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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt "Das würde zu Proteststürmen in den neuen Ländern führen"
Wofür steht die CDU noch? Und welche Rolle will die Partei als Opposition übernehmen? Ein Gespräch mit dem dienstältesten Ministerpräsidenten Deutschlands, Reiner Haseloff.
Reiner Haseloff ist gut gelaunt in diesen Tagen. Gerade erst wurde er mit dem "Deutschen Mittelstandspreis" für seine Verdienste um den wirtschaftlichen Standort Sachsen-Anhalt und seinen Einsatz für die östlichen Bundesländer ausgezeichnet. Seit 2011 regiert der studierte Physiker, 68 Jahre alt, in Magdeburg als Regierungschef. Er ist der dienstälteste Ministerpräsident in Deutschland. Ein Gespräch mit dem CDU-Politiker über die Neuausrichtung seiner Partei, mögliche Fehler der Ampelregierung – und die Frage, ob seine Frau auch Ministerpräsidentin hätte werden können.
t-online: Herr Haseloff, wofür steht die CDU eigentlich noch?
Reiner Haseloff: Für einen klaren Kurs. Christliche, konservative und soziale Werte sind die drei Säulen, auf denen unsere Partei ruht. Und in den Zeiten der Opposition können wir das noch klarer vertreten. Schlicht, weil wir nicht auf einen Koalitionspartner Rücksicht nehmen müssen. Haben Sie die Rede von Friedrich Merz am Mittwoch im Bundestag gesehen? Das war ein Musterbeispiel für unsere Positionierung.
Was erwarten Sie vom jetzt anstehenden Parteitag?
Wir müssen beim Parteitag klar artikulieren, bei welchen Standpunkten wir aus der Opposition heraus staatspolitisch Verantwortung übernehmen wollen. Und wo wir uns vielleicht auch etwas anders aufstellen möchten als in der Vergangenheit. Deshalb arbeiten wir aktuell an einem neuen Grundsatzprogramm der CDU.
Das erst 2024 fertig werden soll.
Ist das ein Problem?
Haben Sie zwei Jahre Zeit, um sich neu zu positionieren?
Ich bitte Sie, wir gründen ja keine neue Partei. Wir haben schon ein Programm, das wir jetzt etwas anpassen. Aber klar, wir entwickeln uns weiter.
Werden Sie eigentlich für die Frauenquote auf dem Parteitag stimmen?
In dieser Frage orientiere ich mich gern an meiner Frau.
Inwiefern?
Meine Frau war mindestens so erfolgreich im Leben wie ich, wurde vor mir promoviert, ist im Stadtrat aktiv und sitzt in etlichen Ausschüssen. Und sie hält die Quote, wohl auch wegen ihrer ostdeutschen Biografie, für kontraproduktiv.
Ihre Frau wurde nicht Ministerpräsidentin — dieses Amt haben Sie jetzt.
Aber sie hätte ebenso Regierungschefin werden können, glauben Sie mir! Und ganz im Ernst: Ich halte tatsächlich von der Quote nicht sonderlich viel, aber ich werde hier jetzt keine Wahlempfehlung geben. Am Ende entscheidet die Partei. Dass Frauen aber nur mit einer Quote erfolgreich sein können, glaube ich nicht. Im Übrigen hat meine Frau als Zahnärztin die meiste Zeit unseres gemeinsamen Lebens mehr verdient als ich.
Stecken Sie mit der Neuaufstellung der Partei nicht in einer Zwickmühle? Je pragmatischer die Politik der Ampelregierung ist, desto weniger können Sie als Union dagegen sein.
Wie meinen Sie das?
Für das 100 Milliarden-Euro-Paket zugunsten der Bundeswehr haben Sie auch gestimmt.
Schön, dass Sie das ansprechen! Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Der Kanzler hat das vorgelegt – und vier Länder haben ihn dann im Bundesrat bei diesem Gesetz im Regen stehen lassen: Thüringen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Alle vier haben nicht zugestimmt, in allen vier Ländern steht übrigens die SPD mit der Linken in Regierungsverantwortung. Ohne die Zustimmung der CDU-Bundesländer wäre das Geld nie gekommen. Das unterstützten wir – andere Vorhaben lehnen wir ab. Wir haben schon einen klaren Kurs, machen Sie sich da mal keine Sorgen.
Haben Sie das Gefühl, die Bürger kennen diesen Kurs wirklich?
Auf Länder- und Kommunalebene können wir, glaube ich, schon klarmachen, wofür wir stehen. Wir sind nahe an den Menschen und ihren aktuellen Sorgen. Im Bund wird das besser, weil der Wirtschaftsflügel der CDU stärker eingebunden wird. Und selbstverständlich steht die Union für die Verteidigung und Einbindung in die Europäische Union. Wir müssen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen. Da stehen wir im klaren Gegensatz zur AfD, wie die aktuelle Debatte im Landtag von Sachsen-Anhalt gezeigt hat.
