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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reaktionen auf TV-Ansprache "Putin ist bereit, Zehntausende in den Tod zu schicken"
Russlands Präsident ruft eine Teilmobilmachung aus. In der deutschen Politik sind die Reaktionen teilweise verhalten, teilweise sehr scharf.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte angeordnet. Noch an diesem Mittwoch soll die Aktion beginnen. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu sollen auf diese Weise 300.000 Soldaten rekrutiert werden. Wie reagiert das politische Berlin auf diesen Schritt?
Union: "Marder müssen umgehend geliefert werden"
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Grünen-Politiker Anton Hofreiter, fordert eine Ausweitung der Unterstützung der Ukraine. Dem Nachrichtenportal t-online sagte Hofreiter: "Putin setzt darauf, dass Europa die Unterstützung für die Ukraine nicht aufrechterhält. Deshalb ist es jetzt entscheidend, dass wir der Ukraine weiterhin militärisch, wirtschaftlich und humanitär helfen. Da, wo es nötig ist, müssen wir unsere Unterstützung noch ausbauen. Dazu gehört auch die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern."
Es jetzt entscheidend, dass wir der Ukraine weiterhin militärisch helfen.
Anton Hofreiter
Hofreiter glaubt, dass die angekündigte Teilmobilmachung von Wladimir Putin eine Reaktion auf die militärischen Erfolge der Ukraine ist. Dennoch zweifelt Hofreiter am Nutzen des Vorhabens: "Die Teilmobilmachung wird allerdings keinen kurzfristigen Einfluss auf das Kriegsgeschehen nehmen, da die eingezogenen Reservisten zunächst auf einen Einsatz vorbereitet werden müssen. Die Entscheidung des russischen Präsidenten zeigt, dass er bereit ist, für seine imperialen Pläne seine Bevölkerung weiterhin zu Zehntausenden in den Tod zu schicken."
Alexander Graf Lambsdorff, Vize-Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag und zuständig für Außenpolitik, erklärt: "Das Ganze ist eine Eskalation aus einer Lage der Schwäche. Und damit wird auch klar, dass die Legende der sogenannten 'Spezialoperation' vorbei ist. Jetzt dürfte auch in Russland klar werden, dass hier ein Krieg geführt wird. Mit der angekündigten Mobilmachung kommt dieser Krieg auch im Westen Russlands wie in St. Petersburg und Moskau an, wo er bislang kaum zu spüren war."
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, wertet die Teilmobilmachung als Zeichen von Putins Schwäche: "Die Krise im Kreml spitzt sich zu. Putin gesteht vor aller Welt ein, dass seine Armee in großen Schwierigkeiten steckt", sagte er t-online. Jetzt komme es darauf an, dass der Westen weiterhin fest an der Seite der Angegriffenen stehe. "Schwere Waffen wie der Marder, der bei der Industrie parat steht, müssen jetzt umgehend geliefert werden.“
Auch Sara Nanni, Obfrau der Grünen im Verteidigungsausschuss, sieht Russland "unter Druck". Die Teilmobilmachung zeige aber auch: "Präsident Putin wird nicht von seinem Plan absehen, sich die Ukraine einzuverleiben. Entsprechend muss spätestens jetzt allen klar sein, dass die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression kein Staffellauf, sondern ein Triathlon ist. Auf die nächsten Tage blicke ich mit großer Sorge."
SPD: Putin setzt Unterstützung der russischen Bevölkerung aufs Spiel
Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte t-online, die Teilmobilmachung stelle eine "neue Eskalationsstufe" dar. "Es ist der verzweifelte Versuch von Putin, das Blatt wieder zu seinen Gunsten zu wenden. Er riskiert damit aber auch, Unterstützung in der russischen Gesellschaft zu verlieren. Denn der Krieg kommt jetzt näher in den russischen Alltag, in die Familien." Aufgrund der Stärke der ukrainischen Armee, auch dank westlicher Hilfe, werde Putin damit aber keinen Erfolg haben.
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Janine Wissler, Parteichefin der Linken, fordert eine unkomplizierte Aufnahme von Menschen, die nun aus Russland fliehen. "Menschenleben werden immer mehr zum Verschleißmaterial eines verbrecherischen Krieges Putins." Nach "offiziellen russischen Angaben" seien bereits 6.000 Soldaten gefallen, "wahrscheinlich noch deutlich mehr", so Wissler. "Menschen, die jetzt aus Russland fliehen, weil sie den Krieg ablehnen und nicht als Reservisten eingezogen werden wollen, brauchen Schutz und Asyl. Deutschland muss schnelle und unkomplizierte Aufnahmemöglichkeiten garantieren."
AfD fordert Verhandlungen mit Putin und Aufrüstung der Bundeswehr
Aus der AfD kommen vor allem Stimmen, die den Westen warnen und Verhandlungen mit Moskau fordern. Der Partei- und Fraktionschef der AfD, Tino Chrupalla, sagte t-online: "Die Nachricht beunruhigt mich sehr. Wir erleben jetzt, wovor ich seit Monaten warne: Die wertegeleitete Außenpolitik der Bundesregierung gefährdet die Sicherheit in Europa." Waffenlieferungen müssten gestoppt, der "Wirtschaftskrieg" beendet werden. "Es ist fünf vor zwölf, um in ehrliche Friedensverhandlungen einzutreten."
Alice Weidel, neben Chrupalla Partei- und Fraktionschefin der AfD, sagte t-online: "In dieser Phase ist es wichtig, dass die Bundesregierung und die Nato-Partner einen kühlen Kopf bewahren." Die Teilmobilmachung sei "kein Anlass für Übersprungshandlungen". Diplomatische Kanäle müssten offen gehalten werden.
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, sagte t-online hingegen: "Das ist ein ernstzunehmender Schritt der weiteren Eskalation und Ausweitung des Krieges." Er fordere die Bundesregierung auf, die Bundeswehr "zu einer glaubhaften Abschreckung zu befähigen".
- Eigene Recherchen