Astrazeneca nicht für Senioren Neuer Impfstoff wirbelt deutsche Strategie durcheinander
Die EU bekommt den dritten Impfstoff, doch es gibt wenig Grund zum Jubel. Astrazeneca darf wohl nur bei Jüngeren eingesetzt werden. Die deutsche Impfstrategie steht damit vor einem Problem.
An diesem Freitag wird die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) voraussichtlich die bedingte Zulassung des Impfstoffes des Herstellers Astrazeneca empfehlen. Dann muss nur noch die EU-Kommission zustimmen. Das gilt als Formsache und könnte ebenfalls noch an diesem Freitag geschehen. Damit hätte die EU den dritten Impfstoff gegen Covid-19 – und ein großes Problem.
Denn: Beobachter rechnen damit, dass die EMA-Experten den Impfstoff vorerst nur für Personen von 18 bis 65 Jahren zulassen werden. Eine solche Altersbeschränkung empfiehlt etwa auch die Ständige Impfkommission (Stiko), wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilte. Denn die derzeit verfügbaren Daten reichten nicht aus für eine Zulassung für Ältere.
Deshalb fordern Politiker in Deutschland bereits jetzt Konsequenzen für die deutsche Impfstrategie. Diese wollen SPD-Vorsitzende Saskia Esken und FDP-Vize Wolfgang Kubicki nun noch einmal anpassen: "Wir müssen zum einen umgehend alternative Impfstoffe für über 65-Jährige beschaffen und zum anderen die Impfreihenfolge für den in Kürze eintreffenden Astrazeneca-Impfstoff neu koordinieren", sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Früheres Impfangebot für "ultra-systemrelevante" Berufe?
"Vor allem Klinik- und Pflegepersonal sollten als erste von den nun freien Ressourcen profitieren." Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte den Funke-Zeitungen, Ärzte und Pflegepersonal sollte prioritär mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft werden.
- Ein Jahr Corona: Wie Deutschland die drohende Katastrophe verschlief
Auch CSU-Chef Markus Söder will die Impfreihenfolge überdenken, so könne der vorhandene Impfstoff dann verstärkt für medizinisches Personal, in den Krankenhäusern und in den Arztpraxen eingesetzt werde, sagte Söder im ZDF.
FDP-Chef Christian Lindner empfahl im TV-Sender Phoenix, Erzieher und Lehrer eher zu impfen. "Das sind ultra-systemrelevante Berufe. Die sollten früher ein Impfangebot bekommen als geplant", sagte Lindner.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erwartet im Gespräch mit t-online nun einen Fokus auf die Risikogruppe 3 der deutschen Impfstrategie. Medizinpersonal und Polizisten würden damit schneller geimpft werden, weil die ersten zwei Risikogruppen hauptsächlich aus über 70-Jährigen bestünden. Zur dritten Prioritätengruppe zählen neben medizinisch vorbelasteten Menschen auch Feuerwehrmänner, Justizmitarbeiter, Mitarbeiter im Lebensmitteleinzelhandel, Saisonarbeiter, Regierungsbeamte – und Abgeordnete.
- Mutanten-Ausbrüche: Hier sind die Virus-Varianten schon nachgewiesen
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger bezeichnete es in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" als ein vertrauenstärkendes Signal, "wenn sich zum Beispiel die Bundeskanzlerin oder der Bundespräsident öffentlich impfen lassen würde" – wenngleich Angela Merkel mit ihren 66 Jahren und Frank-Walter Steinmeier mit seinen 65 Jahren bereits zu alt für den Astrazeneca-Impfstoff wären.
Embed
Impfgipfel soll neues Vertrauen schaffen
Als Konsequenz auf den schleppenden Impfstart und den Turbulenzen mit den Pharmaunternehmen bemühen sich Bund und Länder nun um Schadensbegrenzung. Und wollen auf einem Impfgipfel am Montag Vertrauen der Bevölkerung für die Massenimpfungen bewerben. SPD-Chefin Esken nannte das Impftreffen dringlich. "Die Impfstoffbeschaffung und -verteilung muss endlich zur Chefsache gemacht werden", forderte sie. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte in der ZDF-Sendung "maybrit illner", das Treffen sei nicht symbolisch. Es gehe darum, dass neue Ideen und Lösungen gefunden werden. Aber man müsse auch realistisch sein, "es wird keine schnelle Lösung geben".
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, begrüßte den Impfgipfel, um mit den Impfstoffherstellern praktische Lösungen zu finden. "Dringend geprüft werden sollte zum Beispiel, ob und wie die EU-Kommission sowie Bund und Länder Kooperationen zwischen Pharmaherstellern unbürokratisch durch schnelle Genehmigungsverfahren für Produktionsanlagen fördern und intensivieren können", forderte Reinhardt in der "Rheinischen Post".
Briten Impfen Astrazeneca auch bei Senioren
Bislang sind in der EU nur die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen. Gerade der Wirkstoff des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca ist für viele EU-Staaten vielversprechend. Der Impfstoff, den der Konzern gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hatte, wird bereits in großem Stil seit Januar in Großbritannien eingesetzt.
Vorteile des Präparates sind: Er ist vergleichsweise preiswerter als die beiden anderen und sehr viel handlicher gerade für Massenimpfungen. Der Hersteller Astrazeneca hatte aber zuvor Berichte als falsch zurückgewiesen, die besagten, der Impfstoff sei bei über 65-Jährigen nur zu acht Prozent wirksam. Auch der britische Premier Boris Johnson wies Bedenken beim Astrazeneca-Impfstoff für über 65-Jährige zurück. Die britische Zulassungsbehörde sei der Meinung, dass das Vakzin in allen Altersgruppen eine gute Immunantwort erziele, sagte Johnson. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn betonte in einer Pressekonferenz am Donnerstag, es habe "nicht schlechte, sondern nur zu wenige Daten und Studienteilnehmer über 65 gegeben". Diese sollen nun nachgereicht werden. Dass der Impfstoff dann auch für die ältere Bevölkerung nachträglich freigeben wird, ist wahrscheinlich.
Was bleibt, sind die Lieferengpässe bei Astrazeneca. Die EU-Kommission ist in einen heftigen Streit mit dem Hersteller verstrickt. Der hatte angegeben, wegen Produktionsproblemen etwa 60 Prozent weniger liefern zu können. Daher könnten große Mengen des Impfstoffes für Deutschland und andere EU-Länder erst Wochen oder Monate später zur Verfügung stehen. Auch dadurch drohen Impfprogramme vieler EU-Länder ins Stocken zu geraten.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa