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Hält sich die Politik an die eigenen Corona-Regeln?


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Abstand, Maske, Homeoffice
Hält sich die Politik an die eigenen Corona-Regeln?


Aktualisiert am 26.04.2021Lesedauer: 7 Min.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Leipziger Flughafen: Maske? Abstand? Egal!Vergrößern des Bildes
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Leipziger Flughafen: Maske? Abstand? Egal! (Quelle: Christian Grube/imago-images-bilder)
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Die Politik gibt in der Krise strenge Regeln und Empfehlungen vor. Aber beachten Politiker sie auch selbst? In vielen Fällen lautet die Antwort: nein. Nicht immer gibt es dafür nachvollziehbare Gründe. Ein Überblick.

Die Politik erlegt Bürgern und Wirtschaft seit mehr als einem Jahr harte Regeln auf: Strenge Kontaktbeschränkungen, Reise- und Veranstaltungsverbote, Homeoffice- und Testangebots-Pflicht sind nur einige davon. Dabei befinden sich Politiker immer in einer Doppelrolle: Sie sind strenge Gesetzgeber auf der einen Seite, auf der anderen aber selbst Bürger und Arbeitgeber für Hunderte und Tausende Mitarbeiter. Sie müssen die parlamentarische Demokratie aufrechterhalten, gleichzeitig aber gute Vorbilder in der Krise sein.

Geht das überhaupt?

t-online hat recherchiert, wie gut Politiker sich an ihre eigenen Regeln und Empfehlungen halten. Und wie gut sie für die Menschen, die für sie arbeiten, sorgen.

Mehr als 200 Coronafälle im Parlament

Abgeordnete, Verwaltungsmitarbeiter, Angestellte der Fraktionen, Service- und Reinigungskräfte: Im Bundestag arbeiten rund 10.000 Personen. Ein Bienenstock mit nicht geringem Ansteckungsrisiko. Seit Ausbruch der Pandemie vor mehr als einem Jahr hat es in diesem Bienenstock 210 Coronafälle gegeben, teilt die Pressestelle des Bundestags auf Nachfrage von t-online mit. Allein in dieser Woche wurden demnach drei Infektionen gemeldet, in der vergangenen waren es fünf.

32 Mal infizierten sich Abgeordnete, 41 Mal ihre direkten Mitarbeiter, 49 Mal die Mitarbeiter von Fraktionen, 74 Mal die Mitarbeiter der Verwaltung. Nur 14 Mal waren Angestellte von Fremdfirmen wie Reinigungs- oder Fahrdienst der Grund für eine Coronafall-Meldung an die Bundestagsverwaltung.

"Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich das entsprechende Infektionsgeschehen im Deutschen Bundestag abgespielt hat", teilt die Pressestelle mit. Die Ansteckung könne auch außerhalb stattgefunden haben.

Homeoffice-Rate: Kaum überprüfbar

Seit Januar sind Arbeitgeber verpflichtet, Homeoffice anzubieten, wo es möglich ist. Mit der Bundesnotbremse wird diese Regel nun im Infektionsschutz verankert und damit zum Gesetz. Wie viele der zahlreichen Mitarbeiter aktuell in der Verwaltung tatsächlich zu Hause arbeiten können, kann die Bundestagsverwaltung nicht sagen. Eine aussagekräftige Bilanz kann so nicht gezogen werden.

Klar ist: Ein Teil der Menschen, die für die Politik arbeiten, ist weiter in Präsenz gefordert. Das Außenministerium teilt auf Nachfrage zum Beispiel mit: Nicht in allen Arbeitsbereichen des Auswärtigen Amts sei die Arbeit im Homeoffice uneingeschränkt möglich, "weil der jeweilige Aufgabenzuschnitt ganz oder in Teilen eine physische Anwesenheit vor Ort erfordert". Inzwischen könnten aber im In- wie im Ausland "über drei Viertel" der Mitarbeiter von zu Hause arbeiten.

Und wie halten es die unterschiedlichen Parteien im Bundestag? Nur die Linke-Fraktion antwortet auf die Frage, wie viele ihrer Mitarbeiter von zu Hause arbeiten können und wollen, mit konkreten Zahlen: "Von 165 Mitarbeiterinnen arbeiten 126 – also 76,4 Prozent – ständig mobil", teilt ein Sprecher mit. Das schließe nicht aus, dass die Mitarbeiter mal für einen Termin ins Haus kämen. Das sei aber die "absolute Ausnahme".

Die SPD-Fraktion teilt ohne Nennung absoluter Zahlen mit, dass "70 bis 80 Prozent" ihrer Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten, die Grünen sprechen von "80 bis 90 Prozent", die FDP- und die Unionsfraktion von einem "weit überwiegenden Teil" ihrer Angestellten. Die AfD-Fraktion teilt mit, dass sie "jeden ihrer 200 Mitarbeiter" unterstütze, der mobil oder von zu Hause arbeiten wolle. Die Zahl der Mitarbeiter im Homeoffice "variiere".

6.000 Schnelltests an fünf Teststellen in einem Monat

Seit dieser Woche müssen Unternehmen ihren Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiten, mindestens einen Coronatest pro Woche anbieten. In Berlin wurden die Arbeitgeber vom rot-rot-grünen Senat bereits früher zu Testangeboten verpflichtet.

Im Bundestag gibt es inzwischen fünf Teststationen: An drei Teststellen werden Abgeordneten und Mitarbeitern Schnelltests durch betreutes Personal angeboten, an zwei weiteren können Eigentests unter Aufsicht durchgeführt werden. In der Woche vom 12. bis 16. April – Sitzungswoche im Parlament – wurden nach Angaben der Pressestelle an den fünf Teststellen insgesamt 1.561 Tests durchgeführt. Insgesamt sind es seit Einrichtung der Teststrecken Ende März etwas mehr als 6.000 Tests. Bei vermutlich Tausenden Mitarbeitern, die immer noch in Präsenz arbeiten, ist das nicht viel.

Unabhängig von den Teststellen bieten die Abgeordnetenbüros und Fraktionen ihren Mitarbeitern auch Selbsttests an. Die Grünen-Fraktion teilt mit, man biete jedem Mitarbeiter in Präsenz täglich einen Test an, Linke- und AfD-Fraktion stellen nach eigener Aussage zwei Tests pro Woche zur Verfügung, die SPD-Fraktion "mindestens zwei". Mitarbeiter nutzten das Angebot rege, heißt es.

Kanzlerin und Minister: Mehrere Tests pro Woche

Bund-Länder-Schalten, Ausschüsse, Treffen mit anderen Regierungschefs: Die Kanzlerin und die Minister haben besondere Pflichten – und sind besonderen Risiken ausgesetzt. "Minister Spahn wird mehrmals pro Woche getestet beziehungsweise nutzt Selbsttests", teilt das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage von t-online mit. Bei Terminen werde er nur von Mitarbeitern begleitet, die "zwingend für den Termin notwendig" seien. Aus dem Haus von Finanzminister Olaf Scholz heißt es, der Minister und seine engsten Mitarbeiter würden "laufend und anlassbezogen" getestet.

Und die Kanzlerin? "Die Bundeskanzlerin lässt sich auf Covid-19 testen, wenn die Umstände es erfordern", so ein Regierungssprecher. Zur genauen Anzahl der Tests äußere man sich grundsätzlich nicht.

Presseveranstaltungen: Hinter den Kameras stapeln sich die Fotografen

Die Politik hat die Pflicht, die Presse und damit die Öffentlichkeit breit zu unterrichten – und nimmt es für gute PR auch mit den Kontaktempfehlungen nicht so eng. Corona-Alltag für Journalisten: Vor der Kamera dringen Politiker auf die Einhaltung der Abstandsregeln, hinter der Kamera stapeln sich Dutzende Journalisten und Fotografen, um das beste Foto zu erhalten.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sorgte mit einem besonders absurden Auftritt im April 2020 für Diskussionen: Sie nahm am Flughafen Leipzig/Halle eine Lieferung von Schutzmasken aus China entgegen – trug aber selbst keinen Mundschutz, als sie von Dutzenden Journalisten zum Teil auch ohne Einhaltung des Mindestabstands interviewt wurde.

Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) pfiff vor rund einem Jahr auf jede Abstandsregel, als er sich mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, dem hessischen Gesundheitsminister Kai Klose und mehreren Medizinern und Journalisten bei einem Termin gemeinsam in einen Aufzug quetschte. Zum "Fahrstuhl-Gate" kam es noch dazu an der Uniklinik Gießen. Es blieb nicht der einzige Corona-Verstoß des für die Pandemiebekämpfung zuständigen Gesundheitsministers (siehe unten).

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Offiziell haben die Ministerien und das Bundeskanzleramt die Möglichkeiten, für Journalisten vor Ort dabei zu sein, aber stark eingeschränkt: Das Bundeskanzleramt lässt nach eigener Aussage nur die "ersten acht Anmeldungen" von Journalisten zu. Das Auswärtige Amt spricht von "höchstens fünf Anmeldungen" bei Pressekonferenzen. Notwendig sei außerdem ein aktuelles negatives Corona-Testergebnis.

Das Bundesfinanzministerium geht rigoroser vor: Man verzichte "derzeit grundsätzlich auf Präsenzveranstaltungen", teilt die Pressestelle mit.

Reisen: Auch für den Außenminister gilt die Quarantäneregel

Während Bürger das Reisen ganz unterlassen sollen, sagt die Bundesregierung nicht jede Reise ab. Ende Januar zum Beispiel flog Außenminister Heiko Maas in die Türkei, um mit der Regierung dort über die Beziehungen zwischen Ankara und der EU zu sprechen – trotz hoher Infektionszahlen in der Türkei.

Dienstreisen des Auswärtigen Amts würden "auf das zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit notwendige Minimum beschränkt", heißt es aus dem Außenministerium auf Nachfrage von t-online. Es gelte ein umfassendes Hygiene- und Sicherheitskonzept. Außenminister Maas und Mitreisende würden regelmäßig routinemäßig getestet. Und: Auch Maas und Co. müssten sich nach einer solchen Reise an die Quarantänebestimmungen des Landes Berlin halten, heißt es weiter.

