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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittener Führungsstil des CDU-Chefs Die Gefallenen des Friedrich Merz
Friedrich Merz hat als CDU-Chef in kurzer Zeit ein Kunststück vollbracht: Fast alle in der Partei sind sauer auf ihn – und längst nicht nur die, die seine Opfer wurden.
Es war eine Art Anti-Merkel-Gesellschaft, die sich Ende August in einer Videoschalte zusammenfand. "Sechs Monate Friedrich Merz – schafft die CDU die Wende?" lautete der Titel der Veranstaltung, zu der die Sächsische Werteunion und der Berliner Kreis eingeladen hatten, beides Gruppierungen aus dem erzkonservativen Spektrum der CDU. Gastredner: der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der die Programmkommission der Sachsen-CDU im Wahlkampf geleitet und auch schon mal für ein Bündnis mit der AfD geworben hatte.
Die Stimmung war verhalten; das Urteil über die Halbzeitbilanz des Parteivorsitzenden fiel nüchtern aus. Patzelt bemühte sich um Worte der Zuversicht. "Eine Projektionsfläche ist nicht verantwortlich für das, was auf sie projiziert wird", sagte er über Merz. Der neue Parteichef habe das Problem, dass eine Kursänderung einige Zeit brauche. Erst recht, wenn in vielen Parteigremien die Merkel-Anhänger "weiter die Mehrheit" hätten. Aber Patzelt warnte auch: Gelinge es Merz nicht bald, eine Neuausrichtung der Partei zu veranlassen und sich von den "Fehlern der Vergangenheit" zu distanzieren, würde sich bei seinen bisherigen Fans "eine Welle von Frustration ausbreiten bis hin zur inneren Kündigung".
Zwei Rauswürfe in weniger als einem halben Jahr
In der Partei rumort es schon länger. Deshalb ist der Bundesparteitag an diesem Freitag und Samstag ein entscheidender Termin für den CDU-Chef. Die Delegierten werden auch die Frage beantwortet, wie geschlossen die Partei noch hinter dem Mann steht, der gleich drei Anläufe nahm, um endlich Vorsitzender zu werden.
Dabei hatte alles überraschend gut begonnen, damals vor sieben Monaten, als Merz schließlich mit fast 95 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Dass der Neue nach seiner Wahl nicht mit eisernem Besen durch die Parteizentrale, das Konrad-Adenauer-Haus, kehrte, sondern viele Getreue seiner Vorgänger, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, im Amt beließ, sorgte im gegnerischen Flügel für Verblüffung, im positiven Sinne.
Seine eigenen Gefolgsleute fühlten sich damals übergangen. Doch ihre Enttäuschung wurde von der Euphorie überlagert, dass nun der vermeintliche Erlöser Merz die Partei endlich wieder stramm rechtskonservativ positionieren würde.
Von einem Zauber, der vermeintlich jedem Anfang innewohnt, ist in der CDU längt nichts mehr zu spüren. Im Gegentei: Inzwischen hat sich fast überall Frust breit gemacht. Die Kritik reicht von mangelnder Diskussionsfreude in der Fraktion bis zur verschleppten Erneuerung der Parteizentrale. Für besonderes Aufsehen in der CDU sorgt aber immer wieder die Personalpolitik des Vorsitzenden – und vor allem der fragwürdige Umgang mit seinen direkten Mitarbeitern.
Vor einer Woche vermeldete das Nachrichtenportal "The Pioneer", dass Merz seinen Büroleiter Marian Bracht versetzt hat. Ihm wurde ein anderer – noch zu suchender – Posten in der Parteizentrale angeboten. Der 31-jährige Bracht ist ein Merkelianer, war einst Büroleiter im Bundestagsbüro des kanzlerinnentreuen Generalsekretärs Peter Tauber. Er gilt als klug und loyal. Den Job des Büroleiters hatte er erst Anfang August übernommen. Der Quasi-Rauswurf soll für ihn völlig überraschend gekommen sein, wird in der Parteizentrale erzählt.
Grund für die Trennung ist offenbar eine umstrittene Veranstaltung. Am 31. August hatte Merz den republikanischen US-Senator Lindsey Graham in Berlin treffen sollen. Organisiert hatte die Konferenz die rechtskonservative Agentur "The Republic".
Für den geplanten Auftritt wurde Merz nicht nur von den Grünen attackiert. Auch der liberale Flügel seiner Partei sah ihn mit Bauchschmerzen: Graham galt zwischendurch als einer der größten Unterstützter des früheren US-Präsidenten Donald Trump. Als bekannt wurde, dass auch der umstrittene Publizist Henryk M. Broder und der Anwalt Joachim Steinhöfel an der Konferenz teilnehmen sollten, wuchs der innerparteiliche Druck. Broder war im Januar 2019 vor der AfD-Bundestagsfraktion aufgetreten und hatte sich in Umarmung mit Parteichefin Alice Weidel ablichten lassen. Steinhöfel hatte die AfD gegen das ehemalige Parteimitglied Andreas Kalbitz vertreten. Merz war als neuer CDU-Chef mit dem Versprechen angetreten, die Partei von der AfD klar abzugrenzen.
