Nach US-Warnung vor Invasion Auswärtiges Amt: Deutsche sollen Ukraine verlassen
Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Konflikts mit Russland sollen Deutsche die Ukraine verlassen. Dazu rief das Auswärtige Amt am Samstag auf. Andere EU-Staaten schließen sich an.
Die Bundesregierung hat alle deutschen Bürger in der Ukraine dazu aufgefordert, das Land zu verlassen. "Wenn Sie sich derzeit in der Ukraine aufhalten, prüfen Sie, ob Ihre Anwesenheit zwingend erforderlich ist. Falls nicht, reisen Sie kurzfristig aus", teilte das Auswärtige Amt am Samstag mit.
Das Auswärtige Amt warnte: "Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine haben angesichts massiver Präsenz und Bewegungen russischer Militärverbände nahe der ukrainischen Grenzen in den letzten Tagen weiter zugenommen. Eine militärische Auseinandersetzung ist nicht auszuschließen."
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Nach Warnungen der US-Regierung vor einem möglicherweise bevorstehenden russischen Angriff hatten zuvor bereits die USA, Großbritannien, Dänemark, Lettland und Estland ihre Staatsbürger zur Ausreise aufgefordert. Andere EU-Staaten wie die Niederlande, Italien und Spanien veröffentlichten am Samstag ähnliche Mitteilungen.
Die EU-Delegation in der Ukraine habe keine Evakuierung eingeleitet, sagte ein Sprecher in Brüssel auf Anfrage. Nicht dringend benötigtes Personal habe jedoch die Möglichkeit erhalten, die Arbeit online aus dem Ausland fortzusetzen.
Baerbock: "Werden Botschaft in Kiew offen halten"
Außenministerin Annalena Baerbock betonte bei einem Besuch in Ägypten: "Wir werden unsere Botschaft in Kiew offen halten." Das Personal werde aber reduziert. Dies betreffe auch deutsche Institutionen wie die KfW, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und deutsche Lehrer.
Die Familienangehörigen des Botschaftspersonals sollen ihren Worten zufolge ebenfalls das Land verlassen. In Berlin berieten laut Baerbock am Samstag Regierungsbeamte der maßgeblichen Ressorts und der Sicherheitsbehörden über die Umsetzung dieser Beschlüsse.
"Wir arbeiten mit aller Kraft daran, auf diplomatischem Weg eine Lösung zu finden", sagte Baerbock. Sie ergänzte: "Unsere Botschaft ist überall dieselbe: Wir sind bereit zum Dialog, aber eine erneute Aggression gegen die Ukraine hätte einen drastischen Preis. Denn wir sehen auf militärischer Ebene keine Zeichen von Deeskalation, im Gegenteil."
Der russische Truppenaufbau gehe weiter, in Belarus führten seit Freitag bis zu 30.000 Soldaten Militärübungen durch, teils in großer Nähe zur ukrainischen Grenze. Am Mittwoch habe Russland ein weiteres Großmanöver mit Raketen und Artillerie im Schwarzen Meer angekündigt. "Wir müssen daher auf alle Szenarien vorbereitet sein", sagte Baerbock. Dazu gebe es intensive Beratungen mit Partnern und Freunden.
Das deutsche Generalkonsulat in Dnipro wird nach Angaben des Auswärtigen Amtes vorübergehend nach Lwiw (Lemberg) verlegt. Damit sollen die Mitarbeiter künftig weiter entfernt von der sogenannten Kontaktlinie zwischen den ukrainischen Regierungstruppen und den von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine arbeiten.
Moskau zieht Teile von diplomatischem Personal aus Ukraine ab
Auch Russland hat bereits Teile seines diplomatischen Personals aus dem Nachbarland abgezogen. "Aus Angst vor möglichen Provokationen seitens des Kiewer Regimes oder anderer Länder" sei das Personal in den russischen Vertretungen reduziert worden, erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Samstag. Zuvor hatte die US-Regierung von einer "sehr eindeutigen Möglichkeit" einer russischen Invasion gesprochen.
"Angesichts des bedeutenden Einflusses, den Washington und London auf Kiew haben, kommen wir zu dem Schluss, dass unsere amerikanischen und britischen Kollegen offenbar über einige in Vorbereitung befindliche Aktionen in der Ukraine informiert sind, die die Sicherheitslage erheblich erschweren könnten", fügte Sacharowa hinzu.
US-Außenminister Anthony Blinken hatte am Freitag gewarnt, eine russische Invasion könne jederzeit beginnen. Die "New York Times" schrieb am Samstag, die USA hätten Geheimdienstinformationen erhalten, wonach Russland den kommenden Mittwoch (16.2.) als Zieldatum für eine Militäraktion diskutiere. Es könne aber auch sein, dass dieses Datum Teil einer Desinformationskampagne Russlands sei.
Ukrainischer Präsident Selenskyj warnt vor Panikmache
Russlands Botschaft in den USA wies die amerikanischen Warnungen vor einem Überfall auf die Ukraine als haltlos zurück. Es werde "Alarmismus" verbreitet in den USA, ohne dass Beweise für die Behauptungen vorgelegt würden, teilte der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, am mit. Die Aussagen in Washington zeugten lediglich davon, dass die USA ihre "Propaganda-Kampagne gegen unser Land" verstärkt hätten, sagte Antonow.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte verwundert auf Berichte über eine bevorstehende russische Invasion. "Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information", sagte er am Samstag Journalisten.
Sein Land sei zwar auf alles vorbereitet. Doch: "Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land", richtete Selenskyj sich auf Englisch an westliche Journalisten. All diese Informationen würden nur Panik schüren und der Ukraine nicht helfen.
Scholz wird Montag in der Ukraine erwartet
US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin wollten noch am Samstag telefonieren. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron wollte mit dem Kremlchef sprechen.
Für Montag ist ein Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Ukraine geplant. Am Dienstag will Scholz erstmals als Kanzler in Moskau mit dem russischen Präsidenten Putin zusammentreffen.
- Nachrichtenagentur dpa