Parteitage in Präsenz: Treffen mit Hunderten mitten im Lockdown

Demokratie lebt von Präsenz, so eigentlich das Motto für die Parteitage aller Farben. Corona hat damit Schluss gemacht – zumindest bei den meisten Parteien. Während die Bundesverbände von CDU, SPD und Co. ihre Parteitage zuerst verschoben haben und dann zum Großteil digital abhielten, hielt die Bundes-AfD an Präsenztagen auch während des Lockdowns fest: Mitte April tagte die Partei in Dresden, Ende November traf sie sich bereits im nordrhein-westfälischen Kalkar – mit jeweils 600 Delegierten.

Besonders um den ersten Parteitag in Kalkar gab es heftige Diskussionen, Kritiker forderten ein Verbot. Die Stadt erlaubte das Treffen am Ende mit der Begründung, dass für "Parteitage, die zur Funktionsfähigkeit der Parteien notwendig sind", besondere Regeln gelten. Beim AfD-Parteitag sei dies der Fall, weil die Partei neben Beschlüssen zum Programm auch Satzungsänderungen und Nachwahlen vorgesehen hatte.

Auf Landesebene kommt es häufiger zu Parteitagen, auch andere Parteien als die AfD treffen sich hier weiter in Präsenz. An diesem Wochenende zum Beispiel kam die Berliner Linke im Estrel-Hotel in Neukölln zusammen, um ihre Landeslisten für die Wahl im Herbst abzustimmen. 180 Delegierte und 150 Vertreter sind nach Angaben der Partei geladen. Auch am Platz herrscht Maskenpflicht.

Spendengalas, Abendessen und Geburtstagsfeiern

Immer wieder werden einzelne Minister oder Politiker wortbrüchig und verletzen die selbst propagierten Corona-Regeln. So traf sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Oktober mit rund einem Dutzend Lobbyisten zu einem Abendessen und sammelte dabei Spenden für seine Partei. Zur selben Zeit rief Spahn eindringlich dazu auf, genau solche Treffen zu unterlassen.

Heftige Kritik zog auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf sich, als er in Dresden mit Teilnehmern einer Anti-Lockdown-Demonstration diskutierte – ohne Mindestabstand und ohne Maske. Kretschmer erklärte später, die Demonstranten hätten nicht mit ihm sprechen wollen, hätte er eine Maske angelegt. "Wenn ich mich dabei anstecke, dann ist das mein eigener Fehler", sagte er. "Aber dann trage ich das."

Wegen einer Maske, die bei einem Pressetermin im März des vergangenen Jahres an der Aachener Uniklinik unter seiner Nase hing, löste Armin Laschet einen Shitstorm aus. Der frisch gekürte Kanzlerkandidat der Union und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident nahm die Kritik mit Humor, postete im Nachgang ein Erklärvideo zum Maskentragen und benutzte dabei das Hashtag #ichkanndasauch.

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FDP-Chef Christian Lindner traf sich im Mai 2020 mit dem Generalkonsul von Weißrussland im Berliner Edelrestaurant Borchardt. Ebenfalls dort: 300 weitere Gäste, die keinen oder wenig Abstand hielten. Sei's drum, dachte sich wohl auch Lindner – und umarmte den Generalkonsul zum Abschied und mit herunterhängender Maske. Sein Pech: Der innige Moment wurde im Bild eingefangen und publik.

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Politiker und ihre Speisegewohnheiten sind immer wieder ein Problem. Als Anfang Dezember in Rest-Bayern die Gastronomie geschlossen hatte und auch in Kantinen maximal zwei Personen zusammensitzen durften, trafen sich mehrere CSU-Mitglieder aus dem Landtag in einem Restaurant im Landesparlament. Mit dabei: Wissenschaftsminister Bernd Sibler und Bauministerin Kerstin Schreier, die Abgeordneten Harald Kühn, Andreas Jäckel und Petra Loibl (alle CSU). Landtagspräsidentin Ilse Aigner (ebenfalls CSU) rüffelte die Kollegen öffentlich und leitete ein Zwangsgeldverfahren gegen sie ein.

Dem CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch wurde ein Video von seiner Geburtstagsfeier Ende Februar zum Verhängnis. In dem Clip ist zu sehen, wie Menschen in einer Privatwohnung tanzen, singen – und sich umarmen. Masken, Mundschutz, Abstand? Fehlanzeige. Mindestens zwölf Gäste waren laut "Spiegel" anwesend. Willsch erklärte später, er habe mit seiner Familie feiern wollen, "unangekündigt" sei aber eine befreunde Familie dazugestoßen. Die öffentliche Kritik war groß.

Verwendete Quellen
  • Anfragen an die Pressestelle des Bundestags
  • Anfrage an Bundesgesundheitsministerium
  • Anfrage an das Bundesfinanzministerium
  • Anfragen an die Fraktionen im Bundestag
  • Anfrage an die Berliner Linke
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