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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TV-Kritik "Anne Will" Habeck: "Was die CDU jetzt macht, ist einfach nur bockig"

Terroranschlag in Hanau, Wahl-Eklat in Thüringen, immer mehr Anfeindungen gegen vermeintlich Fremdes: Mit Blick auf die Hamburg-Wahl stellte Anne Will die Frage: Wie fest steht die Mitte?
Die Gäste
- Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin
- Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke), Fraktionsvorsitzende in Thüringen
- Norbert Röttgen (CDU), Kandidat für den Parteivorsitz
- Robert Habeck (B‘90/Die Grünen), Parteivorsitzender
- Yassin Musharbash, Investigativ-Journalist der "Zeit"
Die Positionen
Anne Will definierte wohl für sich die CDU als die Partei, die mit der Mitte aktuell die größten Probleme hat. Sie fragte daher Röttgen gleich zu Beginn der Sendung, warum dessen Union die Mitte abhandengekommen sei. Diese müsse "geistig neu definiert" und "neu gewonnen" werden – so sein Credo. Dabei gab er sich nicht unbescheiden: "Die CDU muss den Anspruch haben, die große Partei der Mitte zu sein." Mit christlich demokratischen Angeboten gegen die Abschottung. Damit sei Annegret Kramp-Karrenbauer ja auch angetreten, so Wills Konter. Röttgen nahm da flugs alle Parteien mit ins Boot. Diese müssten wohl attraktiver werden: für einen positiven Wettbewerb und Programme, die die Menschen nicht im Stich ließen.
Mit Blick auf die Wahlprognose für Hamburg habe das für die SPD ja geklappt, ging Will zu Giffey über. Ein Erfolg, der allerdings ohne Bezug auf die Bundes-SPD und deren Linkskurs im Wahlkampf zustande gekommen sei. Die Familienministerin lächelte das weg, sprach vom halb vollen statt halb leeren Glas und betonte, man wolle nun auch auf Bundesebene einen Ausgleich der Interessen schaffen: mit Grundrente, sozialem Wohnungsbau und pragmatischer Wirtschaftspolitik. Aber was heißt das für die Mitte? Musharbash brachte es auf den Punkt: "Hamburg ist Hamburg", ein Signal, dass es Städte gibt, wo die Mitte noch steht. Das sei aber nicht der Anfang einer Trendwende. Das beweise der Blick nach Thüringen, einem Bundesland "am Rande des Failed-State".
Der Aufreger des Abends
Leise hörbar schob Musharbash noch ein "T‘schuldigung" in Richtung Hennig-Wellsow nach. Diese sah in der Prognose zum hanseatischen Wahlergebnis eine Klatsche vor allem für die Union. "Nicht die CDU bestimmt, wer die Mitte ist. Die Mitte sucht sich die Parteien selbst", so die Linke-Politikerin. In Thüringen habe man demokratisch einen Kompromiss gefunden. Diesen torpediere die Bundes-CDU nun mit dem strikten Verweis auf den eigenen Parteitagsbeschluss, man kooperiere nicht mit der Linken und nicht mit der AfD. "Ein verhängnisvoller Fehler?", fragte Will Röttgen. Ein Fehler wäre es, diese Abgrenzung nicht zu ziehen, so dessen Antwort.
Hennig-Wellsow konnte da nur von "Absurdistan" sprechen. Der jetzige Schulterschluss in Erfurt, sei für alle Beteiligten nicht einfach gewesen. Schnelle Neuwahlen – die alle wollten, inklusive der Bundes-CDU – habe nach dem Wahleklat nur die Thüringer Union verhindert. Nun stehe ein Stabilitätsabkommen mit Kabinett und Haushalt bis zu den Neuwahlen, den nun die Bundes-CDU ad absurdum führen wolle.
Neben seiner Rechnung, man müsse als Opposition niemanden unterstützen – also Bodo Ramelow als Interims-Ministerpräsidenten, der die Wahl nicht gewonnen habe – macht Röttgen zudem das grundsätzliche Fass auf. Die Union lehne die Linke ab, weil sie gegen die soziale Marktwirtschaft sei. Zudem trete sie Menschenrechte mit Füßen, indem sie die Politik von Wladimir Putin unterstütze, der in Syrien Kinder bombardieren lässt. Wenn man "Ramelow links" wähle, könne man die Mitte nicht integrieren, so Röttgen.
Hennig-Wellsows Konter war hart: "Sie bekämpfen den alten Kommunismus und sehen die neuen Nazis nicht." Habeck drückte es milder aus, hieb aber in die gleiche Kerbe. Röttgen argumentiere aus einer "statischen Mitte" heraus, ohne Dynamiken zu sehen. Mitte bedeute Pragmatismus. Was die Union aktuell tue, sei "einfach nur bockig".
Das Zitat des Abends
Die aufkommende Diskussion über die – für Röttgen offensichtlich fehlende – Abgrenzung der Linkspartei und der SPD gegenüber dem Linksextremismus führte den Unionsmann in eine Zwickmühle. Will zog bei ihm die Schrauben an: "Haben sie nach Hanau nicht darüber nachgedacht, dass es falsch ist, Höcke und Ramelow gleichzusetzen?" Die Gründe für die Ablehnung beider seien völlig verschieden, so Röttgen. Musharbash köpfte Wills Flanke ins Tor: Es ginge um das Prioritätensetzen warf er dem Unionisten vor. "Wenn bei Ihnen zu Hause der Dachstuhl brennt, dann ist es vielleicht nicht der richtige Moment zu gucken, ob ich noch Schimmelflecken hinter der Waschmaschine habe." Und selbst von Röttgens Unionsfreund, Innenminister Horst Seehofer gab es – wenn auch nur über einen Einspieler – kontra: "Der hatte in einer Pressekonferenz betont, er akzeptiere nicht, wenn man sagt, wir haben auch einen Linksextremismus." Dafür sei die aktuelle Bedrohungslage durch Rechtsextreme zu akut.
Der Faktencheck
Doch was für eine Aufgabe haben die, die sich selbst in der Mitte verorten und um deren demokratische Werte in der aktuellen Zeitgeschichte es geht? Seehofer spricht von einer hohen Gefährdungslage, einer höheren Gewaltbereitschaft der Extremisten. Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz sollen enger zusammenarbeiten, es sollen mehr Stellen geschaffen werden, die Bundesregierung hat das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität auf den Weg gebracht. Dort wo der Staat mit Prävention agiert, braucht es die Zivilgesellschaft. Daher fordert unter anderem der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, eine höhere Unterstützung und Übertragung von Verantwortung an zivilgesellschaftliche Projekte. Es ist Aufgabe aller, die Demokratie zu stärken, in der sie leben wollen.
Der Fokus liegt hier für Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung vor allem auf Prävention in sozialen Netzwerken, die zu Deradikalisierung führen soll. Das sei aber ein Bereich, in dem aufgeholt werden müsse. Zumal Umverteilungen von Bundesmitteln die Finanzierung hin zur Ausschüttung an Kommunen und nicht mehr direkt an Initiativen verschoben habe. Das habe vielen Initiativen das Wasser abgegraben. Und gerade jetzt, müsste es einen zivilgesellschaftlichen Diskurs geben, dessen Projekte sich – wenigstens rechtlich abgesichert – für eine gewisse Zeit auf Finanzierung verlassen können, so Reinfrank.
- Initiative Kulturelle Integration: "Die Zivilgesellschaft muss sichtbar bleiben"
- Focus: Kampf gegen Rechtsextremismus: Der fatale blinde Fleck der deutschen Behörden
- Eigene Beobachtungen