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Kinderbetreuung nach Corona-Krise: Eltern könnten ihr blaues Wunder erleben


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Betreuung nach der Corona-Krise
Viele Eltern könnten bald ihr blaues Wunder erleben

MeinungEin Gastbeitrag von Antje Radloff

Aktualisiert am 31.03.2020Lesedauer: 5 Min.
Kind (Symbolbild): Die Corona-Krise bedroht auch die Kind (Symbolbild): Die Corona-Krise bedroht auch die Kinderbetreuuung in Deutschland, sagt Antje Radloff in einem Gastbeitrag für t-online.de.Vergrößern des Bildes
Trauriges Kind (Symbolbild): Die Corona-Krise bedroht auch die Kinderbetreuung in Deutschland, sagt Antje Radloff in einem Gastbeitrag für t-online.de. (Quelle: blickwinkel/imago-images-bilder)
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Das Coronavirus bringt Deutschland zum Stillstand – und lässt viele Menschen um ihre Existenz fürchten. Dazu gehören auch Tausende Tagesmütter und -väter. Was neue Probleme schafft.

Hamburg, morgens um acht. Die Tür steht offen, nach und nach wird es lauter und fröhlicher bei mir. Meine Kinder trudeln nach und nach mit ihren Müttern oder Vätern ein. Ich bin wie meine Kollegin Tagesmutter, neumodisch auch Kindertagespflegeperson genannt. Zu zweit betreuen wir als Selbstständige in einer früheren Ladenwohnung zehn Kinder zwischen ein und vier Jahren. Es ist ein Beruf, den ich mit Freude und Begeisterung ausübe. Normalerweise.

Denn unser Alltag änderte sich vor gut zwei Wochen radikal. Wie bei Millionen anderen Menschen in Deutschland geriet unsere Welt durch das Coronavirus ins Wanken.

Plötzlich vor dem Nichts

Unser Erster Bürgermeister Peter Tschentscher verkündete in einer Pressekonferenz, dass sämtliche Schulen, Kitas und Kindertagespflegestellen den Regelbetrieb einstellen würden. Und nur noch für Eltern der Daseinsvorsorge und wenige andere Ausnahmen öffnen würden. Wie meine Kollegin dachte ich nur daran, was das für unsere Eltern bedeutet. Von einem Tag auf den anderen mussten sie ihren gesamten Alltag neu organisieren. Wie sollten sie das schaffen?

Antje Radloff, Jahrgang 1969, ist seit 1999 Tagesmutter, oder amtssprachlich: Tagespflegeperson. Bis heute hat sie zahlreiche Kinder betreut. Von 2012 bis 2016 war sie ehrenamtlich im Verein Hamburger Tagesmütter und -väter e. V. engagiert.

Uns Tagesmüttern in Hamburg wurde hingegen eine schöne freie Zeit gewünscht, bezahlt und unbesorgt. Doch bezahlt und unbesorgt, ist das so? In den ersten Aussagen der Behörden hieß es, wir würden weiterhin Geld erhalten. Doch keiner, auch die Behörden nicht, konnte damals erahnen, welches Ausmaß die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus noch nehmen sollten. Die Welle nahm und nimmt noch immer ihren Anlauf.

Wir Tagesmütter und Tagesväter können und dürfen gerade nur minimal oder gar nicht arbeiten. Viele haben bundesweit geschlossen. So stehe nicht nur ich vor der Frage: Wie geht es weiter? Auch für Eltern, die hoffentlich bald wieder auf eine Betreuung ihrer Kinder angewiesen seien werden, geht es gerade um viel: Mehr als 40.000 Tagespflegepersonen betreuen über 150.000 Kinder in Deutschland. Finanzierungsgarantien? Für viele noch nicht existent.

Ich kann und darf meinen Familien nicht helfen

Hinter mir persönlich liegt eine Zeit der Angst. Mitte letzter Woche wurde seitens der Hamburger Behörden verlautbart, wir erhielten im April noch für zwölf Tage Geld. Zwölf Tage Geld – dann das Nichts? Letzten Freitag wurden unsere Stoßgebete dann erhört und wir erhielten die Zusage, dass der April komplett vergütet wird. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an die Hamburger Behörden, die dafür im Eilverfahren Gesetze geändert haben. Nordrhein-Westfalen hatte als einziges Bundesland bereits vorletzte Woche eine komplette Weiterfinanzierung der Kitas und Kindertagespflege zugesagt. Andere Bundesländer tun sich aber damit schwer.

Und so hängen viele von uns in der Schwebe. Ein Gefühl der Ohnmacht überkommt nicht nur mich in diesen Tagen. Zwangsweise ohne Arbeit, ohne die Kinder, die ich betreue. Was andere vielleicht als bezahlten Urlaub abtun, ist für mich eine Zeit der Hilflosigkeit. Nicht gebraucht zu werden, keine Vergütungsgarantie für die Zeit nach April. Es fühlt sich wie ein großes Loch an.

Es ist erst einige Tage her, dass ich nach Notbetreuungsmodellen gesucht habe. Händeringend wollte ich meinen Familien helfen. Doch auch dieses ist mir rein rechtlich nicht mehr möglich. Meine Eltern arbeiten nicht in systemrelevanten Bereichen oder maximal ein Elternteil. Mir fehlt der Alltag mit meinen Kleinen. Das Lachen, das Gebrauchtwerden und ja, auch der Lärmpegel. Wir sind ein Teil der Daseinsvorsorge und doch werde ich kaum gebraucht. Der prozentuale Anteil der Kinder in Notbetreuung ist in Hamburg sehr gering – was wiederum auch sehr gut ist.

