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"Anne Will" zur Corona-Krise: "Das Virus verhält sich wie ein Uhrwerk"


"Anne Will" zur Corona-Krise
"Das Virus verhält sich wie ein Uhrwerk"

16.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Corona-Talk bei "Anne Will": Wie drastisch müssen die Maßnahmen sein, um das Virus zu stoppen?Vergrößern des Bildes
Corona-Talk bei "Anne Will": Wie drastisch müssen die Maßnahmen sein, um das Virus zu stoppen? (Quelle: Screenshot/ARD)

In einer Zeit, in der ein Virus die Welt fest im Griff hat und sich gefühlt pro Minute neue Entwicklungen ergeben, konnte Anne Will mit ihrer Runde nur eines tun: die Situation in einer Momentaufnahme beschreiben.

Die Gäste

  • Claudia Spies, Ärztliche Leiterin des Charité-Centrums für Anästhesiologie und Intensivmedizin
  • Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bayern
  • Cerstin Gammelin, Stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der "Süddeutschen Zeitung"
  • Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Bundesfinanzminister
  • Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
  • Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Positionen

Will fragte zu Beginn der Sendung, wie drastisch die Maßnahmen werden müssten, um die Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu stoppen. Die Teilnehmer waren sich einig: Dafür muss alles getan werden. Also auch bestimmte Grenzen – zum Beispiel die nach Frankreich oder zur Schweiz – zu schließen. Scholz betonte, man habe das auf Regierungsebene "sorgfältig diskutiert", etwa mit den Ministerpräsidenten. Wie man "jedes Mittel" sorgfältig erörtere. "Manche klagen ja über den Föderalismus“, sagte der Sozialdemokrat. Er finde ihn "sehr gut". Verschlossener war der Vizekanzler bei seinen Antworten auf die Hinweise, die Regierung habe zu langsam reagiert, agiere zu intransparent. Auch auf die Frage, ob nun jegliches öffentliche Leben – abgesehen von Lebensmittelläden, Apotheken und Banken – unterbunden werde, ließ er sich nichts Klares entlocken.

Der Aufreger des Abends

Deutlicher wurde Kekulé: "Wir haben bis jetzt wahnsinnig viel Zeit verschlafen." Bei Bekanntwerden der ersten Fälle in China hätte Europa tätig werden müssen. Spätestens die Rückreisewellen nach den Winterferien hätten ihr Übriges getan. "Ein Kind in Bayern in der Schule hat in acht Wochen 3.000 Menschen infiziert", rechnete der Virologe vor. Das Virus verbreite sich in einer exponentiellen Kurve. Ein halbes Prozent der 3.000 stürbe. Das sind 15 Menschen. "Das Virus verhält sich wie ein Uhrwerk", so Kekulé. Das sei mathematisch berechenbar. So wären Einreisekontrollen und Kontrollen im Land angezeigt gewesen. Nun sei es "eine Minute vor 12" und "die letzte Verteidigungslinie der Mensch selbst". Daher sei es richtig, Grenzen zu schließen. Ein "Shutdown" über zwei, drei Wochen könne die Zahl der Infektionen drastisch verringern.

Laschet reagierte auf den Vorwurf des zu langsamen Katastrophen-Managements säuerlich. Letzte Woche hätten Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) zum Beispiel wegen der weiteren Folgen noch von Schulschließungen abgeraten. Etwa wenn Kinder von Großeltern betreut würden, die in eine Risikogruppe fallen. Die Lage sei dann schnell neu bewertet und Schulschließungen ohne Verzug für Montag angeordnet worden. Ähnlich sei es mit Veranstaltungsverboten, die viele Veranstalter von sich aus auch für kleinere Personengruppen umsetzen würden. "Wenn die Menschen die Idee dahinter verstehen (…), dann sind sie auch bereit mitzugehen", so der Ministerpräsident zur Solidarität der Menschen. Pauschale Grenzschließungen für NRW sehe er kritisch, weil der Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt gesichert werden müsse und es zum Beispiel ein gemeinsames Gesundheitsmanagement mit den Niederlanden gebe.

