"Wie im Mittelalter" Hitzige Virus-Debatte: Opposition greift Merkel an
Die Bundesregierung muss von der Opposition heftige Kritik an ihrem Corona-Krisenmanagement einstecken. Die Prioritäten seien falsch gesetzt, alles gehe zu langsam. Nur einer stellt sich hinter die Kanzlerin.
In einer Regierungserklärung hat Bundeskanzlerin Angel Merkel sich am Donnerstagvormittag zur aktuellen Lage in der Corona-Krise geäußert. Auszüge aus ihrer Ansprache sehen Sie hier. In der Debatte nach ihrer Rede musste sie viel Kritik von der Opposition einstecken. Die wichtigsten Aussagen der hitzigen Debatte sehen Sie oben im Video oder hier.
FDP: Virusbekämpfung wie im Mittelalter
FDP-Chef Christian Lindner hat scharfe Kritik am Corona-Krisenmanagement von Bund und Ländern geübt. Das Land habe bei der Bekämpfung des Virus Fortschritte erzielt, und deshalb müsse nun darüber gesprochen werden, "wie wir Gesundheit und Freiheit besser miteinander vereinbaren können."
Weil die Zweifel an den eingeleiteten Maßnahmen "gewachsen sind, endet heute auch die große Einmütigkeit in der Frage des Krisenmanagements", sagte Lindner in der Debatte über Merkels Regierungserklärung. Lindner warf der Kanzlerin vor, den Eindruck zu vermitteln, dass nach ihrer Meinung jeder fahrlässig handele, der nicht ihre Auffassung teile. "Der Staat ist immer begründungspflichtig, wenn er Grundfreiheiten einschränkt", mahnte Lindner.
Die Corona-Pandemie werde mit Mitteln bekämpft, die seit dem Mittelalter bekannt seien, fügte Lindner mit Blick auf Abstandsregelungen und Maskentragen hinzu. Inzwischen gebe es "smartere Instrumente", wie etwa die geplante App zur Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten. Allerdings stelle sich die Frage, wo diese App bleibe, sagte der FDP-Partei- und Fraktionschef.
Lindner verwies auch auf die mehrfach geänderte Haltung der Verantwortlichen zum Tragen von einfachen Atemschutzmasken. Sie seien erst als nötig, dann als "Virenschleuder" kritisiert worden. Schließlich sei eine Empfehlung zum Maskentragen ausgesprochen worden, inzwischen gebe es eine Pflicht dafür.
Linke: Familien werden zum Verlierer in der Krise
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat der Bundesregierung vorgeworfen, die Zwischenerfolge bei der Eindämmung der Corona-Pandemie zu gefährden. In der Frage der Lockerung von Schutzauflagen gebe es ein "Kommunikations-Wirrwarr, das am Ende die Akzeptanz für die Maßnahmen massiv verringern könnte." Der Linken-Politiker beklagte einen bundesweiten "Flickenteppich" bei den Schutzmaßnahmen und den Lockerungen.
Als Beispiel nannte Bartsch die Öffnung von Geschäften und die anhaltende Schließung von Spielplätzen. Es sei "absurd, dass Kaufhäusern erlaubt wird, wieder zu öffnen, und Kindern verboten wird, sich auf die Schaukel zu setzen". Er verwies auf die schwierige Situation von Familien mit Kindern: "Kinder, Frauen und Familien drohen die Verlierer der Pandemie zu werden." An die Bundesregierung gerichtet sagte er: "Sie können nicht für junge Familien alles zusperren."
"Bisher sind wir glimpflich davongekommen", sagte der Grünen-Politiker. "Aber wir sind epidemologisch weiter in einer sehr fragilen Lage."
AfD: Einschränkungen müssen weiter gelockert werden
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland warf Merkel vor, sie habe mit ihrer Äußerung zu den "Öffnungsdiskussionsorgien" eine "Basta-Mentalität" an den Tag gelegt. Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen halte sich an die Auflagen. "Es wird also Zeit, die Beschränkungen der Grundrechte zu lockern und die Schutzmaßnahmen in die private Verantwortung der Bürger zu überführen."
Die schrittweise Lockerung der "Quarantäne-Maßnahmen" sei nicht nur wirtschaftlich geboten, sondern auch gesundheitlich. Übergewicht und Krankheiten des Kreislaufsystems seien die häufigste Todesursache in Deutschland. "Wie wird diese Bilanz aussehen, wenn sich Menschen monatelang eingesperrt fühlen?", fragte Gauland.
Grüne: Zu schnelle Lockerungen sind eine Gefahr
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warnte in der Debatte hingegen – wie zuvor auch die Kanzlerin – vor zu schnellen Lockerungen der Schutzmaßnahmen. "Wir dürfen nicht zu schnell handeln, sonst gefährden wir alles, was wir bislang erreicht haben." Wer nun auf schnelle Lockerungen dränge und damit einen Anstieg der Infektionsraten in Kauf nehme, vertrete "eine vulgäre Form der Freiheit", sagte Hofreiter.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP