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Corona-Lockerungen: Wie deutsche Städte jetzt ohne den Bund öffnen wollen


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Neue Konzepte in der Pandemie
Wie deutsche Städte in Eigenregie wieder öffnen wollen

Von Camilla Kohrs und Anja Keinath

Aktualisiert am 26.03.2021Lesedauer: 5 Min.
In der Corona-Modellstadt Tübingen hat die Außengastronomie geöffnet – aber nur wer einen negativen Corona-Test hat, darf auch rein.Vergrößern des Bildes
In der Corona-Modellstadt Tübingen hat die Außengastronomie geöffnet – aber nur, wer einen negativen Corona-Test hat, darf auch rein. (Quelle: imago-images-bilder)

Bund und Länder können sich in der Corona-Krise kaum mehr auf eine Strategie einigen. Die Hoffnung ruht nun auf Modellregionen, in denen streng getestet und viel gelockert wird. Der Andrang ist riesig.

Die Osterruhe ist gescheitert, die vereinbarte Notbremse interpretiert jedes Bundesland nach Belieben. So bleibt von den Beschlüssen des jüngsten Corona-Gipfels nicht mehr viel übrig. Der nächste steht erst in mehr als zwei Wochen an. Gleichzeitig steigt die Zahl der Neuinfektionen immer weiter. Und es stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?

Diese Frage sollen nun die Kommunen beantworten, so scheint es. Was auf höchster Regierungsebene nicht mehr funktioniert, sollen sie schaffen. Die Bundesländer dürfen dafür Modellregionen ernennen, in denen unter einer strengen Teststrategie weitreichende Lockerungen eintreten können. So lautet einer der wenigen konkreten Beschlüsse des Corona-Gipfels.

Merkel ruft zu mehr Kreativität auf

Kanzlerin Angela Merkel rief in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag Lokalpolitiker explizit dazu auf, mehr Kreativität zu wagen. "Es ist keinem Bürgermeister und keinem Landrat verwehrt, das zu tun, was in Tübingen und Rostock gemacht wird", sagte sie. Die Städte gelten als Vorbilder, ihre Konzepte könnten Deutschland doch noch einen unbeschwerten Sommer bescheren. Doch ganz so einfach ist das nicht.

Auf der Terrasse vom Lieblingscafé einen Kuchen essen, durch Boutiquen bummeln und danach ins Kino. Möglich ist das im baden-württembergischen Tübingen. Voraussetzung: das "Tübinger Tagesticket". An mehreren Teststationen in der Innenstadt werden die Menschen getestet und bekommen im Fall eines negativen Resultats das Ticket und damit ein kleines Stück Normalität zurück.

Zahlreiche Bewerbungen für Modellregionen

Es ist ein Modell, auf das viele Menschen in Deutschland nach monatelangem Lockdown neidisch blicken – und das nun bundesweit zahlreiche Nachahmer finden könnte. Der Andrang ist riesig. "Fast alle wollen Modellregion werden", berichtet der NDR aus Niedersachsen. Mit dem Saarland werden Lockerungen mit einer strengen Teststrategie gar in einem gesamten Bundesland erprobt.

In Nordrhein-Westfalen haben sich ebenfalls bereits zahlreiche Kommunen und Städte beworben, darunter die Stadt Münster. Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) hatte schon Anfang März Bund und Länder aufgefordert, den Städten mehr Freiheit und auch mehr Verantwortung zu geben. Nun sagt er: Wenn es nach ihm ginge, könnten die Münsteraner ab Ostern wieder einkaufen, im Restaurant essen und ins Theater gehen.

Lewe: Modellregionen sind richtiger Weg

Der Schlüssel dafür liege im Testen. In der Innenstadt wurde bereits in einem Zelt und einem Ladenlokal ausprobiert, wie Bürger schnell vor Ort getestet werden können. Wie in Tübingen auch könnten die Menschen mit diesem Test dann wieder Freiheiten genießen. Die Hygienevorschriften müssten natürlich weiter eingehalten werden, sagt Lewe t-online. Zudem wünscht er sich, dass die Kontakte besser nachverfolgt werden können. "Da ist bisher viel zu wenig geschehen", meint er.

Lewe sieht das Konzept der Modellregionen als richtigen Weg. Hier könne im Kleinen erprobt werden, was bald überall gelten könnte. Es gehe darum, eine Balance zwischen Sicherheit und Leben in der Stadt zu finden. "Das große Problem ist, dass in der Wahrnehmung vieler Bürger die Perspektiven fehlen", sagt Lewe dazu. Diese zu entwickeln, sei nun die entscheidende Herausforderung. Nicht nur für die aktuelle Pandemie, sondern auch für die Zukunft. "Pandemien können immer wieder auftreten. Zentrale Aufgabe wird sein, herauszufinden, wie wir mit einer Pandemie, mit einem Virus leben können." Ob sein Vorhaben nun umgesetzt werden kann, hängt von der Zustimmung des Landes Nordrhein-Westfalen ab. Denn so weitgehende Lockerungen darf die Stadt nicht eigenmächtig beschließen.

Kommt die Testpflicht?

Dass das Testen ein wichtiger Baustein für Lockerungen sein wird, davon war bereits im Anfang März beschlossenen Öffnungsplan die Rede. Der Beschluss des damaligen Corona-Gipfels sah vor, die Verfügbarkeiten von Schnell- und Selbsttests deutlich auszuweiten. Eine Konsequenz war der sogenannte "Bürgertest", mit dem sich jeder Bürger einmal die Woche kostenlos testen lassen kann.

