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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trotz steigender Fallzahlen Diese drei Corona-Trends machen Hoffnung
Die Infektionszahlen steigen wieder. Grund zur Resignation? Auf keinen Fall. Denn es gibt Indikatoren, die eine nachhaltige Verbesserung beim Infektionsgeschehen in wichtigen Bereichen zeigen.
Der rasante Rückgang der Infektionszahlen in Deutschland ist vorerst gestoppt. Erstmals seit Wochen geht die Kurve sogar wieder leicht nach oben. Am Freitag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 9.997 neue Corona-Fälle innerhalb eines Tages. Vor Wochenfrist waren es 884 weniger. Und auch die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen, nahm wieder leicht zu und liegt nun bei 62,6.
Von der Schwelle von 35, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs bei ihrem letzten Corona-Gipfel als Richtwert gesetzt hatten, entfernen wir uns also wieder ein Stück weit. Hielte man aber an der Marke fest, dürfte es noch Monate dauern, bis weitreichende Öffnungen vollzogen werden könnten. Deshalb mehren sich nun die Stimmen, die fordern, man müsse abrücken von der 35 und stattdessen andere Indikatoren in den Blick nehmen. Denn tatsächlich lassen sich derzeit mehrere Trends ablesen, die Anlass zu nachhaltigem Optimismus geben.
1. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei den besonders Gefährdeten geht zurück
Während die Sieben-Tage-Inzidenz für die Gesamtbevölkerung aktuell wieder leicht steigt, sinkt sie in der Gruppe der besonders gefährdeten Menschen weiter konstant. Zu Jahresbeginn lag dieser Wert für die Gruppe "80 plus" noch bei etwa 340. Bis zur Vorwoche ist er dann auf knapp unter 80 gefallen, aktuell liegt er bei 69 – ein Rückgang von 80 Prozent. Zudem fällt die Inzidenz in der Hochrisikogruppe schneller ab als im Bundesschnitt: Auf die Gesamtbevölkerung gerechnet ging sie um rund zwei Drittel zurück.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht den Grund für die Entwicklung im allmählichen Fortschritt der Impfkampagne. So hätten bislang die allermeisten Menschen in Risikogruppe 1 das Impfangebot angenommen, sagte Spahn am Freitag in Berlin. In einigen Bundesländern sei bereits die Mehrheit der über 80-Jährigen geimpft. Das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, sei für diese Gruppe damit deutlich gesunken.
Exemplarisch ist die Entwicklung in Berlin. In der Hauptstadt sind die Impfungen in den Altenheimen abgeschlossen, alle Menschen aus der Risikogruppe 1 haben ihren Termin bekommen. Die Inzidenzen in den besonders vulnerablen Gruppen sinken seit Jahresbeginn drastisch, bei den 80- bis 89-Jährigen von 375 auf rund 80, bei den über 90-Jährigen von knapp 880 auf etwa 140. Und der Trend hält an.
2. Die Lage in den Pflegeheimen entwickelt sich positiv
Infektionszahlen bei Bewohnern wie Mitarbeitern in Pflegeheimen gehen deutlich zurück, ebenso die Sterbefälle, wie Zahlen des RKI zeigen. Das Institut erfasst zwar lediglich Heimbewohner über 60 Jahren, eine feinere Unterteilung der Altersgruppen liegt nicht vor. Dennoch lassen sich klare Trends ablesen. So sanken seit Jahresbeginn die Fallzahlen in der genannten Alterskohorte drastisch: von über 6.000 Neuinfektionen in Kalenderwoche 3 (18. bis 24. Januar) auf knapp 3.900 in Kalenderwoche 5 und schließlich weniger als 1.600 in Kalenderwoche 8.
