Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock in Kiew und Moskau "Das hat Russland durchaus beeindruckt"
Wie hat sich Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew und Moskau geschlagen? Ihr Parteikollege Jürgen Trittin erkennt diplomatische Fortschritte. Allerdings müsse man Russland auch die Grenzen aufzeigen.
Sie ließen die Presse erstmal warten: Zwischen Annalena Baerbock und Sergej Lawrow gab es offenbar eine Menge zu reden. Eine dicke Mappe habe die grüne Außenministerin bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau mitgebracht, die wohl vor allem Informationen zu dem schwelenden Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze enthielt, wo sich mehr als 100.000 russische Soldaten befinden sollen.
Embed
Lawrow, schon seit 2004 Außenminister Russlands, ist bekannt dafür, seine Gäste bei solchen Gelegenheiten auch manchmal auf offener Bühne bloßzustellen. Baerbock blieb das erspart. Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, ist der Meinung, ihre Parteikollegin wurde bei ihrem Auftritt ernst genommen. Im Gespräch mit t-online spricht er darüber, warum die Ukraine wohl auf Sicht kein Nato-Mitglied wird, die Bundesregierung mit Recht nicht zu konkret bei möglichen Sanktionen gegen Moskau wird und warum er keinen Dissens in der Außenpolitik der Grünen und der SPD sieht.
t-online: Herr Trittin, die Außenministerin hat sowohl in Moskau als auch in Kiew die Wichtigkeit des sogenannten Normandie-Formates betont und, dass man es wieder aufnehmen möchte. Reicht das, um die Reise als Erfolg zu werten?
Jürgen Trittin: Annalena Baerbock hatte in Kiew eine deutliche Botschaft: Deutschland steht klar für die territoriale Integrität der Ukraine. Auch in Moskau hat sie aus meiner Sicht einen sehr taffen Auftritt hingelegt. Sie hat deutlich gemacht, was Deutschland von Russland erwartet und im Gegenzug anbietet. Es wurde aber auch deutlich, wo sich Russland falsch verhält: Etwa durch die Ansammlung von Truppen an der ukrainischen Grenze. Sie hat auch offen angesprochen, wie Russland Oppositionelle wie Alexej Nawalny zum Schweigen bringt. Baerbock hat etwas in Bewegung gesetzt: Russland schließt eine neue Beteiligung am Normandie-Format nicht mehr so rigoros aus, auch wenn sie noch Vorwände äußern.
Trotzdem wirkt es so, als seien die Fronten weiter verhärtet: Russland fühlt sich durch die Nato bedroht. Der Westen betont weiter, dass man sich nicht von Russland vorschreiben lässt, wer dem Bündnis beitreten darf und wer nicht.
Die Sicherheitsinteressen von Russland sind legitim. Genau wie die der Ukraine. Die Nato hat aber deutlich gemacht, dass sie die vertraglichen Grundlagen für die Sicherheit in Europa, denen auch Russland zugestimmt hat, nicht infrage stellen wird. Man muss aber der Realität ins Auge blicken: Die Ukraine wird in den nächsten Jahrzehnten kein Nato-Mitglied. Das Gleiche gilt für Georgien, weil beide Länder die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllen.
Liegt es vielleicht auch daran, dass die Nato Russland keinen Grund geben will, um weiter zu eskalieren?
Keinen Grund für Eskalation zu geben, ist ja nichts Schlimmes. Zu seinen Werten zu stehen aber auch nicht. Über all diese Fragen kann und muss die Nato mit Russland diskutieren. Deswegen wurde einst der Nato-Russland-Rat gegründet. Ich habe mich daher gefreut, dass Jens Stoltenberg verkündet hat, man sei zu weiteren Treffen in diesem Format bereit.
Sollte es stattdessen allerdings zu einer weiteren Eskalation von Moskau kommen, spricht Baerbock oft von einem "hohen Preis", den Putin zahlen würde. Sie sagt aber nicht, was genau sie damit meint. Wie sähe dieser Preis aus Ihrer Sicht aus?
Es ist doch klar, warum man in dieser Frage nicht konkreter wird. Das wäre eine Einladung, an Putin auszutesten, wie ernst man es mit den Drohungen meint. Ich glaube, dass die Geschlossenheit der EU und der Nato in Russland durchaus beeindruckt hat. Es ist richtig, klarzumachen, dass Moskau einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis zahlen wird, wenn man die Souveränität der Ukraine weiter verletzt. Dann reden wir nicht über einzelne Sanktionen, sondern von langjährigen massiven Einschränkungen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Europa. Dabei geht es dann natürlich vor allem um den russischen Export fossiler Rohstoffe wie Erdgas und Erdöl. Die Entscheidung, ob man sich so von Europa und der westlichen Welt isolieren will, liegt ganz allein im Kreml.
Schaut der Kreml nicht viel stärker in Richtung USA als nach Europa? Der jüngste Dialog begann vergangene Woche in Genf mit den Vize-Außenministern von Russland und den USA – ganz ohne europäische Beteiligung.
Beide Länder haben kein Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung. Sollte die Situation weiter eskalieren, wird der Konflikt mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln geführt. Dann wird für die Russland sehr schnell klar, dass Europa der zentrale Player ist. Es stimmt allerdings: Der Kreml versucht uns zu übergehen. Das Weiße Haus hat dagegen vor und nach den Gesprächen alle Schritte mit Europa abgestimmt. Mein Eindruck ist: In Russland hat man den Auftritt von Annalena Baerbock sehr ernst genommen. Der Kreml hat wohl eingesehen, dass es nichts bringt, so wie früher nur mit den USA über Europa zu verhandeln.
Die SPD als ihr größter Regierungspartner hat zuletzt in diesem Konflikt unterschiedliche Signale gesendet, etwa Rolf Mützenich, Olaf Scholz oder Michael Roth. Blockiert die Partei gerade die deutsche Außenpolitik?
Es gibt zwischen Außenministerium und Kanzleramt eine sehr enge Abstimmung. Beim Treffen von Stoltenberg und Scholz und beim Besuch von Annalena Baerbock in Moskau war eine gemeinsame Linie in der Regierung erkennbar. Im gemeinsamen Handeln bewährt sich die Qualität dieser Koalition, nicht in Einzeläußerungen.
- Interview mit Jürgen Trittin am 18. Januar 2022