Eine Testpflicht – wie es sie in den Modellregionen gibt – sehen die Bund-Länder-Beschlüsse bisher bundesweit nicht vor. Noch nicht. Die beiden ostdeutschen Länderchefs Bodo Ramelow (Linke) und Michael Kretschmer (CDU) hatten schon vor dem Gipfel am vergangenen Montag angekündigt, dass sie ohne eine "strenge Teststrategie" keinen Spielraum für Lockerungen sehen. "Ohne Kontaktnachverfolgung und ohne Testen bin ich nicht fürs Öffnen, da bin ich für gar nichts", stellte Ramelow klar.

Fußballspiel vor Fans in Rostock

Doch während mancherorts nicht einmal in Schulen ausreichend getestet wird, ist die Stadt Rostock bereits mehrere Schritte weiter. In einem Pilotprojekt am vergangenen Wochenende konnte der Fußballverein Hansa Rostock bereits vor 777 Zuschauern spielen. Alle wurden vor dem Spiel mit einem Schnelltest überprüft. Die Stadt gilt ohnehin als ein Paradebeispiel. Die Inzidenz liegt hier bei etwas über 30, seit Beginn der Pandemie hatte die Großstadt nur 27 Todesfälle zu beklagen.

In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig fordert Rostocks Bürgermeister Claus Ruhe Madsen nun, "alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten" zu nutzen, "um Tests in aller Breite anzubieten".

Tübingens Bürgermeister zieht vorsichtig positive Bilanz

Boris Palmer, Bürgermeister der Pionier-Stadt Tübingen, zieht aus dem Modellversuch in seiner Stadt bisher eine vorsichtig positive Bilanz. "Wir haben bisher 16 Tage, in denen die Inzidenz in Tübingen nicht angestiegen ist", sagt der Grünen-Politiker t-online. "Das deutet darauf hin, dass wir es geschafft haben, Öffnungen und Sicherheit zu verbinden." In den Zahlen des Robert Koch-Instituts findet sich nur die Sieben-Tages-Inzidenz für den gesamten Landkreis Tübingen, nach Angaben der Stadt selbst befindet sie sich seit zwei Wochen konstant in einem Korridor zwischen 20 und 30. Die Öffnungen in seiner Stadt werden wissenschaftlich begleitet, eine erste Auswertung soll es nach Ostern geben. Erst dann könne ein Urteil getroffen werden.

Video | Diese deutsche Stadt ermöglicht ein Leben ohne Corona-Lockdown
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Quelle: reuters

Dass Bund und Länder die Modell-Regelung in ihren Beschluss aufgenommen haben, freut Palmer. Er fordert in der Corona-Politik mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Städte und Kommunen. "Wir wissen am besten, was bei uns vor Ort geht und was nicht."

Modellversuch zum Impfpass: Auf Bundesebene ist ein digitaler Impfpass noch nicht in Sicht, im bayerischen Landkreis Altötting gibt es den allerdings schon seit vielen Wochen: Seit dem 22. Januar wird hier der digitale Impfpass nach der zweiten Impfung ausgehändigt. Mit Erfolg: "Fast jeder nimmt das Angebot in Anspruch", sagt ein Sprecher des Landratsamts t-online. "Mittlerweile haben wir 10 Mitarbeiter, die nichts anderes machen, als die Karten mit dem QR-Code auszugeben".

Ganz so einfach scheint es dann aber doch nicht zu sein, wie das Beispiel München zeigt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) machte am Mittwoch in einer Stadtratssitzung seinem Ärger Luft. "Es kann so nicht mehr weitergehen, dass wir seit über einem Jahr fremd regiert werden". Er habe sich bereits darüber beschwert, sagt er, aber das finde kein Gehör. "Ein Mitspracherecht der Kommunen (...) gibt es nur, wenn die Kanzlerin mal wieder Lust hat, sich mit den Bürgermeistern zu treffen, ansonsten nicht." Stattdessen müssten Bürgermeister wie er den Bürgern Entscheidungen verkaufen, die sie teilweise nicht mittragen.

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Auch München bewirbt sich als Modellstadt und pocht bei der bayerischen Landesregierung darauf, die Regeln dafür zu lockern. Denn bisher sollen nur Städte mit einer Inzidenz von über 100 teilnehmen dürfen, München liegt aber bei knapp 85.

Pro Bundesland werden nur ein paar Städte ausgewählt

Die Hoffnung, eine Modellstadt oder -region zu sein, ist bundesweit hoch. Endlich mal wieder positive Nachrichten, endlich den Bürgern mal wieder ein Stück Freiheit zurückgeben. Doch nicht alle werden dazu die Möglichkeit haben. Bayern etwa will acht Städte auswählen, Nordrhein-Westfalen fünf oder sechs.

Münsters Bürgermeister Lewe hofft natürlich auf einen positiven Entscheid. Sorge, dass das Infektionsgeschehen außer Kontrolle geraten könnte, hat er nicht. "Die hätte ich, wenn wir ohne Plan lockern würden". Das sei aber nicht der Fall. "Die Tests und Hygienemaßnahmen zusammen sind so sicher, dass wahrscheinlich die Fahrt zum Testzentrum gefährlicher ist", sagt Lewe. "Man muss es nur konsequent durchführen."

Verwendete Quellen
  • Telefongespräche mit Boris Palmer und Markus Lewe
  • Münchner Stadtratsaufzeichnung vom 24.03: Videoaufzeichnung
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