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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Habeck im Nahen Osten Hier kommt einer, der noch was vorhat
Gas, Öl, Tankrabatt: Daheim türmen sich immer neue Probleme auf Robert Habecks Schreibtisch. Doch jetzt erkundet er für vier Tage den Nahen Osten – warum eigentlich?
Robert Habeck ist vielleicht der letzte Mann in Deutschland, dem es gerade an Aufgaben oder Problemen mangeln würde. Und nun kommt er in Jerusalem gerade vom israelischen Regierungschef und kämpft auf Deutsch und Englisch gegen ein neues Missverständnis.
Die Israelis dachten, der deutsche Wirtschaftsminister komme auf der Suche nach Erdgas. Ein Interessent an einem neuen Gasfeld, womöglich gar an einer neuen Pipeline durchs Mittelmeer. Habeck muss richtigstellen: Deutschland brauche zwar jetzt Gas, doch nicht aus einem Projekt, das erst in Jahren an den Start gehe.
Er will etwas anderes in Israel und er glaubt sogar, dass es etwas Bewegung in den verfahrenen Konflikt zwischen Israelis und Arabern bringen könnte.
Als ob Habeck in der Heimat denn nicht schon genug am Hals hätte. Das Problem mit dem russischen Gas etwa, das ist sein Problem. Alle paar Wochen legt sein Ministerium ein neues Gesetz vor, um die Abkehr irgendwie hinzubekommen. Es gibt viele Fortschritte, aber noch lange keine Lösung für die nächsten Winter.
Habeck droht der schwarze Peter
Der geplante Turboausbau der Windenergie stockt, bevor er überhaupt anfängt. Mehrere Bundesländer stellen dem Minister neue Hürden auf. Und dort, wo es rasch vorangeht – bei der Abkehr von russischem Öl – sorgt man sich in Ostdeutschland um die Zukunft der Raffinerien und um die Versorgung mit Benzin und Diesel. Schon melden sich Landesminister zu Wort und sagen, Habeck sei der Osten egal.
Selbst beim umstrittenen Tankrabatt, den die FDP wollte und von dem Habeck selbst überhaupt nichts hält, droht ihm der schwarze Peter. Die Rufe nach einem Eingriff des Kartellamts werden lauter, weil der begründete Verdacht besteht, die Mineralölkonzerne würden den Rabatt nicht komplett an die Kunden weitergeben. Niemand weiß so richtig, wie genau das klappen soll. Aber klar ist: Fürs Kartellamt ist Habeck zuständig.
Warum jetzt vier Tage Nahost?
Mehr als genug zu tun in der Heimat, und doch nimmt sich Habeck vier volle Tage Zeit, um den Nahen Osten zu bereisen. Warum eigentlich?
Konkreter Anlass ist ein Energiegipfel in Jordanien. Das deutsch-jordanische Treffen fand zum letzten Mal im Jahr 2015 statt. Dort sollen Unternehmen Projekte mit Partnern aus dem Nahen und Mittleren Osten knüpfen können – Wind, Sonne, Wasserstoff: Hauptsache erneuerbar. Für ihn ist das einer dieser Hebel, um die Krisenregion auf einen neuen Pfad zu schicken.
Drumherum hat sich Habeck ein straffes Programm basteln lassen. Am Montag sprach er eine gute Stunde mit Israels Regierungschef Naftali Bennett. Dann machte er eine Tour durch die Ministerien in Jerusalem. Redete mit den Ressortchefs für Auswärtiges, Wirtschaft und Industrie, Energie.
Habecks inoffizielle Mission
Natürlich: Israel ist der wichtigste Verbündete in der Region, ebenso ist Deutschland wichtig für die Regierung in Jerusalem. Deutsche Minister werden in der Regel gern empfangen. Doch Habecks Terminhäufung ist nicht alltäglich. Sie zeigt: Er sieht sich auf dieser Reise in erster Linie nicht als Fachminister, sondern als Vizekanzler. Habeck will sich auf internationalem Parkett zeigen, das ist so etwas wie seine inoffizielle Mission.
Die Gesprächspartner sind so gebrieft, dass sie wissen, hier kommt jemand, der noch etwas vorhat. Zum Dossier über den Grünen dürfte jedenfalls neben den aktuellen sehr guten Umfragewerten (deutlich besser als die von Kanzler Olaf Scholz) die Information gehören, dass sich der Mann aus Norddeutschland selbst sehr gut vorstellen kann, einmal Kanzler zu werden. Das weckt Neugier.
2019 reiste er als Grünen-Chef schon einmal nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete. Ohne Presse oder Regierungsamt. Damals hat sich auch niemand großartig für Energie interessiert. Es ging um den Siedlungsbau und die anderen Dauerstreitthemen zwischen Israel und den Palästinensern. Und Habeck standen noch nicht so viele Türen offen wie jetzt.
Kein weiterer Gas-Shoppingtrip
Nun, glaubt der Vizekanzler, könnte die Zeit für die Energiewende im Nahen Osten wirklich gekommen sein. Sicherheit und Klimaschutz gehören für ihn ohnehin zusammen, gerade in dieser Krisenregion, wo die Emissionen weiter steigen und die Wasserpegel dramatisch fallen, könne man das sehen. Vorsichtig formuliert er seine Hoffnung, dass neue Energiepartnerschaften Bewegung in den verfahrenen Nahostkonflikt bringen könnten.
Als weiteren Gas-Shoppingtrip, wie ihn Habeck im März in Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate unternahm, will er diese Reise nicht verstanden wissen. Deshalb die ausdrückliche Richtigstellung vor den Kameras am Wirtschaftsministerium am Montagnachmittag.
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Die Botschaft: Ich bin hier, um über erneuerbare Energien und die Zukunft zu reden. So auch bei den nächsten Stationen in den Palästinensischen Gebieten, am Toten Meer und dann in Jordanien.
Messen lassen wird sich Habeck dann an den Vereinbarungen der Konferenz, die am Mittwoch in der jordanischen Hauptstadt Amman stattfindet. Kann er die Energiewende in der Krisenregion anschieben und deutsche Firmen daran beteiligen? Kommt da wirklich mehr zustande als ein paar schwammige Absichtsbekundungen?
Aus der Reise nach Katar und der verkündeten Energiepartnerschaft beim Gas ist nach all den Schlagzeilen letztlich noch nicht viel entstanden. Umso wichtiger wäre hier ein Erfolg für Habecks Reisediplomatie.
Und die anderen Gespräche in der Krisenregion? Alles über die Konferenzergebnisse hinaus, sagte Habeck schon beim Abflug in Berlin, wäre "schön und ein bisschen überraschend".
Denn den Nahen Osten plagen doch wieder einmal ganz akute und permanente Probleme anderen Kalibers. Zwischen Israel und militanten Palästinensern flammte die Gewalt zuletzt auf, es gab Tote auf beiden Seiten, durch Militärangriffe und Terroranschläge. Die Acht-Parteien-Koalition in Jerusalem wackelt während Habecks Besuch so stark, dass ein Bruch möglich scheint. Die Zwei-Staaten-Lösung ist ohnehin so gut wie beerdigt.
Und dann ist da die große Sorge, dass der vom Ukraine-Krieg ausgelöste Weizenausfall zu einer dramatischen Hungersnot in der Region führen könnte und die Lage noch instabiler machen würde. Über all diese Themen spricht Habeck in Israel. Dagegen wirken manche seine Probleme daheim auf dem Berliner Schreibtisch schon wieder überschaubar.
- Begleitung der Habeck-Reise vor Ort