Gammelin pflichtete dem bei und forderte Kekulé heraus: Wenn die Ausbreitung so rasant sei, warum befürworte er dann nicht Ausgangssperren, fragte die Journalistin. "Alle einzusperren": Dafür gebe es keine medizinische Indikation. Das sei im Gegenteil "psychologisch schwer auszuhalten" für die Betroffenen, lautete Kekulés Antwort. Spies pflichtete ihm bei. Im Augenblick habe man sehr gute Maßnahmen in petto – mit der Empfehlung zu zwei Metern Abstand, sozialer Distanz und Hygiene.

Die Zahlen des Abends

Für Spies war klar: Die Bedrohung – die in Italien Realität geworden ist – ist, dass zu viele Menschen in zu kurzer Zeit krank werden. Darauf ist man laut Zahlen in Deutschland aktuell nicht vorbereitet. 500.000 Krankenhausbetten gibt es, 28.000 davon sind Intensivbetten. Von diesen haben 25.000 Beatmungsgeräte. Im Schnitt sind 80 Prozent der Geräte im Normalbetrieb belegt, 5 Prozent der Covid-19-Patienten brauchen eine Beatmungstherapie. 17.000 Pflegekräfte fehlen.

Spies betonte, hier müssten Kapazitäten geschaffen werden. Was denn mit den 10.000 Beatmungsgeräten sei, die der Bund bestellt habe, fragt Will Scholz. Diese produziere der deutsche Marktführer in Sonderschichten. Lieferzeitraum? 2020. Auch die 100.000 Atemmasken für das Klinikpersonal in NRW seien in Lieferung, ergänzte Laschet. Scholz betonte, er habe "ununterbrochen" Mittel in Höhe von über einer Milliarde Euro bereitgestellt. Auch wirtschaftlich schädigt SARS-CoV-2 enorm. Das Ifo-Institut errechnete, dass 56 Prozent der deutschen Unternehmen Schaden nähmen. Inselkammer warf vehement ein, dass allein in der Tourismus- und Gastronomiebranche 2,5 Millionen Jobs auf dem Spiel stünden. Sie forderte eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für diese Branchen auf 7 Prozent. Das ließ Scholz mal so stehen. Ausweitung der Kurzarbeit, Stundung von Steuern und Kredite in unbegrenzter Höhe seien erste Schritte. Gammelin warf ein, dass etwa Solounternehmer diese Kredite wohl nie zurückzahlen könnten. Daran arbeite man, so Scholz. Etwa in einer Förderung aus einem Fonds, um Dauerbelastungen stemmen zu können. Laschet appellierte da auch an die Moral der Unternehmer im Umgang mit Beschäftigten.

Der Faktencheck

Doch auf welcher rechtlichen Grundlage kann zum Beispiel der Staat Quarantäne anordnen? Das regelt bundesweit das Infektionsschutzgesetz von 2001. Demnach können unter besonderen Umständen Grundrechte von einzelnen Personen eingeschränkt werden. Hierzu gehört die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das Infektionsschutzgesetz ist eine sogenannte Grundrechtsschranke. Nach dem Föderalismusprinzip sind für die Durchsetzung Landesbehörden und Gesundheitsämter zuständig. Bei komplexen Sachverhalten können mehrere Landesbehörden zusammenarbeiten und die Abläufe zwischen RKI, Bund und Kommunen steuern.

Maßnahmen können Ansammlungsverbote, Kontrollmaßnahmen auf Grundstücken und in Verkehrsmitteln, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Blutentnahmen, Berufsverbote für Krankheitsverdächtige und auch Quarantäne sein. Zum Glück gibt es hier aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss erforderlich, das Mittel geeignet und das Ganze verhältnismäßig im engeren Sinne sein.

Verwendete Quellen
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