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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Als Anreiz fürs Impfen Druckmittel Maskenpflicht – kann das funktionieren?
In den USA sind Geimpfte nun weitgehend von der Maskenpflicht befreit. Was dort für Diskussionen sorgt, fordert ein Kassenärzte-Chef auch für Deutschland. Politiker wie Experten widersprechen.
Der Chef der Kassenärzte in Rheinland-Pfalz, Peter Heinz, hat eine Debatte über das Ende der Maskenpflicht für vollständig Geimpfte angestoßen. In der "Rhein-Zeitung" forderte er, Menschen mit vollem Impfschutz davon zu befreien, um so mehr Anreize für das Impfen zu schaffen. Aus Solidaritätsgründen gegenüber nicht Geimpften werde die Chance vergeben, "über die 55 Prozent bis 60 Prozent Impfquote hinauszukommen", sagte er. Sachlich ergebe es keinen Sinn mehr, als zweifach Geimpfter eine Maske zu tragen.
Mit dem schnelleren Impffortschritt wird seit Wochen über die Rücknahme von Einschränkungen für Geimpfte und Genesene diskutiert. Bundesweit wurden erste Schritte vollzogen. Für die betroffenen Gruppen wurden vielerorts die Kontaktbeschränkungen gelockert. In nahezu allen öffentlichen Bereichen entfällt für sie die Testpflicht. Die allgemeine Anordnung zum Tragen einer Maske stand dabei aber bislang nicht zur Debatte. Verwiesen wird unter anderem auf die noch dünne Datenlage zur Übertragung des Virus von Geimpften auf andere.
USA: Maskenpflicht für Geimpfte weitgehend aufgehoben
In den USA hingegen ist das, was Kassenärzte-Chef Heinz fordert, bereits Praxis. Vergangene Woche hob die Gesundheitsbehörde CDC die Richtlinien zum Maskentragen für vollständig geimpfte Personen für nahezu alle Lebenslagen auf. Selbst in Innenräumen wird die Maske von den Betroffenen nur in dicht gedrängten Situationen wie etwa in Flugzeugen, Zügen, Bussen oder Krankenhäusern verlangt. US-Präsident Joe Biden hofft, dass dieser Schritt der amerikanischen Impfkampagne wieder mehr Schub verleiht. Denn zuletzt war die Zahl der täglich verabreichten Impfungen zurückgegangen.
In der amerikanischen Öffentlichkeit ist der Schritt gleichwohl umstritten. Und auch in Deutschland wird diese Skepsis geteilt. Über die Parteigrenzen hinweg zweifeln Gesundheitspolitiker an, ob die Aussicht auf eine Befreiung von der Maskenpflicht wirklich mehr Menschen vom Impfen überzeugt. Experten weisen zudem auf das noch frühe Stadium der Impfkampagne hin und betonen die Wirksamkeit des Maskentragens.
Grüne: Anreiz für Impfung über Maskenpflicht riskant
"Ich halte es für sehr riskant, über die Aussicht auf den Wegfall der Maskenpflicht für vollständig Geimpfte, Anreize für Schutzimpfungen schaffen zu wollen", meint etwa der Arzt und Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. "Bei anhaltend hohen Infektionszahlen erhöht jeder zusätzliche ungeschützte Kontakt von ungeimpften Menschen mit geimpften Menschen die Wahrscheinlichkeit von neuen Mutationen. Das muss uns allen bewusst sein, da es dazu führen kann, dass in der Konsequenz die Impfstoffe weniger wirksam werden können."
Das Tragen von medizinischen Schutzmasken sei eine zumutbare Einschränkung, die zudem einen erheblichen positiven Effekt auf das Infektionsgeschehen habe, sagte Dahmen zu t-online. Mit einer Aufhebung der Maskenpflicht für Geimpfte hingegen drohe Deutschland schon bald vor einem allgemeinen Akzeptanzproblem für Masken zu stehen, das sich in den Vereinigten Staaten bereits abzeichne.
Auch der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz warnt vor den Gefahren einer solchen Strategie. "Es muss inzwischen meines Erachtens als gesichert angenommen werden, dass selbst zweifach Geimpfte die Infektion weitergeben können", sagte Scholz zu t-online. Der Mund-Nase-Schutz diene vorrangig dem Schutz anderer, weniger dem Eigenschutz. Ein Weglassen dieses Schutzes bei zweifach Geimpften sei deshalb fahrlässig und rücksichtslos.