Publizist bezeichnet Merz als "Würstchen"
Anfang August ließ Merz seine Teilnahme an der Veranstaltung absagen, auf Anraten seines Büroleiters Bracht sowie seines Stabschefs Jacob Schrot, wie im Adenauer-Haus erzählt wird. Nun hagelte es auch aus dem rechtskonservativen Lager Kritik: Merz sei "eingeknickt" vor der linken "Cancel Culture", hieß es. Von dem in konservativen Kreisen beliebten "Focus"-Kolumnisten Jan Fleischhauer wurde Merz für seinen Rückzieher als "Würstchen" bezeichnet. Besonders wütend waren die Unterstützer der nun düpierten Agentur "The Republic", die Merz anfangs unterstützte. Gründer und Chef der Agentur ist Armin Petschner-Multari, zuvor Leiter der digitalen Kommunikation bei der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Vermutlich hätte die Personalie Bracht für weniger Aufsehen gesorgt, wäre Merz nicht schon einmal die Büroleitung abhandengekommen. Im April musste Andrea Verpoorten gehen, nach nur neun Wochen auf dem Posten. Verpoorten, früher Schatzmeisterin bei der CDU in Nordrhein-Westfalen und mit dem baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß verheiratet, war im Gegensatz zu Bracht eine leidenschaftliche Unterstützerin der Kandidatur von Merz. Für den Job bei ihm hatte sie eine langfristige Führungsposition bei einem Verband aufgegeben.
"Die Erwartungshaltungen passten nicht", hieß es damals über Verpoortens Abgang. Hinter den Kulissen hört man, dass sie als Büroleiterin keinen Freiraum bekommen habe. Merz sei kaum da gewesen, wenig erreichbar, habe aber trotzdem erwartet, dass alles nach seinen Vorstellungen laufe.
"Auf allen Seiten verbrannte Erde hinterlassen"
Dabei hätte die Parteizentrale nach der turbulenten Zeit mit Annegret Kramp-Karrenbauer und später Armin Laschet an der Spitze dringend eine Neustrukturierung gebraucht. Doch darum habe sich Merz nicht gekümmert. Auch sein neuer Generalsekretär, der Berliner CDU-Politiker Mario Czaja, gilt nicht als einer, der gut führen oder integrieren kann. Allerdings soll er – anders als einige seiner Vorgänger unter Merkel – dafür auch nicht den nötigen Spielraum von seinem Vorsitzenden bekommen.
"Merz hat auf allen Seiten verbrannte Erde hinterlassen", sagt ein enttäuschter Wegbegleiter, der früher eingefleischter Fan des Sauerländers war.
Zumal sich Merz' Zickzack-Kurs nicht nur in Personalfragen zeigt: Erst war er gegen eine Frauenquote, dann hielt er sich bedeckt. Im Juni warb er dann plötzlich für eine Kompromisslösung: Bis Mitte 2025 soll schrittweise eine Frauenquote von 50 Prozent eingeführt werden, die aber bis Ende 2029 befristet sein soll. Bei einem Auftritt auf dem Parteitag der CDU Oldenburg sagte er fast entschuldigend, man "müsse" diese halt machen. Das brachte die Konservativen auf die Palme.
Beim liberalen Flügel sorgte wiederum jüngst die Nachricht für Aufregung, dass der Hamburger CDU-Landeschef und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß in seinem Kreisverband den früheren Hamburger AfD-Fraktionschef Jörn Kruse in die Partei aufgenommen hatte – ohne Rücksprache mit dem Landesvorstand. Nach einer Krisensitzung in Hamburg soll dies zwar künftig nicht mehr möglich sein, aber Kruse darf erstmal bleiben.
In der Bundestagsfraktion, die Merz als Zweitjob ebenfalls führt, herrscht noch Ruhe. Weil er diese so gut im Griff habe, sagen die einen. Weil in der Fraktion unter Merz das Von-oben-nach-unten-Prinzip gelte, sagen die anderen. Entscheidungen treffe das Präsidium, richtige Diskussionen fänden nicht mehr statt.
Der Bundesparteitag am Freitag in Hannover, der erste in Präsenz seit fast drei Jahren, könnte also unruhig für Friedrich Merz werden. Viel wird von seiner Rede abhängen. Es gilt keineswegs als sicher, dass er bei der Abstimmung über die Frauenquote die dafür nötige absolute Mehrheit erhält (501 Stimmen). Scheitert er, wäre er als Vorsitzender beschädigt. Bei der Videoschalte der Anti-Merkelianer im August brachte es der Politikwissenschaftler Patzelt auf den Punkt: "Merz sitzt nicht wirklich fest im Sattel. Er ist allenfalls derzeit alternativlos."
- Eigene Recherchen