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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Scholz und die Impfpflicht Scheitert sie, dann scheitert er mit
Der Bundeskanzler will die Impfpflicht unbedingt. Doch weil Olaf Scholz keine Mehrheit dafür hat, zerfasert das Projekt gerade im Bundestag. Wird es jemals Realität?
Zu viel Euphorie kann Olaf Scholz jetzt gar nicht gebrauchen. Also gestattet sich der Bundeskanzler am Mittwoch, nachdem er gerade die Corona-Lockerungen verkündet hat, noch eine "persönliche Bemerkung".
Er glaube, sagt Olaf Scholz nach der Bund-Länder-Runde, "dass wir trotz der Zuversicht" jetzt nicht "den nächsten Herbst und Winter" vergessen dürften. Es bleibe deshalb richtig, ein Gesetz für eine allgemeine Impfpflicht vorzubereiten. "Sie wird genau dann notwendig sein", sagt Scholz.
"Und das ist die Aufgabe, die wir dann auch noch vor uns haben." Wobei er mit seinem "Wir" nicht zuletzt sich selbst meinen müsste. Und zugleich weiß, dass die Aufgabe, die er sich da vorgenommen hat, nicht leicht wird.
Olaf Scholz war im Dezember einer der ersten, der sich offensiv für eine Impfpflicht ab 18 Jahren ausgesprochen hat. Einen Gesetzentwurf legt seine Ampelregierung trotzdem nicht vor, vor allem, weil in der FDP längst nicht alle so überzeugt sind wie der Kanzler selbst. Das führt nun dazu, dass es drei verschiedene Modelle gibt, von denen keines eine sichere Mehrheit im Bundestag hat.
Gut möglich also, dass Olaf Scholz das, was er für notwendig hält, am Ende nicht erreicht. So etwas ist in der Politik immer schlecht. Für einen Kanzler aber ganz besonders.
Die weitestgehende Pflicht: Alle ab 18 Jahren
Es gibt nur einen Antrag, bei dem es in jedem Fall eine Impfpflicht geben wird – und zwar ab 18 Jahren. Findet der Gesetzentwurf eine Mehrheit, müssten spätestens bis zum 1. Oktober alle Erwachsenen nachweisen, dreimal geimpft oder geimpft und genesen zu sein.
Über die Pflicht sollen die Krankenkassen informieren. Der Nachweis soll über möglichst viele Wege eingereicht werden können, etwa digital, aber auch in Apotheken. Kontrolliert werden soll die Nachweispflicht einerseits stichprobenartig in der Öffentlichkeit oder bei Veranstaltungen durch staatliche Behörden wie das Ordnungsamt. Andererseits soll bei den Krankenkassen ein Impfportal entstehen, das den Impfstatus erfasst.
Wer nach dem 1. Oktober keine Impfungen nachweisen kann, muss Bußgeld zahlen. Auch mehrfach, wenn die Impfungen nicht nachgeholt werden.
Die Vielleicht-Pflicht: Ab 50 Jahren, wenn ...
Bei der sogenannten Impfpflicht ab 50 könnte es am Ende gar nicht das geben, was der Vorschlag nahelegt. Denn der Antrag sieht in einem ersten Schritt nur vor, dass alle Ungeimpften eine Impfberatung besuchen müssen. Nur wenn das nicht ausreicht, um die Impfquote bis zum 15. September ausreichend zu erhöhen, soll der Bundestag eine Impfpflicht beschließen können.
Die Impfpflicht würde dann für alle ab 50 Jahren gelten. Wer dreimal geimpft oder geimpft und genesen ist, hat sie erfüllt. Ansonsten droht ein Bußgeld. Kontrolliert werden soll stichprobenartig im öffentlichen Raum und bei Veranstaltungen.
Der Unionsantrag: Pflicht für bestimmte Gruppe, aber nur falls ...
Die Unionsfraktion will sich bislang keinem der Gruppenanträge anschließen und einen eigenen Antrag einbringen. In der Sache ähnelt er jedoch dem für die Vielleicht-Impflicht ab 50: Auch die Union will sie nur in Kraft setzen, falls die Impfquote bis zum Herbst nicht ausreichend steigt.
Der Bundestag soll sie jederzeit beschließen können, je nach Lage für drei denkbare Gruppen: ab 60 Jahren, ab 50 Jahren oder für alle Beschäftigten in kritischer Infrastruktur. Voraussetzung ist aus Sicht der Union der Aufbau eines Impfregisters. Auch die Impfstruktur soll vorgehalten und ausgebaut werden, um dann schnell impfen zu können. Dafür soll auch eine "Taskforce" etwa beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eingerichtet werden.
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Mehrheit noch nicht in Sicht
Es gibt noch weitere Anträge. Sie sprechen sich gegen eine Impfpflicht aus, einer kommt vom FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der andere von der AfD. Die nötige Mehrheit im Bundestag hat deshalb bislang niemand sicher.
Die Initiatoren der Impfpflicht ab 18 sammeln gerade Unterschriften, bislang haben 218 Abgeordnete unterschrieben, wie die "Rheinische Post" berichtet. 153 Sozialdemokraten, 60 Grüne, drei FDP-Politiker und zwei Linke. Eine sichere Mehrheit hätte der Antrag erst ab 369 Stimmen. Das ist noch ein weiter Weg.
Die erste Frist hat das Verfahren ohnehin schon gerissen. Eigentlich war angedacht, dass die verschiedenen Anträge diese Woche erstmals im Bundestag diskutiert werden. Doch der Antrag für die Pflicht ab 50 war nicht rechtzeitig fertig. Nun soll es in der nächsten Sitzungswoche losgehen: ab dem 14. März.
Das könnte auch deshalb problematisch sein, weil bisher noch nicht abzusehen ist, wie sich am Ende eine Mehrheit hinter einem der Anträge versammeln könnte. Offiziell betonen alle Initiatoren zwar fleißig, sie seien frohen Mutes, dass ihr Antrag schon irgendwie genügend Unterstützer finden werde. Inoffiziell sind sich viele da längst nicht mehr so sicher.
Und jetzt?
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte deshalb kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung", es sei sicherlich gut, "wenn sich all jene, die für eine Impfpflicht sind, hinter einem der Anträge dafür versammeln".
Nur ist ein solcher Kompromiss eben einfacher gesagt als getan. Das liegt einerseits an den bedeutenden Unterschieden der Modelle, von denen die Initiatoren jeweils sehr überzeugt sind. Wie könnte da ein Kompromiss überhaupt aussehen? Und wie weit kann die SPD des Kanzlers von der Maximal-Impfpflicht abrücken?
Aber es liegt eben auch daran, dass sich die oppositionelle Union bisher nicht an den Gruppenanträgen beteiligen will. Denn das würde der Ampelregierung helfen, ihr selbst geschaffenes Dilemma zu lösen.
Durch die Verzögerung wird die Impfpflicht nun ausgerechnet erstmals im Bundestag behandelt, kurz bevor am 20. März fast alle Einschränkungen in der Corona-Krise fallen sollen. Mini-Freedom-Day und trotzdem Impfpflicht? Skeptischen Abgeordneten könnte das einen weiteren Grund liefern, sich gegen eine Pflicht zu entscheiden.
Kommt sie also oder kommt sie nicht? Das ist bisher mindestens offen. Aus den Erfahrungen in der Corona-Krise lässt sich jedoch eines sagen: Tiefe Einschnitte konnte die Politik eigentlich nur dann durchsetzen, wenn die Lage richtig mies war.
- Eigene Recherchen