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Corona-Krise: SPD-Politiker Karl Lauterbach sucht Streit – ein Porträt


Karl Lauterbach in der Corona-Krise
Er sucht Streit

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 17.05.2020Lesedauer: 6 Min.
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Karl Lauterbach mit Mundschutz im Bundestag: Er stürzt sich in jede Debatte.Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach mit Mundschutz im Bundestag: Er stürzt sich in jede Debatte. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Karl Lauterbach sendet in der Corona-Krise auf allen Kanälen. Meistens gibt er den Spielverderber. Das gefällt längst nicht allen. Doch der SPD-Politiker sieht sich gerade jetzt in der Pflicht.

Als Angela Merkel den Deutschen Mitte März in ihrer ersten Corona-Ansprache ins Gewissen redet, da ist sie nicht die einzige, die auf mehreren Fernsehsendern zugleich ein Millionenpublikum erreicht. Auch Karl Lauterbach hat sich verdoppelt. Er diskutiert bei Markus Lanz im ZDF und spricht parallel mit Sandra Maischberger in der ARD. Wunder der modernen Technik.

Karl Lauterbach ist in der Corona-Krise einer der präsentesten Politiker überhaupt. Anders als die Kanzlerin, anders als Vizekanzler Olaf Scholz oder Gesundheitsminister Jens Spahn braucht er dafür kein hohes Amt. Er wird gehört, weil er als studierter Mediziner Ahnung hat – und eine polarisierende Haltung. Lauterbach mahnt und warnt und manchmal meckert er auch.

Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik verwischen bei ihm, er ist Experte und Politiker zugleich. Bei allen Labeln, die Medien den Politikern anheften, passt das von Lauterbach deshalb ziemlich gut: Er ist der SPD-Gesundheitsexperte. Das wird manchmal zum Problem, finden einige in seiner Partei. In den Umfragen helfen seine unermüdlichen Auftritte den Sozialdemokraten derzeit nicht. Und damit ist Lauterbach auch ein Symbol für eine SPD, die sich abstrampelt, ohne zählbaren Lohn.

Mahner, Hardliner, Spielverderber

In 14 großen Talkshows zur Corona-Krise war Lauterbach seit Anfang März, das hat außer ihm niemand sonst geschafft. Erst war er bei Markus Lanz, dann bei Maischberger, bei Lanz, wieder Lanz, Maybritt Illner, Lanz, Lanz, Lanz, Hart aber fair, Lanz, Anne Will, Lanz, nochmal Lanz und Maischberger. Hinzu kommen zahlreiche Artikel über seine Talkshowauftritte, viele Interviews, ungezählte Statements, auch für t-online.de. Auf Twitter vergeht selten ein Tag ohne Lauterbach-Tweet. Manchmal macht er auf neue Studien aufmerksam, manchmal kritisiert er Politiker, manchmal macht er beides.

"Ich gehe nie in eine Talkshow oder äußere mich in einem Interview, wenn ich nicht den Eindruck habe, etwas Neues beitragen zu können", sagt Lauterbach. Und diesen Eindruck hat er derzeit oft. In einer Debatte, die sich immer stärker um Lockerungen dreht, kommt ihm die Rolle des ewigen Mahners zu, des Hardliners, auch des Spielverderbers. Oft genug stellt er sich damit quer zur Regierungspolitik seiner SPD.


Als Mitte April die ersten Beschränkungen nach vier Wochen wieder aufgehoben werden, hätte Lauterbach lieber noch länger strikte Kontaktsperren gehabt. Als Donald Trump darüber nachdenkt, dass man sich doch vielleicht Desinfektionsmittel spritzen könnte, warnt Lauterbach vor einem Bürgerkrieg in den USA. Und als Bund und Länder in Deutschland Anfang Mai weitere Lockerungen verkünden, kritisiert er den Wiederbeginn der Bundesliga als fatales Signal.

