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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Kämpfer in der Ukraine Gefahr durch Kriegsrückkehrer – Bundesregierung gibt sich ahnungslos
Laut Analysten sind weit über 100 Deutsche ins Kriegsgebiet Ostukraine gereist, um für prorussische Milizen zu kämpfen. Die Bundesregierung will davon keine Kenntnis haben.
In Deutschland sind bislang zwölf Strafverfahren gegen Deutsche geführt worden, die an Kämpfen in der Ostukraine teilgenommen haben. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervor, die t-online.de vorliegt. Mindestens zwei ehemalige Kämpfer seien derzeit wieder in Deutschland, zwei weitere seien Hinweisen zufolge auf Seiten der Separatisten im Jahr 2015 getötet worden.
Analysten gehen von steigender Terrorgefahr aus
Darüber hinaus hat die Bundesregierung laut eigenen Angaben allerdings keine Kenntnisse über deutsche Staatsbürger, die sich derzeit im Kriegsgebiet aufhalten – obwohl Analysten von rund 165 deutschen Kriegstouristen seit dem Jahr 2014 und einer durch sie steigenden Terrorgefahr ausgehen. Das Kriegsgebiet diene Rechtsextremisten aus aller Welt demnach als Netzwerkknotenpunkt und Trainingsfeld für den ideologischen Kampf in ihren Heimatländern.
Die Bundesregierung bewertet die Lage anders: Es gebe keine "Hinweise oder Erkenntnisse (...), aus denen sich eine konkrete Gefährdung durch 'Rückkehrer' (...) ergibt oder ergeben hätte", heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Demnach seien die "Handlungen des Personenspektrums nicht direkt gegen die Bundesrepublik oder die deutsche Gesellschaft gerichtet". Fazit: keine Anhaltspunkte für Gefahr.
Zwei Verurteilungen, Ermittlungen wegen Anschlags
Das ist zumindest bemerkenswert: Zwei Rückkehrer sind in Deutschland nach ihrer Rückkehr bereits wegen "schwerer staatsgefährdender Straftaten" in den Separatistengebieten verurteilt worden. Alex D. hantierte mit Präzisionswaffen, und auch Sergej K. nahm dort an Kämpfen teil. Darüber hinaus wird aufgrund eines Anschlags in der Ukraine gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier wegen Anstiftung zur schweren Brandstiftung ermittelt. Manuel Ochsenreiter war zuvor mehrfach mit Abgeordneten in die prorussischen Gebiete gereist. t-online.de hatte zuerst über die Vorwürfe berichtet.
Erst kürzlich war eine Analyse des renommierten Soufan Centers zu dem Schluss gekommen, dass die Ukraine für Rechtsextreme und Rassisten einen wichtigen Bezugspunkt darstellt: Das Bürgerkriegsgebiet ziehe Rekruten aus aller Welt an, die auf beiden Seiten kämpften. Auch diejenigen unter ihnen, die nicht aus ideologischen Gründen ins Kriegsgebiet reisten, könnten demnach dort radikalisiert werden – und als Rückkehrer in ihre Heimatländer eine erhöhte terroristische Gefahr darstellen.
Alt (FDP): "Großer Anlass zur Sorge"
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt sieht deswegen in der Antwort der Bundesregierung "großen Anlass zur Sorge". Aufklärung und Verfolgung möglicher Straftaten sollten ihr zufolge oberste Priorität haben. "Ich finde es sehr befremdlich, dass die Bundesregierung keine Strategie verfolgt, um mit Rückkehrern aus dem Kriegsgebiet umzugehen", sagte Alt t-online.de.
Der Studie des Soufan Instituts zufolge nimmt der Konflikt eine ähnliche Stellung für den Rechtsextremismus ein wie Afghanistan oder Syrien für den Islamismus. Die Ostukraine sei eine Art "Schlachtfeld-Labor", in denen Taktiken und Techniken ausgetauscht und transnationale Netzwerke geknüpft werden. Das betreffe Rechtsextremisten aufseiten der prorussischen Separatisten – als auch Rechtsextremisten aufseiten der ukrainischen Regierung.
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Bereits Anfang 2016 waren laut Informationen von t-online.de Vertreter von ukrainischen Neonazi-Bataillonen nach Deutschland gefahren, um unter Mitgliedern der Partei "Die Rechte" für den Kampf zu werben. Das aus den Kämpfen hervorgegangene Netzwerk europäischer Aktivisten diene dazu, "in Bedrohungssituationen einander beizustehen". Im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz finden sich diese Bezüge allerdings nicht.
- eigene Recherchen
- Bundestagsdrucksache 19/15269
- Soufan Center: "White Supremacy Extremism" (engl.)