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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Putins Invasion: In diesem Krieg entscheidet sich eine neue Weltordnung


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Krieg gegen die Ukraine
Der November könnte Putin zum Verhängnis werden

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 11.07.2022Lesedauer: 4 Min.
Ukrainischer Soldat in zerstörtem Gebäude: Die russische Artillerie ist der ukrainischen weit überlegen.Vergrößern des Bildes
Ukrainischer Soldat in zerstörtem Gebäude: Die russische Artillerie ist der ukrainischen weit überlegen. (Quelle: Agencia EFE/imago-images-bilder)
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Der G20-Gipfel im November kann die Wende bringen. Dennoch: Es bedarf mehr Realismus und weniger Wunschdenken beim Blick auf den Ukraine-Krieg.

Neulich traf ich bei einem der vielen Sommerfeste dieser Tage einen Kollegen einer namhaften Zeitschrift. Wir politisierten, natürlich auch zum Krieg und der Ukraine. "Mit dem Melnyk bin ich so", sagte er einmal und wand seinen Mittelfinger um den Zeigefinger, das gängige Zeichen für Enge und Nähe. Stolz schwang in seiner Stimme. Ein paar Tage darauf ein Treffen mit einem namhaften Kollegen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. "Einen Moment", sagte er plötzlich entschuldigend, weil sein Handy klingelte und er sich abwandte. "Melnyk" war deutlich auf dem Display zu sehen, bevor er den Apparat ans Ohr nahm.

Nun ist Andrij Melnyk bald weg, aus dem Dienst entlassen von Kiew. Ein gut und kritisch geführtes Interview mit dem streitbaren Blogger Tilo Jung könnte ihm zum finalen Verhängnis geworden sein. Wenn Melnyk den meinungsbildenden Kollegen in Berlin nicht so erfolgreich den Kopf verdreht hätte, hätte vielleicht schon früher die Erkenntnis reifen können: Dieser Mann ist als Botschafter untragbar. Die gesichtswahrende Order zurück ins Außenministerium war längst überfällig. Bei allem Verständnis für die existenziellen Nöte der Ukraine: So wie Melnyk kann kein Diplomat agieren, auch nicht in Kriegszeiten.

Das sind nur unsere Wünsche und Sehnsüchte

Wenn nun aber schon einmal der klare Blick auf manche Dinge Einzug hält im Kontext des russischen Überfalls auf die Ukraine, dann ist das der richtige Zeitpunkt für eine zweite Erkenntnis. Sie lautet: Es ist ebenso wünschenswert wie illusionär, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Jedenfalls, wenn man, wie zuletzt Präsident Wolodymyr Selenskyj, dieses Kriegsziel so definiert, dass jeder Quadratzentimeter Boden inklusive der Krim zurückerobert würde.

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Unser Blick auf diese Aussichten ist getrübt von einer Berichterstattung wirkmächtiger Medien, die jeden Abschuss eines russischen Panzers mit einer Schulterwaffe durch einen ukrainischen Infanteristen feiern und so den Eindruck erwecken, der Sieg der Ukraine stünde kurz bevor. Das genügt ausschließlich unseren Wünschen und Sehnsüchten, nicht aber den Erfordernissen einer wahrhaftigen Berichterstattung.

Russland ist an Mensch und Material haushoch überlegen

Denn leider ist es so, das bestätigt auch jeder kundige Militär: Selbst wenn die Ukraine mit Waffen aus dem Westen im Rahmen der Möglichkeiten versorgt wird oder würde: Russland ist an Mensch und Material haushoch überlegen, kann für jeden gefallenen Soldaten zwei nachschieben und für jeden zerstörten Panzer auch.

Das heißt nicht, dass der Widerstand deshalb zwecklos wäre. Jeder Tag, den Russland sich länger festfrisst an der ostukrainischen Front, bringt die russische Autokratie mehr in Not, diese "militärische Operation", wie Kremlchef Wladimir Putin die Invasion nennt, zu Hause weiter zu beschönigen.

