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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz Da hilft nur noch Hypnose
Olaf Scholz würde die Cum-Ex-Affäre gerne hinter sich lassen. Die Zweifel an seiner Rolle kann er aber auch diesmal nicht ausräumen.
Olaf Scholz weiß das alles nicht mehr so genau. Daran hat sich nichts geändert, auch bei seinem zweiten Auftritt als Zeuge vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre nicht. "Also was die Erinnerung betrifft", sagt Scholz irgendwann, "wird es natürlich von Tag zu Tag schwieriger." Wer wollte dieser tiefen Wahrheit widersprechen. Aber trifft sich natürlich auch ganz gut für ihn.
Was wusste Olaf Scholz davon, dass seine Stadt Hamburg die Warburg-Bank mit einem Steuerraub in Millionenhöhe davonkommen lassen wollte? Hat er es damals als Erster Bürgermeister gebilligt, wollte er es so? Nahm er mit seinem Senat Einfluss? Darum soll es gehen am Freitagnachmittag im Hamburger Rathaus. Für all diese Fragen wäre ein bisschen Erinnerung natürlich nicht schlecht.
Doch Scholz bleibt bei der Linie, die sich bisher für ihn bewährt hat: Was ich nicht weiß, kann mir nicht schaden. Nur belässt er es diesmal nicht dabei. Er fühlt sich in manchen Momenten offenbar so sicher, dass er zum Gegenangriff übergeht. Wenn es hingegen heikel wird, schiebt er die Verantwortung lieber weit von sich weg.
Lächelnd und winkend
Es ist kurz nach 14 Uhr, als Olaf Scholz breit lächelnd in den prächtigen Plenarsaal der Hamburger Bürgerschaft kommt. "Hallo", ruft er den Fotografen zu und winkt in die Kameras. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, das sei für ihn angenehmer als jede Fragestunde im Bundestag. Dabei muss er sich in den nächsten knapp dreieinhalb Stunden gegen Vorwürfe in seiner größten Affäre verteidigen. Bloß keine Schwäche zeigen, so ist der Frohmut also eher zu interpretieren.
"Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg keinen Einfluss genommen", sagt Scholz schon ziemlich zu Beginn seines Eingangsstatements. Die Sachlage sei "klar und eindeutig", und alles andere sei "falsch" und werde "erkennbar durch nichts und niemanden gestützt". Das weiß Scholz angeblich sehr genau, so wie in den vergangenen Monaten und Jahren auch schon. Denn das sei seine Linie bei allen Gesprächen, die er führe, sagt Scholz. Er gebe keine Auskünfte und er verspreche auch nichts.
Von den meisten anderen Dingen in der Cum-Ex-Affäre will Scholz aber weiterhin so ziemlich gar nichts mehr wissen, was der Opposition dann doch etwas komisch vorkommt. "Das weiß ich nicht." – "Keine Ahnung." – "Weiß ich nicht mehr." Drei Antworten auf drei aufeinanderfolgende Fragen. So oder so ähnlich geht es die meiste Zeit weiter. Dass Scholz auch einen privaten E-Mail-Account besitzt, den er angeblich für die Kommunikation mit seiner Frau und für Urlaubsinformationen nutzt, gehört am Nachmittag schon zu den interessanteren Neuigkeiten.
Drei Stunden und mindestens "50 shades of Weiß-ich-nicht-mehr" später ist der CDU-Politiker Richard Seelmacker so weit, dem Kanzler eine "Teilamnesie" zu bescheinigen. Und ihm vorzuschlagen, das verschüttete Wissen doch vielleicht mit einer "Hypnose" wieder hervorzuholen. Das sei wissenschaftlich durchaus anerkannt, müsse aber freiwillig geschehen, sagt er. "Ich danke Ihnen", sagt Scholz, "dass Sie die Karikatur des Zustands dieser Befragung selber vornehmen."
"Alle möglichen absurden Überlegungen"
Aber natürlich ist längst nicht alles an diesem Nachmittag Karikatur. Es gibt da noch etwas, das Scholz ziemlich genau zu wissen glaubt bei all der Amnesie: dass es nämlich jetzt auch mal gut sein müsse mit dieser elenden Cum-Ex-Sache. Schon sein Eingangsstatement beendet er deshalb mit einem Gegenangriff auf seine Kritiker.
Es seien in der Vergangenheit vor allem "öffentliche Unterstellungen und Mutmaßungen zu hören und zu lesen" gewesen, sagt Scholz. Und erklärt die Untersuchungen in der Cum-Ex-Affäre anschließend einfach mal für beendet. Jetzt, sagt Scholz, "hege ich die leise Hoffnung, dass diese Mutmaßungen und Unterstellungen langsam aufhören. Es ist deutlich geworden, dass sie jeder Grundlage entbehren."
Das Genervte, die Streitlust – sie treten bei Scholz immer wieder hervor an diesem Nachmittag. Darüber kann auch das breite Lächeln zu Beginn nicht hinwegtäuschen. Die Fragesteller müssen sich jedenfalls einiges anhören. Es mache "keinen Sinn", belehrt Scholz zum Beispiel einmal, "dass ich mit Ihnen über irgendwelche Handlungsmotive spekuliere". Ein andermal ätzt er: "Trotz der langen Einleitung haben Sie jetzt eine komische Kurve genommen, wenn ich mir diese flapsige Bemerkung erlauben darf." Auch am juristischen Sachverstand seiner Gegenüber zweifelt er: "Da kommt man nicht mal als Referendar mit durch."
Es sind schon fast dreieinhalb Stunden vergangen, da reicht es Scholz offenbar endgültig. Es würden jetzt "alle möglichen absurden Überlegungen angestellt", sagt er. "Ich finde, es wäre jetzt einfach mal an der Zeit, an der man sagt: Nee, da war nichts."
Die Sache mit der E-Mail
Da war nichts? So leicht kommt Scholz diesmal eben doch nicht davon. Denn Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln und Recherchen von Journalisten haben zuletzt unangenehme Details ans Licht gebracht. Unangenehm deshalb, weil sie sich auf Dokumente stützen, die unabhängig von Scholz' Erinnerung existieren.
Eine E-Mail von Scholz' Büroleiterin Jeanette Schwamberger etwa, die sie dem Scholz-Vertrauten und heutigen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt geschrieben hat. In dieser Mail schreibt sie nach einer Bitte des Untersuchungsausschusses, Kalendereinträge von Scholz herauszusuchen: Es sei "mit Olaf zu diskutieren, wie wir die Termine (Treffen/Telefonate) mit Kahrs, Pawelczyk und Tschentscher 'einsortieren'". Sollten hier Kontakte vertuscht werden? Die Staatsanwaltschaft hielt die Mail jedenfalls für "potenziell beweiserheblich", weil "sie auf Überlegungen zum Löschen von Daten schließen" lasse.
Es wäre ein mehr als heikler Vorgang. Das weiß auch Scholz, der die Sache im Untersuchungsausschuss dann auch weit von sich wegschiebt. Danach gefragt, sagt er, die Sache mit dem Kalender habe seine Büroleiterin Schwamberger "eigenständig bearbeitet". Mit ihm, Scholz, habe sie darüber nicht gesprochen. Er, das ist die Botschaft, hat damit im Zweifel nichts zu tun.
Und auch das ist für Scholz mal wieder: ziemlich bequem.
- Teilnahme an der Sitzung des Hamburger Untersuchungsausschusses am 19. August