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China und Olympia: Gerhard Schröder warnt vor neuem kalten Krieg


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Altkanzler
Wer das glaubt, hat China nicht verstanden

MeinungVon Gastautor Gerhard Schröder

Aktualisiert am 03.02.2022Lesedauer: 5 Min.
Staatschef Xi bei Militärparade. Worauf es beim Verhältnis zu China ankommt, beschreibt Gerhard Schröder in seinem Gastbeitrag.Vergrößern des Bildes
Staatschef Xi bei Militärparade. Worauf es beim Verhältnis zu China ankommt, beschreibt Gerhard Schröder in seinem Gastbeitrag. (Quelle: Reuters-bilder)
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Wie halten wir es mit China? Manche deutsche Äußerung zu den Olympischen Winterspielen erstaunt doch sehr, schreibt Gerhard Schröder in seinem Gastbeitrag. Wer Peking mit Boykottforderungen und moralisierender Außenpolitik unter Druck setze, treibe ein gefährliches Spiel.

Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Peking sind aus dem politischen Berlin allerlei markige Forderungen zu hören, die unser Verhältnis zu China betreffen. Viele davon halte ich für irreführend, denn sie beruhen auf einem falschen Verständnis dieses Verhältnisses.

Nehmen wir die Aufrufe, Deutschland hätte die Spiele diplomatisch oder gar komplett boykottieren sollen. Ich habe Verständnis dafür, dass führende Vertreter der Regierung nicht zur Eröffnungsfeier fahren, auch angesichts der Corona-Situation. Aber Boykott-Ankündigungen sind und waren überflüssig.

Abgesehen davon, dass bei Boykotten doch nur die Sportlerinnen und Sportler, die sich monatelang auf die Wettkämpfe vorbereitet haben, die wahren Leidtragenden wären: Die Annahme, dass sich China mit einem Boykott zu einer Änderung der Politik in Xinjiang, dem Siedlungsgebiet der Uiguren, oder Hongkong bewegen ließe, ist äußerst unrealistisch.

Wer an mehr Druck glaubt, wird scheitern

Boykott- und Sanktionsandrohungen verhärten nur Haltungen auf allen Seiten und schaffen keine Veränderungsmöglichkeiten. Das geht nur über Dialog.

China ist für Deutschland und die ganze Europäische Union ein sehr wichtiger Partner, der zugleich zunehmend ein ökonomischer Konkurrent wird. Aber politisch benötigen wir China in allen zentralen Fragen der Weltpolitik. Wer glaubt denn ernsthaft, man könne die Klimafrage ohne Kooperation mit Peking lösen? Und wie will man eine friedlichere Entwicklung in der Welt befördern, in dem man ein Land, das ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist, isolieren will? Und auch Rüstungskontrolle nicht nur in Asien, sondern global betrachtet, ist nur mit, nicht gegen die Atommacht China anzugehen.

Wer die Vorstellung hegt, man werde mit mehr Druck etwas erreichen, wird scheitern. Und wenn so getan wird, als müsste Deutschland alles im Umgang mit China ändern und hätte bislang gegenüber Peking die Probleme totgeschwiegen, dann bin ich erstaunt.

Weniger Publicity tut der Sache gut

Das stimmt weder für die von mir geführten Bundesregierungen noch für die meiner Nachfolgerin Frau Merkel. Wir haben schon in unserer rot-grünen Regierung vor 20 Jahren mit dem Rechtsstaatsdialog versucht, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, um Einfluss auf Entscheidungen, Strukturen und Rechtsnormen zu nehmen.

Ein Kernelement dieses Dialogs ist der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in China. Hierfür sind eine unabhängige Justiz und eine freie Anwaltschaft unerlässlich, und daher wurden Tausende Juristen in diesem Rahmen aus- und fortgebildet.

Und auch wenn das nicht immer große Schlagzeilen macht, spricht man doch auf jeder China-Reise über Menschenrechte und bestimmte politische Inhaftierungen. Auch da gilt: Weniger Publicity tut der Sache gut. Denn warum sollte die politische Führung in China einem an dieser Stelle entgegenkommen, wenn sie sich öffentlich unter Druck gesetzt fühlt? Wer das glaubt, hat China nicht verstanden.

Es besorgt mich, wenn es jetzt in Europa Staaten wie Litauen gibt, die plötzlich aus der bisher im Westen uneingeschränkt anerkannten Ein-China-Politik einseitig ausscheren und im Alleingang Taiwan aufwerten. Natürlich pflegt auch Deutschland Beziehungen zu diesem demokratischen Land, aber wir unterhalten keine diplomatischen Beziehungen.

