Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Helge Braun "Ich habe die CDU ganz schön oft aufgemischt"
Warum will ausgerechnet er CDU-Chef werden? Der scheidende Kanzleramtschef Helge Braun verrät, was ihn von seinen Konkurrenten unterscheidet, wie er die Ampel attackieren will – und was Angela Merkel besonders gern macht.
t-online: Herr Braun, in der CDU erzählt man sich, Sie würden nur als CDU-Chef kandidieren, damit Friedrich Merz nicht schon im ersten Wahlgang gewinnt. Ist das Ihr Auftrag?
Helge Braun: Das ist völliger Quatsch.
Und wie war es aus Ihrer Sicht?
Auf unserer Kreisvorsitzendenkonferenz Ende Oktober sprachen mich viele Kollegen an. Sie hatten das Gefühl, dass es noch einen jüngeren Kandidaten braucht, der ganz persönlich Spaß und Interesse hat an der Digitalisierung der Partei. Und der die Fähigkeit hat, aus der CDU eine Mitmachpartei zu machen. Deshalb habe ich mich entschieden, zu kandidieren.
Mit Friedrich Merz und Norbert Röttgen kandidieren zwei Kandidaten, die für eine jeweilige Richtung stehen.
Am Ende muss es doch das Ziel sein, dass wir die gesamte Bandbreite der Volkspartei in unserem Vorstand abbilden. Deshalb geht es nicht darum, dass wir die Wahl zu einer Richtungsentscheidung erklären, sondern es geht um Fragen von Stil, von Führungskultur und um die Art, wie wir Erneuerungsprozesse aufsetzen.
Was bei Ihnen und Ihrem Team auffällt: Weder Sie noch die mögliche neue stellvertretende Vorsitzende Nadine Schön noch die von Ihnen vorgesehene Generalsekretärin Serap Güler haben bei der Bundestagswahl ein Direktmandat gewonnen. Ist das nicht ein schlechtes Zeichen, wenn man die Wähler nicht überzeugen konnte?
Es gibt Wahlkreise, die gewinnt die CDU immer. Und dann gibt es Wahlkreise, die hart umkämpft sind. Mein Wahlkreis Gießen ist über Jahrzehnte nicht von der CDU gewonnen worden. Ich habe das dreimal hintereinander geschafft. Doch in diesem Jahr ist er wieder an die SPD gegangen. Insofern ist ein Wahlkreis wie meiner ein Brennglas für die Aufgabe, vor der die CDU jetzt insgesamt steht.
Das "Team Braun" ist also keine Koalition der Verlierer?
Das "Team Braun" ist eine Koalition derer, die genau wissen, wie es ist, wenn man kämpfen muss. Es sind Menschen, die daran arbeiten, dass wir diese breite Zustimmung wieder zurückbekommen, die wir zuletzt vermisst haben.
Heißt das im Umkehrschluss, dass Norbert Röttgen und Friedrich Merz nicht so genau wissen, was Kämpfen bedeutet? Sie haben auch Niederlagen erlitten. Röttgen ist der einzige Minister, den Angela Merkel rausgeschmissen hat, Merz sich schon zweimal vergeblich um das Amt des CDU-Chefs beworben.
Den Wettbewerb, wer schon mal irgendwo nicht gewonnen hat, den brauchen wir untereinander nicht zu führen.
Wie würden Sie als Mediziner den Gesundheitszustand der CDU beschreiben?
Wir haben eine historische Niederlage erlitten. Ein so schlechtes Ergebnis ist gesundheitlich sicherlich kein guter Zustand. Wenn man in der Medizin-Analogie bleibt: Wir müssen uns möglichst schnell erholen, damit ein solcher Zustand nicht chronisch wird. Je länger man ihn zulässt, desto schwieriger wird es, ihn wieder zu überwinden. Das heißt für mich, dass wir uns jetzt nicht zurückziehen und uns auf unser Kernklientel konzentrieren. Sondern, dass wir sehr schnell analysieren, wo wir Wähler verloren haben und diese alle wieder zurückholen.