Herr Prof. Dr. Dr. Lauterbach

Karl Lauterbach, 57 Jahre alt, ist eigentlich Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach. Er ist Mediziner und Epidemiologe, ein Wissenschaftler also, der sich damit beschäftigt, wie sich Krankheiten in der Bevölkerung ausbreiten und was man dagegen tun kann. In der Corona-Krise ist das neben der Virologie eine der gefragtesten wissenschaftlichen Disziplinen. Anders als andere Politiker trägt er seine Doktortitel nicht als Schmuck. Seit Jahren ist er Gastdozent an der berühmten Harvard-Universität in Boston, mindestens zweimal im Jahr reist er für eine Woche dorthin, um Vorlesungen zu halten.

Seit 2005 sitzt Lauterbach im Bundestag, in seinem Wahlkreis Leverkusen – Köln IV wählen ihn die Menschen seitdem per Direktmandat ins Parlament. 2009 wird er zum gesundheitspolitischen Sprecher, 2013 zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden für Gesundheitspolitik. Bei der Bundestagswahl in dem Jahr ist er Teil von Peer Steinbrücks Schattenkabinett und damit potenzieller Gesundheitsminister. Doch Steinbrücks Mittelfinger und politische Ungereimtheiten lassen die Kanzlerkandidatur scheitern.

Im vergangenen Jahr will Lauterbach dann an die Spitze. Mit der Umweltpolitikerin Nina Scheer bewirbt er sich um den SPD-Vorsitz, auch da sind sie das Hardliner-Duo: sehr links, sehr klar gegen die große Koalition. Das wichtige Amt als Fraktionsvize für Gesundheit gibt Lauterbach wegen der Kandidatur ab. Als Vize konstruktiv in der Koalition mitzuarbeiten, um sie als Vorsitzkandidat hart anzugehen, das findet er nicht richtig. Doch zu wenige Genossen wollen Lauterbach und Scheer als Chefs. Mit der ersten Reihe ist es für Lauterbach damit erstmal vorbei.

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Doch dann kommt Corona. Wie schlimm es werden würde, das hat auch Lauterbach im Januar noch nicht gesehen. In Deutschland werde es, bei allem was man über das Virus wisse, bei Einzelfällen bleiben, sagt er damals. Kein Kollege habe die schnelle Verbreitung zu dem Zeitpunkt vorhergesehen, erklärt er heute. "Wir waren durch die chinesische Informationspolitik fehlgeleitet." Die Chinesen hätten anfangs verschwiegen, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch überhaupt möglich sei.

Ende Februar sieht Lauterbach klarer, so erzählt er es. Er ist eine Woche in den USA, in Boston. In Harvard hält er Vorlesungen – und tauscht sich mit anderen Wissenschaftlern über dieses neue Virus aus China aus. Sie haben gute Drähte nach Fernost, Informationen aus erster Hand. Es stellt sich heraus, dass sich das Coronavirus im menschlichen Rachen schnell vermehrt, dass ein Mensch im Durchschnitt zwei bis drei andere ansteckt, wenn alle so weiterleben wie bisher. "Da war jedem Fachkollegen klar, dass das eine weltweite Pandemie wird, die man sehr schwer stoppen kann."

Anfang März dann, Lauterbach ist gerade zurück aus den USA, stürzt er sich in Talkshows, gibt Interviews, mahnt und warnt.

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Machtlos, aber mit Einfluss

Seine Arbeit hat sich seitdem verändert. Er sei immer noch Politiker, sagt Lauterbach, aber er arbeite jetzt noch mehr wissenschaftlich, lese die neuen Studien, um kompetent zu sein. Kompetenz ist sein Kapital, heute mehr noch als früher. Die institutionellen Machtressourcen eines Politikers, die wichtigen Ämter und Posten, sie fehlen ihm derzeit. Auch wenn er betont, verbraucherschutzpolitischer Sprecher zu sein: Die Macht in der Corona-Krise haben andere.

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Lauterbach sagt trotzdem: "Ich kann mich über mangelnden Einfluss nicht beklagen." Und auch das stimmt wohl. Er braucht derzeit keine Ämter, er hat die Öffentlichkeit. Lauterbach sucht den öffentlichen Streit, um die Menschen aufzuklären, auf ihre Fragen und Bedenken einzugehen, einerseits. Aber er tut es natürlich auch, um Druck auf die Entscheidungsträger aufzubauen.

