Sputnik V Russischer Impfstoff: AfD-Delegation reist nach Moskau
Moskau/Berlin (dpa) - Für Alice Weidel muss das winterliche Moskau wie ein Wunderland sein. Impfstationen gegen das Corona-Virus in Einkaufszentren, in der Oper und praktisch an jeder Ecke der Appell, sich impfen zu lassen. Ohne Termin. Von Impfstoffmangel und Lockdown keine Spur.
Die AfD-Bundestagsfraktionschefin sieht in Russlands schillernder Hauptstadt, wie trotz Pandemie das Leben pulsiert. Vor ihrer Rückkehr nach Deutschland, wo sie in Baden-Württemberg im Endspurt der Landtagswahl am Sonntag erwartet wird, will die 42-Jährige sehen, was in Russland im Pandemie-Kampf womöglich besser läuft als zuhause. Es ist schon der zweite AfD-Besuch in Moskau innerhalb von drei Monaten. Im Dezember hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla empfangen.
In Moskau treffen Weidel und ihre AfD-Fraktionskollegen Robby Schlund und Petr Bystron eine Wissenschaftlerin vom Gamaleja-Institut, das Sputnik V entwickelt hat, und Vertreter des Direktinvestmentfonds, der sich weltweit um die Vermarktung kümmert. Fast 50 Länder haben Sputnik V schon zugelassen, darunter Ungarn, die EU noch nicht. "Ich hoffe, dass Sputnik V die gleichen Zulassungschancen hat wie andere Impfstoffe auch", sagt Weidel in Moskau.
Ein Prüfverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA für Sputnik V läuft noch. Kritiker sehen das Präparat als ideologische Waffe Moskaus im Kampf um geopolitischen Einfluss. Obwohl das möglich wäre und auch viele Deutsche in Russland schon das Vakzin verabreicht bekommen haben, lassen sich die AfD-Vertreter das Präparat nicht spritzen, wie sie sagen.
Sie treffen in Moskau unter anderem auch Mitarbeiter des Außenministeriums, Abgeordnete der Staatsduma und Wirtschaftsvertreter. Hauptziel der mehrtägigen Fraktionsreise ist es nach Angaben der größten Oppositionspartei im Bundestag, in den konfliktreichen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Im Konflikt etwa um die Ukraine oder die Vergiftung des Kremlgegners Alexej Nawalny ist das deutsch-russische Verhältnis auf einem Tiefpunkt.
Für die russischen Gastgeber ist der Besuch der Kreml-Freunde von der AfD eine Wohltat. Neben dem Lob für das Corona-Krisenmanagement kann sich der Kreml über AfD-Kritik an der "Einmischung" der Bundesregierung in die inneren Angelegenheiten Russlands freuen. Scharfe Worte wie von der Bundesregierung, die eine wachsende Unterdrückung Andersdenkender in Russland kritisiert, müssen die Gastgeber nicht fürchten. Die AfD trifft da ganz den Nerv des Kreml, wenn sie mit Blick auf das Interesse, das der Verfassungsschutz für ihre Partei zeigt, "politische Verfolgung in Deutschland" beklagt.
Für die notorisch Moskau-freundliche Linkspartei mögen die lebhaften Kontakte zwischen der russischen Führung und der AfD schmerzhaft sein. Bei den eigenen Parteifreunden können AfD-Politiker damit mehrheitlich punkten. Denn anders als in den Anfangstagen, als Parteigründer Bernd Lucke noch den Ton angab, ist die AfD heute eine Partei, die sich zumindest rhetorisch stark an Russland annähert.
"Eine Entspannung im Verhältnis zu Russland ist Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa", heißt es im Leitantrag für das Programm der Partei für die Bundestagswahl im September. In dem Programmentwurf, über den auf einem Parteitag Mitte April in Dresden beraten wird, steht weiter: "Es liegt im deutschen und europäischen Interesse, Russland in eine sicherheitspolitische Gesamtstruktur einzubinden."
Von daher ist nicht auszuschließen, dass Weidel, Bystron und Schlund, die in dieser Konstellation vorher noch nicht in Erscheinung getreten sind, diese Reise auch unternehmen, um daheim Zustimmung zu gewinnen. In diesen Tagen ist das für einige von ihnen besonders wichtig, da demnächst die Aufstellung der Landeslisten für die Bundestagswahl ansteht. Weidel, die ihren Wahlkreis am Bodensee hat, kann sich in Baden-Württemberg beispielsweise gute Chancen auf den Spitzenplatz ausrechnen. Sie hat aber auch viele Gegner im eigenen Landesverband.
Dass die AfD in Moskau so willkommen ist, hat viele Gründe. Die Partei tritt nicht nur für eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland ein. Nach dem Mordanschlag auf Nawalny zog die Partei die Angaben der Bundesregierung in Zweifel. Und sie vergleicht den Nawalny-Fall mit Angriffen auf AfD-Politiker in Deutschland - obwohl in Deutschland niemals staatliche Akteure im Verdacht standen und sich Attacken auch gegen Vertreter anderer Parteien richten. Unerwähnt lässt die Partei zudem, dass in Russland immer wieder Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin getötet wurden.
Dabei verfängt die von der AfD gepflegte "Opfer-Rolle" längst nicht bei allen in Moskau. Selbst in Kremlkreisen gibt es Kritik an einigen umstrittenen Äußerungen von AfD-Politikern zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg. Russland erinnert in diesem Jahr im Juni an den 80. Jahrestag des Überfalls von Hitlerdeutschland auf die Sowjetunion 1941.
Der russische Deutschland-Experte Wladislaw Below sieht es kritisch, dass sich die russische Politik nicht öffentlich abgrenze von rechtsextremen Kräften in der AfD. Russland wisse zwar, dass es in der AfD "Nazis" gebe, die den Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg huldigten. "Aber es fehlt an öffentlicher Kritik", sagt der Leiter des Deutschland-Zentrums bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Für die AfD sei inzwischen jeder Besuch in Russland ein Gewinn, weil sie hier Außenpolitik machen könne. "Die Partei genießt die Aufmerksamkeit. In Russland werden ihr die Hände geschüttelt - und keine Blumen vor die Füße geworfen."