Und mit jedem Tag und jeder Woche wird es auch für die Mächte der Welt jenseits der westlichen schwerer, die Augen vor dem zu verschließen, was sich da in Wahrheit abspielt – jenseits aller unverfrorenen Lügen, die Russland verbreitet.

In diesem Krieg entscheidet sich eine neue Weltordnung

Nur darf man sich auch hier keiner Illusion hingeben und sollte einer dritten Erkenntnis zu ihrem Recht verhelfen: In diesem Krieg entscheidet sich nicht nur das Schicksal eines geschundenen Landes. In diesem Krieg entscheidet sich eine neue Weltordnung. Und das ist der Grund, dass beileibe nicht die ganze Welt geschlossen gegen Russland steht. Das tut der Westen, der große Rest der großen Player aber nicht. Indien, China, Brasilien und andere machen eine ausschließlich interessenorientierte und keine werteorientierte Weltpolitik. Das kann und darf man beklagen und kritisieren. Ignorieren kann man es nicht.

Zu diesen bestenfalls neutralen Ländern in diesem Krieg zählt auch Indonesien, das derzeit den Vorsitz bei den G20 hat. Ein Gipfel der Außenminister hat auf Bali nun stattgefunden. In einem ziemlichen Gewürge hatte man das Aufeinandertreffen von Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit seinen westlichen Kollegen mehr schlecht als recht orchestriert. Und das Ganze endete dann aber doch im Eklat, weil Lawrow nach seine Rede und vor der Entgegnung der deutschen Außenministerin wieder von dannen rauschte.

G20-Gipfel im November

So wird das kein zweites Mal ablaufen können. Und das zweite Mal steht schon an. Am 15. und 16. November sollen sich zum Finale des indonesischen Vorsitzes die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen auf der beliebten Urlaubsinsel treffen. Bei Wikipedia steht dazu unter den Teilnehmern neben "Wladimir Wladimirowitsch Putin" ganz selbstverständlich auch der ukrainische Präsident "Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj" als Gast. Im Moment undenkbar, dass die beiden sich an einem Konferenztisch auf Bali gegenübersitzen, als sei nichts.

Der Termin rückt aber näher und setzt unter Handlungszwang. Und das ist nicht nur ein handfestes Problem für die Gastgeber, sondern eröffnet auch eine Möglichkeit. Lawrows Abgang war ein Zeichen der Schwäche. Wer geht, gibt sich eine Blöße. Wer geht, hat offenbar kein Vertrauen in die Kraft seiner Argumente. Und, wie Herbert Wehner einmal legendär gerufen hat, als Unionsabgeordnete den Sitzungssaal des Bundestages verließen: "Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen."

Eine neue Demarkationslinie im Herbst

Die interessengesteuerten Mächte wie China (auf das Riesenreich kommt es am Ende an) werden das wahrnehmen und merken, dass der Ukraine-Krieg als Dauerzustand ihnen vielleicht günstiges Öl und Gas aus Russland vor die Füße spült, das die Europäer nicht mehr abnehmen oder bekommen. Dass aber das Gesamtgefüge der Weltwirtschaftsordnung nachhaltigen Schaden nimmt, der auch ihr Schaden ist.

Jenseits dessen wird sich bis November eine Demarkationslinie an der Ostfront in der Ukraine gebildet haben, auf deren Grundlage man dann in Verhandlungen einsteigen könnte. Diesen Hinweis hatte schon Henry Kissinger unlängst gegeben, der Grandseigneur der Realpolitik im Westen. Dazu passte auch, dass Selenskyj bei einer seiner Schalten mit Nato und G7 überraschenderweise den Herbst als mögliches Ende des Geschehens auf dem Schlachtfeld markiert hatte. Russland wird seinerseits im Blick haben, dass sich die Witterung dann ändert und damit die Bedingungen für diesen Panzerkrieg, weil sich die schweren Waffensysteme im Morast und Schlamm festfahren und leichte Ziele abgeben.

Der November ist gemeinhin ein trüber, dunkler Monat. Dieses Jahr ist ein kleines bisschen Hoffnung erlaubt, dass er einen Schimmer Licht in die derzeitige Düsternis der Welt bringt.

Hier finden Sie alle Kolumnen von Christoph Schwennicke.

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