Wer in der Europäischen Union unabgestimmt mit dieser Politik bricht, kann nicht lautstark Europas Solidarität bei diesem Alleingang einfordern. Wer immer von der Ein-China-Politik Abstand nimmt, muss mit Reaktionen aus Peking rechnen, das ist doch völlig klar.

Man darf sich über Reaktionen aus China nicht wundern

Als Bundeskanzler habe ich jedes Jahr China besucht, so wie es nach mir auch Bundeskanzlerin Angela Merkel machte. Ich bin mir sicher, dass auch Kanzler Olaf Scholz und die Außenministerin den regelmäßigen Kontakt zu China suchen werden.

An einen Besuch in Peking erinnere ich mich besonders. Das war 1999, kurz nachdem im Kosovo-Krieg Nato-Truppen unbeabsichtigt die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert hatten und dabei Menschen gestorben waren. Die Stimmung in Peking war aufgebracht. Ich habe mich, im Übrigen ohne Auftrag der Nato, dafür dann öffentlich bei den Chinesen entschuldigt.

Daran werde ich mich immer erinnern, und die Chinesen haben mir das auch nicht vergessen. Man muss im Umgang mit China auch immer langfristig denken.


Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. An der Spitze einer rot-grünen Bundesregierung setzte er damals unter anderem umfassende Sozialreformen (Hartz-Gesetze) durch. Der 77-Jährige arbeitet heute als Rechtsanwalt in Hannover, wo er mit seiner Frau, der südkoreanischen Wirtschaftsexpertin Soyeon Schröder-Kim, lebt. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und der Pipeline Nord Stream.

Außerdem sollte man, bei aller berechtigten Kritik am chinesischen System, auch die besonderen Herausforderungen sehen. Mit der Politik der vergangenen 40 Jahren wurde das Land von bitteren Hungersnöten befreit. Aber auch heute ist es trotz eines rasanten Fortschritts in weiten Teilen noch ein Entwicklungsland.

Deswegen legen viele in China mehr Wert auf die Entwicklung der sozialen Rechte der Menschen, frei zu sein von Hunger und Armut, als auf das, was bei uns als Kern der Menschenrechte gesehen wird: frei die Meinung zu äußern. Auch wenn diese Priorität im Westen kritisiert wird, so muss man diese Position doch zur Kenntnis nehmen, um China besser verstehen zu können.

Die USA haben Angst

Nun hat China im vergangenen Jahrzehnt eine beeindruckende Entwicklung im technologischen Bereich vollzogen. Die USA haben Angst, ihre ökonomische und damit verbunden auch politische Vormachtstellung in der Welt abtreten zu müssen.

Die Zeiten, in denen jemand die alleinige Vormachtstellung in der Welt hat, gehen tatsächlich zu Ende, auch wenn das noch nicht jeder glauben mag. Daher wäre eine Entkopplung von China, wie sie den Amerikanern vorschwebt, aus deutscher Perspektive grundfalsch.

Wir dürfen uns in keinen kalten Krieg hineinziehen lassen

Wir können und müssen mit den USA zusammenarbeiten in der China-Politik, etwa bei der Frage der Anerkennung geistigen Eigentums und bei vielen außenpolitischen Themen. Doch ein dermaßen exportabhängiges Land wie Deutschland hat noch andere ökonomische und damit politische Interessen als die USA.

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Deswegen warne ich davor, sich aus falsch verstandener transatlantischer Treue in einen neuen kalten Krieg mit Peking hineinziehen zu lassen. China ist dafür einfach zu wichtig für uns.

In meiner Zeit als Bundeskanzler habe ich mich immer wieder mit meinem Vorgänger Helmut Schmidt über den Aufstieg Chinas, den er bereits Mitte der 1970er-Jahre vorhergesehen hatte, ausgetauscht. Es waren sehr intensive Gespräche, daher habe ich den Zigarettenqualm bei den Treffen in seinem Büro in Hamburg oder im Kanzleramt gern ertragen.

Er hat bei dem Thema stets gemahnt, Deutschland solle sich als Mittelmacht im Herzen Europas nicht übernehmen, schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger. Ich denke, dieser Ratschlag hat seine Gültigkeit nicht verloren: Eine moralisierende Außenpolitik ist zum Scheitern verurteilt.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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