Warum?
Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist keine Lappalie. Das hat dort zu einem verheerenden Krieg geführt und europaweit hat ein Wirtschaftskrieg begonnen. Wir müssen unsere Gesellschaft nun zusammenhalten und Bürger, Kommunen und Wirtschaft mit Hilfspaketen stützen. Und dann kommen sogenannte Volksvertreter der AfD bei den Debatten mit scheinbaren Einfachlösungen wie der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 und dem Ausscheren aus der Solidargemeinschaft der EU daher.
Verfängt die Putin-nahe Politik der AfD in den östlichen Bundesländern besser?
Das kann man so nicht sagen. Der Konflikt wird bei uns nicht viel anders betrachtet als im Westen. Diese sogenannte Affinität zu den Russen, die da manchmal intoniert wird, ist nicht belegbar. Fast niemand sehnt sich hier in die DDR zurück. Es geht aber um etwas anderes, warum im Osten die Stimmung jetzt anfängt zu kippen und zu brodeln.
Worum denn?
Wir haben im Osten keinen so langen Vermögensaufbau wie die westlichen Bundesländer. Schauen Sie mal auf die Erbschaftssteuer im Vergleich zu Hamburg – die beträgt dort pro Kopf mehr als das Zwanzigfache vom Aufkommen in Sachsen-Anhalt. Wir hatten nicht so viel Zeit, um uns eine Existenz aufzubauen, uns fehlen schlicht vier Jahrzehnte, die 40 Jahre, bis im Jahr 1989 die Mauer fiel. Die Menschen und Firmen hier sind deshalb kapitalschwächer und viel stärker in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet.
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In Leipzig gibt es bereits wieder erste "Montagsdemonstrationen".
Ja, und allein diesen Begriff zu benutzen, ist ziemlich frech. Aber es waren jetzt vergangenen Montag in Sachsen-Anhalt insgesamt etwa 10.000 Demonstranten, bei 2,2 Millionen Einwohnern. Das ist natürlich nicht wenig und ernst zu nehmen, aber es ist nicht so, dass hier das halbe Land auf der Straße steht. Das ist einfach nicht wahr.
Sind Sie zufrieden mit dem dritten Entlastungspaket der Bundesregierung?
Nein. Was doch fehlt, sind klare Ansagen an die Wirtschaft. Die ganze chemische Industrie, die in Sachsen-Anhalt groß ist, steht enorm unter Druck. Und alle wissen doch, dass wenn die Wirtschaft nicht läuft, auch unser Sozialsystem gefährdet ist. Mir fehlt ein klares Signal der Unterstützung an die mittelständischen Betriebe und das Handwerk. Wenn keine weiteren Entlastungsschritte gerade für kleine und mittlere Unternehmen kommen, gefährden wir die Ergebnisse des Aufbaus Ost. Wenn zahlreiche Unternehmen in die Insolvenz gehen, wäre das eine Katastrophe und würde zu Proteststürmen in den neuen Ländern führen.
Der Verkehrsminister will jetzt mit den Bundesländern über einen Nachfolger des 9-Euro-Tickets reden. Wie viel Geld wollen Sie dafür aufbringen?
Auch wenn es Sie im großstädtischen Berlin überraschen mag: Ich sehe die Notwendigkeit eines solchen Tickets eher nicht. Meine Verkehrsministerin, übrigens von der FDP, sagt mir, dass sie das Geld lieber für Leistungsverbesserungen des Nahverkehrs ausgeben würde. 80 Prozent der Menschen leben bei uns im ländlichen Raum, denen bringt so ein Ticket sehr wenig. Da fehlt einfach oft das Angebot.
Also wird sich Sachsen-Anhalt nicht beteiligen an der Finanzierung?
Diese Entscheidung hängt von den Verhandlungen mit dem Bund ab. Abgesehen davon kann der Bund mir ja mal sagen, welche Sozialleistung ich dafür eigentlich streichen soll. Das Geld fällt ja nicht vom Himmel! Und eine Leistung dauerhaft anzubieten, die sehr teuer ist und nur einem eher überschaubaren Teil der Bevölkerung nutzt, ist nicht sonderlich rentabel. Ich muss noch eines dazu sagen.
Ja?
Wir Länder wissen überhaupt nicht, was der Bund bei diesem Ticket von uns will! Das gilt auch für viele andere Punkte, die nur sehr abstrakt beschrieben werden. Wir haben im Entlastungspaket keine konkreten Vorschläge vorliegen. Ich bin da eher bei Markus Söder, der das auch sehr skeptisch sieht. Aber gut, nächste Woche ist Ministerpräsidentenkonferenz, dann wird es vielleicht klarer, wie das aussehen soll.
Herr Haseloff, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonisches Interview mit Reiner Haseloff