Noch zu wenige Menschen vollständig geimpft
Der Bonner Internist und Vorstand bei der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Peter Walger, erklärte: "Die Maske stellt einen hocheffektiven Schutz gegen eine Infektion dar. Neben dem Impfen ist sie das wichtigste Instrument im Kampf gegen die Pandemie." Nebenbei habe das Maskentragen bewirkt, dass die Grippewelle im letzten Winter komplett ausgeblieben sei, dass es kaum Ansteckungen mit dem Norovirus gab. "Das haben wir nur durch das Tragen der Maske erreicht."
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Linkenfraktion, Achim Kessler, ist gegen eine Aufhebung der Maskenpflicht für Geimpfte. "In Deutschland sind noch viel zu wenig Menschen geimpft, so dass eine Aufhebung der Maskenpflicht wieder zu einem erhöhten Infektionsgeschehen führen kann", sagte Kessler zu t-online. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, erklärte: "Eine leichte Freiheitsbeschränkung wie eine Masken- oder Abstandspflicht" sei zum Schutz der Nicht-Geimpften weiterhin geboten. Gerade im öffentlichen Nahverkehr oder in Fußgängerzonen könne nicht kontrolliert werden, ob diejenigen, die keine Maske tragen, tatsächlich Geimpfte oder Genesene sind.
Impfbereitschaft steigt
Jüngsten Zahlen zufolge ist die Impfbereitschaft in Deutschland seit dem Start der Impfkampagne vor fast fünf Monaten deutlich gestiegen. Laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur vom vergangenen Wochenende wollen sich inzwischen fast drei Viertel der Deutschen über 18 Jahre gegen das Coronavirus immunisieren lassen. Kurz vor Beginn der Impfkampagne Ende 2020 waren es erst 65 Prozent.
Besondere Anreize für das Impfen braucht es aus Sicht von Sabine Dittmar, Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, deshalb nicht. "Erfreulicherweise gibt es eine sehr große Impfbereitschaft in Deutschland. Viele Bürgerinnen und Bürger warten darauf, endlich einen Impftermin zu bekommen", sagte Dittmar zu t-online. Auch Epidemiologe Scholz sieht keinen Grund für zusätzliche Impfanreize. Er verweist darauf, dass für vielerlei Aktivitäten ein negativer Test oder eine Doppelimpfung gefordert wird. "Da ständiges Testen aufwendig ist, gehe ich auch aus diesem Grunde von einem ausreichenden Impfanreiz aus."
Walger: Erfolge in der Pandemie deutlicher machen
Hygiene-Experte Walger schlägt eine Kampagne vor, um die Impfbereitschaft noch weiter zu erhöhen. Er bemängelt, dass die Erfolge in der Pandemiebekämpfung bislang zu wenig hervorgehoben würden. "Die Impfungen zusammengenommen mit den Hygienevorschriften haben erkennbar Todesopfer verhindert. Die strikte Priorisierung bei den Impfungen war erfolgreich, weil sie die Alten geschützt hat. Warum werden solche Erfolge nicht sichtbarer nach außen getragen? Etwa in einer Sendung wie der 'Der 7. Sinn', die jeden Abend vor der Tagesschau die positiven Effekte beschreibt."
FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus sieht vor allem in der Rückgabe von Freiheitsrechten den entscheidenden Anreiz, sich impfen zu lassen. Dem widerspricht Detlev Spangenberg von der AfD. Seine Partei lehnt jede Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften kategorisch ab. "Dies stellt eine Diskriminierung wie auch Stigmatisierung aller anderen dar, die großenteils gesund und nicht an Covid-19 erkrankt oder mit SARS-CoV-2 infiziert sind", sagte Spangenberg, der als Gesundheitspolitischer Sprecher der AfD im Bundestag sitzt, zu t-online. Was als Anreiz umschrieben werde, sei gleichbedeutend mit ausgeübtem Druck zur Impfung. "Die Entscheidung zur Impfung muss freiwillig getroffen werden können, nicht aber, weil man dadurch zuvor entzogenen Freiheiten wiedererlangen kann."
- Anfragen an die Fraktionen der Bundestagsparteien sowie an Epidemiologe Markus Scholz und DGKH-Vorstand Peter Walger
- Nachrichtenagentur dpa