Eine gute Therapie kann nur dann wirken, wenn die Diagnose richtig war. Was ist denn Ihre Diagnose für die Wahlniederlage der CDU?
Es gibt keine singuläre Diagnose.
Sondern?
Schuld sind Probleme, die sich in der Union über Jahre aufgebaut haben. Ein Punkt ist, dass die Partei zur Unterstützung der Regierungskoalition mit der SPD viel eigenes Profil aufgegeben hat. Jeder Kompromiss, den man mit einem Koalitionspartner macht, ist gut fürs Land, aber schlecht für die Wahrnehmung des Original-Profils der CDU. Dazu kommen noch viele praktische Fehler im Wahlkampf, die schwierigen Personalentscheidungen, wodurch wir unser Wahlprogramm zu spät vorbereitet haben, das hat alles dazu beigetragen.
An welchen Stellen wären Sie persönlich denn gern weniger Kompromisse in der Regierung eingegangen?
Ein zentraler Bereich ist die innere Sicherheit. Da sind wir als CDU in der großen Koalition weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Und der Koalitionsvertrag der Ampel vermittelt den Eindruck, als würde innere Sicherheit bedeuten, die Bürger vor dem Staat zu schützen – und nicht vor Kriminellen. Das ist nicht gut. Und deshalb können wir uns da klar von der neuen Regierung abgrenzen.
Das heißt: Schärferes Profil durch Abgrenzung?
Natürlich müssen wir deutlich machen, wo wir andere Überzeugungen haben als die Ampel. Das reicht aber nicht: Wir müssen bei Zukunftsfragen eigene starke Konzepte haben, damit wir für die Menschen eine echte Alternative darstellen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Parteibasis in die Erneuerung einbinden. Denn es gibt Entscheidungen, die von Parteitagen getroffen wurden – wie die Aussetzung der Wehrpflicht –, die in der Partei bis heute kritisch gesehen werden.
Bei welchen Themen außer der Inneren Sicherheit wollen Sie die Ampel attackieren?
Es gibt zwei weitere wichtige Bereiche. Da ist das Thema Alterssicherung. Die Antworten, die dazu im neuen Koalitionsvertrag stehen, reichen angesichts der demografischen Entwicklung bei Weitem nicht aus. Und dann sind da noch die gesellschaftspolitischen Veränderungen, die von der Ampel befürwortet werden: etwa das Wahlalter ab 16 Jahren, Werbung für Abtreibung, die Freigabe weicher Drogen. Das sind Veränderungen, die aus meiner Sicht fundamental in die falsche Richtung führen.
Die Ampel sagt, diese Veränderungen seien längst überfällig. Haben Sie den Eindruck, dass eine Mehrheit der Gesellschaft wie Sie dagegen ist?
Es geht mir um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Viele der Veränderungen, die die Ampel jetzt anstößt, werden seit Jahren diskutiert und haben – so wie sie jetzt geregelt sind – zu einer gesellschaftlichen Befriedung beigetragen. Wenn man das jetzt ad hoc ändert, stellt man das zur Disposition.
Gibt es mit Ihnen eigentlich mehr Sex in der CDU?
Ich weiß, worauf Sie anspielen.
Als Vorsitzender der Jungen Union (JU) Gießen warben Sie bei der Kommunalwahl 1997 mit dem Slogan "Sex ist schöner in einem Land mit Zukunft".
Sie sagen es: Das ist fast 25 Jahre her. Als JU-Vorsitzender eines Kreisverbands sind die Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen, begrenzt. Aber es hat funktioniert, wenn sogar Sie es heute noch zitieren.
War das eigentlich das erste und letzte Mal, dass Sie Ihre Partei aufgemischt haben?
Sie haben einen völlig falschen Eindruck von mir, ich habe die CDU ganz schön oft aufgemischt.
Wann zum Beispiel?
Dass Ruhe und Frieden herrschen, war zwar mein Auftrag als Kanzleramtsminister. Aber wenn ich befürchtet habe, dass etwas in die falsche Richtung laufen könnte, habe ich mich auch gemeldet. Denken Sie nur daran, wie ich dazu aufgerufen habe, die Schuldenbremse zukunftssicher zu machen. Heute fürchte ich sehr, dass die Ampel Wege finden wird, sie auszuhöhlen.