Ebenfalls deutlich zurück ging die Zahl der Personen, die in den Pflegeeinrichtungen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung verstarben: Von 1.399 in der dritten Kalenderwoche auf 561 in der laufenden Woche. Im gleichen Zeitraum sanken auch die Infektionen bei Mitarbeitern der Einrichtungen laut RKI drastisch, von rund 2.800 auf noch etwa 970. Hintergrund dürften auch hier die Impfungen sein, die mittlerweile ein großer Teil der Pflegekräfte in Altenheimen in Anspruch genommen hat.
"Das Risiko, an Corona zu erkranken, hat sich für unsere höchstbetagten Bürgerinnen und Bürger deutlich reduziert", betonte Bundesgesundheitsminister Spahn deshalb am Freitag. Die Fallzahlen bei den Über-80-Jährigen nähmen weiter ab, betonte auch der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler. "Das ist wahrscheinlich schon ein Effekt der Impfung." Gleichwohl gebe es nach wie vor Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern.
Beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) will man noch nicht von Entspannung sprechen. "Noch warten in einigen Bundesländern Heime auf den ersten Impftermin. Zudem ist der Impfschutz ausgerechnet in den schwer betroffenen Einrichtungen noch gering, da viele Personen nicht geimpft wurden und auch neu einziehende pflegebedürftige Menschen häufig noch nicht geimpft sind", sagte Verbandspräsident Bernd Meurer zu t-online.
Grundlage und Ausgangspunkt jeder kommenden Regelung müssten flächendeckende Impfungen sein. "Wir benötigen eine möglichst hohe Impfquote bei Heimbewohnern und Pflegekräften. Hierfür setzen wir uns aktiv ein. Dann kann über weitere Lockerungen nachgedacht werden", sagte Meurer.
3. Auf den Intensivstationen sieht es wieder besser aus
Die Zahl der Intensivpatienten mit Covid-19-Erkrankung sinkt seit Jahresbeginn kontinuierlich. Am 3. Januar verzeichnete das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, kurz DIVI, noch 5.762 Corona-Patienten in Intensivbehandlung. Bis Freitag ist dieser Wert auf 2.848 gefallen.
Nun mag man einwenden, dass die schweren Erkrankungsfälle dem Trend beim Infektionsgeschehen erst mit ein bis zwei Wochen Verzögerung folgen. Aber auch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ist man optimistisch. "Die Lage hat sich im Vergleich zum Höchststand der zweiten Welle spürbar entspannt", sagte der Chef der DKG, Gerald Gaß, vor Kurzem der "Welt". "Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir sagen können: Wir sind nicht überlastet."
Erstaunlich ist, dass Gaß auch die Ausbreitung der Virus-Mutanten gelassen sieht: "Selbst wenn die Zahlen auch bei uns plötzlich steigen sollten – was ich nicht glaube –, könnten wir schnell reagieren." Indem man kurzfristig Operationen verschiebe, könnten binnen weniger Tage Tausende Intensivbetten freigemacht werden, erläuterte der Verbandschef. Hinzu kommt, dass Gaß die Krankenhäuser inzwischen deutlich besser aufgestellt sieht als noch in der ersten Welle. "Unsere Mediziner haben bei der Versorgung der Covid-Patienten eine enorme Lernkurve hingelegt. Also bei der Frage, mit welcher Medikation und welchen Therapien es gelingt, schwere Verläufe zu verhindern oder eine Beatmung abzuwenden", sagte Gaß.
Kommende Woche Mittwoch werden Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten über die nächsten Schritte im Kampf gegen das Virus beraten. Bislang scheint die Regierungschefin nicht gewillt, etwa mit der Einführung von Corona-Selbsttests bei der 35 nachzugeben, wie sie am Rande des EU-Sondergipfels zur Pandemie deutlich machte. Anlass dafür, diesen Schwellenwert zumindest zu prüfen, gibt es allerdings.
- Zahlen des RKI zur 7-Tage-Inzidenz, Sterbefällen
- Tägliche Lageberichte des RKI
- Zahlen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin
- Interview der "Welt": "Wir sind nicht überlastet"
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Eigene Recherchen