Wie groß sein Einfluss ist, das ist schwer zu sagen, wie so oft in der Politik. Er habe eigentlich zu allen Regierungsmitgliedern Kontakt, sagt er. Mindestens so wichtig dürfte es sein, die öffentliche Debatte zu prägen. Und das tut er.

Lob von Drosten, Kritik von Völler

Nicht alle sind glücklich über Lauterbachs Einfluss. Seine traditionellen Gegner aus dem rechten Spektrum würden jetzt wieder aktiver, sagt er, auch wenn er insgesamt noch nie so viele positive Rückmeldungen bekommen habe. Während ihn der Virologe Christian Drosten lobt, schimpft Fußballmanager Rudi Völler über ihn. Damit wird Lauterbach leben können.

In seiner Partei wird er für seinen Sachverstand hoch geschätzt, das betonen alle, mit denen man spricht. Man könne ihm nicht böse sein, heißt es aus dem Umfeld der Fraktion. Mit seinen Auftritten sind trotzdem nicht alle uneingeschränkt glücklich. "Manchmal ist er mir zu schwarzmalerisch", sagt die SPD-Abgeordnete Claudia Moll, die vor ihrer Arbeit im Bundestag viele Jahre in der Pflege gearbeitet hat. "Er spricht nicht mehr für die SPD-Fraktion, für mich jedenfalls nicht, ich bin oft anderer Meinung als er." Die SPD dürfe nicht verharmlosen, aber den Menschen auch nicht unnötig Angst machen.

Das sieht Bärbel Bas ähnlich. Sie ist Lauterbachs Nachfolgerin auf dem wichtigen Posten des Fraktionsvizes für Gesundheit. Sie verhandelt gerade viel stärker als Lauterbach die konkrete Politik, sitzt in den Koalitionsfrühstücken und versucht dort, die Positionen der SPD durchzusetzen, obwohl mit Jens Spahn gerade ein CDU-Politiker Gesundheitsminister ist.

"Es ist schon schwierig, wenn er öffentlich mit der SPD gleichgesetzt wird", sagt Bas. "In manchen Dingen vertritt er die SPD-Positionen." Überwiegend sei sie mit ihm einer Meinung, auch Bas hätte sich etwa gewünscht, dass die Beschränkungen noch einige Wochen länger angedauert hätten. "Aber manchmal überzieht er auch. Als er zum Beispiel gesagt hat, die Schulen dürften ein Jahr nicht mehr öffnen, da bekamen wir hier E-Mails nach dem Motto: Habt ihr sie noch alle?" Man gebe ihm in solchen Fällen schon mal einen Hinweis, heißt es aus dem Fraktionsumfeld. "Er ist jetzt aber auch keiner, der sich komplett einfangen lassen würde", sagt Bas. "Das war er noch nie und das macht ihn aus."

Eine andere Flughöhe

Lauterbach wird auch damit leben können. "Ich mache im Moment keine klassische Parteipolitik", sagt er. "Ob Masken wirken und welche am besten sind, ist ja eine sachliche und keine parteipolitische Frage." Dass er damit manchmal seinen eigenen Leuten in die Quere kommt? "Darüber denke ich gerade nicht nach."

Ebenso wenig grübelt Lauterbach darüber, warum die SPD in Umfragen nicht davon profitiert, dass sie in der Regierung die Krise mitmanagt – und dass er selbst öffentlich so präsent ist. Dabei ist es durchaus erklärungsbedürftig, dass CDU/CSU inzwischen teils 40 Prozent erreichen und die SPD bei 15 verharrt. Denn ausnahmsweise streitet sich die Union mal viel öffentlicher als die SPD, da muss man nur Markus Söder und Armin Laschet zuhören. Das liege eben am Kanzlerinnenbonus, heißt es dazu aus der SPD meist. Nur wurde auch Merkel zuletzt von den Ministerpräsidenten öffentlich ausgebootet.

Doch das Klein-Klein der Parteipolitik – es ist gerade nicht Lauterbachs Sache. Er operiert auf einer anderen Flughöhe. "Ich", sagt er, "arbeite an der Bewältigung der Krise."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräche mit Karl Lauterbach, Claudia Moll, Bärbel Bas und anderen
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