Die CDU hat nicht nur mit Ihren Vorsitzenden zuletzt Pech gehabt, sondern auch mit ihrem Timing bei der jeweiligen Neuwahl. Im Januar findet wegen Corona wieder nur ein digitaler Parteitag statt ...
... das ist bei anderen Parteien nicht anders. Die haben auch Pech. So wie alle Karnevals-, Schützen- und sonstigen Vereine.
Worauf wir hinauswollen: Wäre diese vierte Welle nicht vermeidbar gewesen?
Die Welle an sich vermutlich nicht, aber die Höhe der Welle. Doch dafür hätten wir früher handeln müssen. Deshalb habe ich mich dafür auch seit Langem eingesetzt. Dass die Ampel die notwendigen Schritte verschleppt hat, weil sie erst ihren Entwurf zum Infektionsschutzgesetz verabschieden wollte, bevor sie einer Ministerpräsidentenkonferenz zugestimmt hat, war natürlich ein großes Problem.
Reichen die in der vergangenen Woche getroffenen Entscheidungen denn?
Immerhin deutet sich eine Plateaubildung bei den Neuinfektionszahlen an. Aber das ist natürlich bei Weitem nicht genug. Die Zahlen müssen runter – und zwar deutlich. Dafür muss die Ampel den Ländern endlich wieder alle Möglichkeiten für einschränkende Maßnahmen geben, die sie ihnen absurderweise erst einmal weggenommen hat – also etwa die Schließung von Restaurants und Hotels. In besonders betroffenen Landkreisen brauchen die Länder den vollen Instrumentenkasten der epidemischen Lage zurück.
Die Ampel hat in den vergangenen Wochen einige Fehler gemacht, die geschäftsführende Regierung hat zuletzt aber auch nicht gerade ein gutes Bild in der Pandemiebekämpfung abgegeben.
Die geschäftsführende Regierung hat deshalb kein überzeugendes Bild abgegeben, weil sich ein Teil dieser Regierung – die SPD und Olaf Scholz – schon längst Richtung Ampel und damit auf einen Corona-Irrweg verabschiedet hatten, statt mit uns am richtigen Strang zu ziehen, um das Überfällige zu tun.
Das heißt: Das ist jetzt die Welle von Olaf Scholz und nicht mehr von Angela Merkel?
Dass die vierte Welle so spät gestoppt wurde, liegt daran, dass die Ampelkoalition zunächst in die völlig falsche Richtung gelaufen ist und ziemlich viel Zeit fürs Umdrehen gebraucht hat.
Aber dann liegt die aktuelle Situation in der Verantwortung des künftigen Kanzlers und nicht mehr der aktuellen Kanzlerin?
Die Union wollte die epidemische Lage verlängern, dafür gab es aber keine Mehrheit im Bundestag. Und dafür ist niemand anderes als die Ampel verantwortlich. Und diese Koalition wird eben von Olaf Scholz angeführt.
Es gibt ja auch die umgekehrte Vision: Die Union hatte sich längst aus der Regierung in Richtung Opposition verabschiedet. Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat uns kürzlich gesagt, er habe immer gut mit Ihnen zusammengearbeitet, Sie seien aber inzwischen nicht mehr wiederzuerkennen.
Das nehme ich als Lob. Ich konnte mich zuletzt immer weniger zurückhalten, weil ich mit meinen Rufen nach härteren Maßnahmen die einzige Chance sah, zu verhindern, dass wir in eine Überlastungssituation unseres Gesundheitssystems geraten. Ich hätte mir staatspolitisch einen besseren Übergang von der alten zur neuen Regierung gewünscht. Dass der nicht gelungen ist, liegt aber wirklich nicht in der Verantwortung der Union.
Haben wir denn eigentlich genug Impfstoff – oder nicht?
Wir bekommen bis Jahresende noch 50 Millionen Impfdosen der verschiedenen Hersteller. Für Erst-, Zweit- und Drittimpfungen brauchen wir rund 30 Millionen. Nach menschlichem Ermessen müssten die Dosen also reichen.
Den Mangel, den die Hausärzte beklagen, gibt es also gar nicht?
Doch, wir haben im Moment eher ein logistisches Problem. Deshalb kann es angesichts der hohen Nachfrage natürlich sein, dass regional Dosen fehlen. Aber insgesamt sind genug da.
Wird Karl Lauterbach eigentlich ein besserer Gesundheitsminister als Jens Spahn?
Ich finde, Jens Spahn hat in dieser Pandemie Wichtiges geleistet. Und jetzt muss sich eben Karl Lauterbach beweisen.
Waren Sie über die Nominierung des SPD-Gesundheitsexperten überrascht?
In den vergangenen Tagen hatte man ja den Eindruck, dass die SPD verzweifelt nach einer Alternative zu ihm sucht. Aber ich finde es gut, wenn jemand, der so die Gesundheitspolitik verkörpert, den Job dann auch machen kann. Ich auf jeden Fall gratuliere ihm herzlich.
Morgen scheiden Sie aus dem Amt. Sie haben in den vergangenen vier Jahren wahrscheinlich mehr Zeit mit Angela Merkel verbracht als mit Ihrer Frau ...
... vergleichbar viel ...
... das können nur Sie beurteilen. Fühlt es sich für Sie nun an wie ein Beziehungsaus?
Nein, ich finde es gerade nach den schwierigen Wochen des Übergangs gut, dass der Regierungswechsel nun endlich stattfindet. Mir war es eine Ehre und ich habe es als Privileg empfunden, Kanzleramtsminister von Angela Merkel zu sein. Aber alles hat seine Zeit.
Es ging uns mehr um Ihr persönliches Empfinden.
Es war für mich doch von Anfang an klar, dass Angela Merkel nur bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode für das Amt zur Verfügung steht. Deshalb kommt der Schritt für mich jetzt nicht unerwartet. Und wir beide bleiben in gutem Kontakt.
Dem Spiegel haben Sie neulich von gemeinsamen nächtlichen Spaghetti-Essen mit der Kanzlerin nach den leidigen Ministerpräsidentenkonferenzen berichtet. Warum Spaghetti?
Die für Sie vielleicht erstaunliche Antwort ist denkbar einfach.
Wir sind gespannt.
Spaghetti mögen wir beide sehr gerne.
Mal ehrlich: Die größte Stärke der Kanzlerin ist ...
... ihre Fähigkeit gerade in Verhandlungen, die Sorgen und Nöte ihres Gegenübers zu antizipieren und deshalb sehr kluge Vermittlungsangebote machen zu können. Deshalb hat sie weltweit einen Ruf als exzellente Verhandlerin.
Und ihre größte Schwäche?
Auf dem Niveau von Angela Merkel über Schwächen zu reden ist schwierig, weil man ein Land nicht 16 Jahre so erfolgreich durch all die Krisen führen kann, wenn man große Schwächen hätte.
Naja, wir dachten, sie ist auch nur ein Mensch, da wird sie auch Schwächen haben.
Na gut: Die größte Schwäche von Angela Merkel sind Spaghetti Bolognese.
Eher die Soße oder die Nudeln?
Ihre Frage entlarvt, dass Sie kein Italiener sind. Das ist doch eine Einheit!
Zu den Eigenschaften der Kanzlerin, die den meisten Menschen verborgen bleiben, gehört ihr guter Humor. Aber so etwas wie einen Lieblingswitz gibt es nicht, oder?
In der Tat: Angela Merkels Humor besteht nicht im Witzeerzählen. In der Politik ergeben sich häufig Situationen, die nicht einer gewissen Komik entbehren. Darüber kann sie sich königlich amüsieren.
An welche Situation denken Sie gerade besonders?
Situationskomik zeichnet sich doch dadurch aus, dass man sie schwer nacherzählen kann.
Das ist jetzt aber eine schlechte Ausrede.
Nein! Situationskomik stellt sich beim Wiedererzählen nicht wieder her. Sonst hieße sie ja nicht "Situationskomik".
Herr Braun, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.