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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Regeln missachtet 17-Jährige setzt keine Maske auf und kassiert kuriose Strafe
Eine 17-Jährige wird beim Verstoß gegen die Maskenpflicht ertappt und zahlt das fällige Bußgeld nicht. Jetzt soll sie sich auf drei Seiten Gedanken über den Sinn der Regeln machen.
Sie hatte die Maske nicht auf, sie hat das Bußgeld nicht bezahlt – jetzt muss sie einen Aufsatz über den Sinn der Infektionsschutzregeln schreiben: Eine 17-Jährige hat vom Amtsgericht Braunschweig die Auflage erhalten, zu dem Thema drei DIN-A4-Seiten per Hand zu verfassen.
Dieser Beschluss wurde in Gruppen von "Querdenkern" verbreitet. Das Amtsgericht bestätigt grundsätzlich, dass es eine entsprechende Entscheidung gibt, will aber Details nicht kommentieren, weil es sich um eine Minderjährige handelt.
Klar ist: Die Stadt Braunschweig schickte am 15. Dezember mit dem Aktenzeichen 762 22 208925.2 einen Bußgeldbescheid über 75 Euro zuzüglich Verwaltungsgebühren. Die Jugendliche zahlte aber nicht und gab auch keine Rückmeldung, dass sie nicht zahlen kann. Also landete der Fall beim Amtsgericht.
Aufsatz als Alternative zu Jugendarrest
Das Gericht kann Erzwingungshaft anordnen, wenn ein Bußgeld nicht gezahlt wird und es keine Hinweise auf große finanzielle Probleme gibt. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden hat das Gericht aber Alternativen. So heißt es auch in dem Braunschweiger Beschluss, angesichts des jugendlichen Alters erscheine die Vollstreckung des Bußgeldbescheids oder die Anordnung der Erzwingungshaft nicht angebracht.
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Vier Alternativen gibt es in solchen Fällen: Sozialstunden, Wiedergutmachen eines eventuell angerichteten Schadens, Verkehrsunterricht bei einem Verkehrsverstoß oder "sonst eine bestimmte Leistung erbringen".
Im Fall der 17-Jährigen entschied sich die Richterin für den letzten Punkt. Drei Seiten lang und handgeschrieben soll der Aufsatz sein. Das genaue Thema lautet "Die Auswirkungen der coronabedingten Kontaktbeschränkungen auf das alltägliche Leben und Sinn und Zweck der Infektionsregeln".
Eine solche Auflage ist bei Jugendlichen auch nach Straftaten möglich: So hat das Amtsgericht Cloppenburg einen Jugendlichen im vergangenen Jahr dazu verpflichtet, ein ehemaliges Konzentrationslager im Emsland zu besuchen und einen Aufsatz darüber zu schreiben. Er hatte auf WhatsApp Hakenkreuz-Bildchen verschickt. Eine Sprecherin des Amtsgerichts Braunschweig wollte keine Angaben machen, wie oft dort schon Aufsätze aufgegeben wurde, sagte t-online aber: "Im Jugendrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund, und da erzielen wir mit den entsprehcnenden Mitteln gute Erfolge".*
Schülerin fühlte sich angeblich unwohl
Wenn die 17-Jährige in Braunschweig den Aufsatz nicht schreiben sollte, könnte immer noch Jugendarrest angeordnet werden – bis zu einer Woche ist möglich. Das ist aber wenig wahrscheinlich, wie ihre Eltern anonym gegenüber Autoren aus dem rechten und neurechten Spektrum angedeutet haben.
Einem rechtspopulistischen Publizisten sagten sie laut dessen Telegram-Kanal, der Vorfall habe sich während der Mittagspause der Schule zugetragen, als ihre Tochter sich in der Innenstadt etwas zu essen holen wollte. Das Mädchen habe sich in dem Moment schlecht gefühlt und deshalb die Maske "für einen Moment" abgesetzt.
Auch habe es keine Schilder gegeben, dass eine Maske getragen werden müsse. So hatte sie offenbar auch bei den Polizisten argumentiert, die dann die Ordnungswidrigkeitenanzeige erstellten. Laut den Eltern habe die 17-Jährige zunächst angeboten, Sozialstunden zu leisten.
"Querdenker" erhoffen coronakritischen Aufsatz
In Telegram-Gruppen von "Querdenkern" und Coronarebellen zweifeln Nutzer die Rechtmäßigkeit der im Ordnungdwidrigkeitengesetz klar vorgesehenen Maßnahme an. Andere bieten sich als Helfer für den Aufsatz an. Die Stoßrichtung dabei ist klar: Die Schülerin ohne Maske soll beim Aufsatz ans Gericht auch kein Blatt vor den Mund nehmen.
Hilfe angeboten hat unter anderem die Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner, die im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht alle Coronaregeln aufheben lassen wollte und von "Coronoia" und dem "größten Rechtsskandal" in der Geschichte der Bundesrepublik gesprochen hatte. Bahner erklärte nun, die Schülerin könne sich darüber auslassen, was der "tatsächliche" Sinn und Zweck des Infektionsschutzgesetzes sei.
Der Vater der 17-Jährigen deutete bereits an, der Aufsatz werde "corona-kritisch" ausfallen. Über den erzieherischen Wert der Aufgabe darf dann diskutiert werden. Bis zum 5. Februar muss der Text beim Gericht vorliegen.
*Der Text wurde mit der Stellungnahme des Amtsgerichts aktualisiert.
- Eigene Recherchen
- dejure.de: Ordnungswidrigkeitengesetz, Vollstreckung gegen Jugendliche und Heranwachsende