Wir Tagespflegepersonen waren schon immer Einzelkämpfer, was sich gerade jetzt in der Krise als eklatanter Nachteil erweist.

Voller Einsatz, viel Unsicherheit

Durch unsere schmalen Finanzierungen seitens der Kommunen bleibt kaum ein Spielraum für Rücklagen. Großtagespflegestellen, wie ich sie mit meiner Kollegin betreibe, haben fixe Kosten. Für einen 40-Stunden-Krippenplatz bekomme ich in Hamburg 614,32 Euro. Ein Mietkostenzuschuss ist hier schon inbegriffen. Davon ab gehen meine anteilige Miete für den Laden, Strom, Wasser, Heizung sowie alle Versicherungen und die Steuer. Weggefallen sind jetzt nur die Ausgaben für das tägliche Leben mit meinen Kindern.

Beschäftigungsmaterial und Essen werden derzeit von mir nicht benötigt. Es muss aber keiner ein Rechengenie sein, um schnell zu merken: Die Bildung von Rücklagen für schlechte Zeiten ist damit nicht einfach.

Eine derartige Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, kann keine Tagesmutter oder kein Tagesvater komplett überbrücken. Auch ich nicht. Für meine Familie geht es um die nackte Existenz, mein Einkommen ist Hauptbestandteil unseres Familieneinkommens! Hätte Hamburg jetzt nicht so schnell gehandelt, wäre es für uns schwierig geworden. Fast überall in Deutschland müssen Kolleginnen und Kollegen hingegen noch zittern – und wissen nicht, wie es weiter geht.

In den letzten Tagen zeigte sich immer wieder: Die Kitas stehen sehr oft an erster Stelle. Völlig gleich, ob es um Finanzen ging oder um den reinen Informationsfluss. Die Kita bei uns um die Ecke war immer früher und besser informiert. Ohne die Kollegin dort würde ich überhaupt nur die Hälfte an Wissensstand haben. Wir sind es leid, immer diejenigen zu sein, die man vertröstet, hintenanstellt, mit weniger Geld abspeist.

Warum aber werden die Kitas oft besser behandelt und gestellt als wir? Sie schaffen einfach eine große Masse mehr an Betreuungsplätzen.

Kindern einen sicheren Hafen bieten

Würden sich Politiker aber intensiver mit unserer Arbeit auseinandersetzen, würden sie merken, dass wir viel von dem bieten, was für Kitas schon lange gefordert wird: kleine Gruppen und eine enge Bindung. Unterhält man sich mit Experten, wird man schnell Bestätigung finden. Ich verweise dabei immer gerne auf Professor Gabriel Schoyerer von der Katholischen Stiftungshochschule München. Ihm zuzuhören ist ein wahrer Genuss und die Bestätigung meiner Arbeit.

Ich arbeite eng und Hand in Hand mit meinen Familien. Kindertagespflege ist viel mehr als reine Betreuung. Wir sind füreinander da. Gerade jetzt in diesen Tagen hat sich das immer wieder gezeigt. Meine Familien und ich halten zusammen. Sie wissen genau: Ihre Kinder haben bei mir einen zweiten sicheren Hafen. Die Bindung zu meinen Tageskindern ist eng, emotional und intensiv. Meine Minis geben sich bei mir nahezu identisch wie zu Hause. Sie diskutieren mit mir, sie suchen meine Nähe, die eine – oder der andere – schläft oft auf meinem Bauch ein. Und natürlich sind sie auch mal wütend.

Ich gebe ihnen Ruhe und Beständigkeit. Ein Faktor, der in unserer schnelllebigen Zeit keine Selbstverständlichkeit ist. In meiner kleinen Gruppe wird jedes Kind so gesehen und wahrgenommen, wie es ist und erhält genau die Unterstützung, die es braucht. Ich lebe mit meinen Tageskindern den Familienalltag, den sie durch die Berufstätigkeit ihrer Eltern zeitweise daheim nicht haben. Den Eltern gebe ich das gute Gefühl, arbeiten gehen zu können, während ihre Kinder gut betreut sind. Sie alle haben sich bewusst für meine kleine Gruppe entschieden.

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Mehr als 150.000 Kinder würden ohne Betreuung in Deutschland sein, wenn die Kindertagespflege nun finanziell im Stich gelassen wird. Zigtausend Elternteile können nach der Corona-Krise nicht wieder arbeiten gehen, wenn wir schließen müssen. Kindertagespflege ist existenziell für die Kinderbetreuungslandschaft in Deutschland. Wir brauchen jetzt finanzielle Sicherheiten und Zusicherungen!

Am Freitag wurde das Sozialschutzpaket vom Bundesrat beschlossen. Wir alle hoffen, dass auch wir davon profitieren. Die Vergangenheit hat uns gezeigt: Selbstverständlich ist das nicht! Bundesprogramme wurden oft nur an Kitas ausgezahlt. Wäre dem jetzt wieder so, wird es für viele den Ruin bedeuten.

Die in Gastbeiträgen geäußerte Meinung ist die der Autoren und entspricht nicht unbedingt derjenigen der t-online.de-Redaktion.

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