im nächsten Frühjahr gewinnen. Wenn dann noch unklar ist, wie die Energieversorgung im Land ohne Kernkraft weiter sichergestellt werden kann, könnte mancher Grüner sich an den Vorstoß von Lindner erinnern. Und schon wäre mancher S-Klasse-Fahrer ausgebremst.
Nun mag mancher laut "Aber die Freiiiiiiiiheit!" rufen. Denen sei gesagt: Die persönliche Freiheit wird nicht so schnell eingeschränkt, nur weil man sich nicht wie ein Möchtegern-Formel-1-Fahrer über die deutschen Autobahnen bewegen darf.
Die Freiheit ist an ganz anderen Stellen bedroht. Es gibt in diesem Land und in der aktuellen Zeit wichtigere Probleme, als sich über ein mögliches Tempolimit zu echauffieren. Viele Menschen wissen nicht, wie sie die explodierenden Strom- und Heizkosten bezahlen sollen. Manche haben berechtigte Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Und das Land steht vor einer Rezession.
Wenn die Armut um sich greift, dann ist die Freiheit in Gefahr. Nicht, wenn das Gaspedal nicht mehr ganz durchgedrückt werden kann. Und wenn die Grünen für ein Tempolimit die Kernkraftwerke eventuell weiterlaufen lassen, weil das nötig ist, wäre der Kuhhandel nur nachvollziehbar. Oder um es, abgewandelt, mit Andreas Scheuer zu sagen: völlig im Sinne des gesunden Menschenverstands.
- Eigene Recherche