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Die AfD ist in Thüringen nicht stärkste Kraft geworden. Alle Demokraten atmen auf. Warum eigentlich?
In Thüringen ist es gerade ähnlich wie in Sachsen und Brandenburg, zumindest in einer Hinsicht: Die AfD ist bei der Landtagswahl in diesem Herbst nur an zweiter Stelle gelandet. Politiker anderer Parteien in Erfurt und Berlin haben aufgeatmet. Nur warum? Weil nur knapp ein Viertel der Wahlberechtigten ihre Stimme einer in Teilen rassistischen Partei gibt? Das kann nicht sein. Wahl um Wahl sehen wir, wie ein Teil der Wähler zur AfD abwandert. Wahl um Wahl reagieren die Politiker ratloser.
Zunächst einmal muss man festhalten: Drei Viertel der Wähler in Thüringen haben sich für eine demokratische Partei entschieden. Wer nur über die AfD spricht, ignoriert das, und das wäre nicht fair. Es existiert selbstverständlich ein demokratisches Verständnis in Ostdeutschland.
Aber es dürfte im Interesse dieser demokratisch wählenden Bürgerinnen und Bürger sein, über Rezepte zu sprechen, wie man die Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückholt – zumindest teilweise. Immerhin hat die AfD 73.000 Stimmen von anderen Parteien weggezogen. Die AfD wird hier von einem geführt, den man laut Gerichtsbeschluss als Faschisten bezeichnen darf.
Regierung will gegensteuern
Wie reagieren die Parteien? Mit Entsetzen. Mit Enttäuschung. Mit der Einsicht, man habe die Menschen nicht erreicht, wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte. Das Abschneiden der AfD sei "ein Alarmzeichen", twitterte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.
Diese Reaktionen machen müde. Wie oft haben wir in den vergangenen fünf Jahren, seit die AfD ernsthaft auf den Plan getreten ist, ähnliche Sätze gehört? Rheinland-Pfalz 12,6 Prozent (2016), Baden-Württemberg 15,1 Prozent (2016). Schon da war der Schock groß. Seitdem hat sich die AfD weiter radikalisiert, nachdem Bernd Lucke und Frauke Petry nacheinander ihre Machtspiele verloren hatten.
In der Mitte der Gesellschaft herrscht Einigkeit darüber, dass die hasserfüllte Sprache der AfD den Nährboden für Anschläge wie in Halle oder Morde wie an Walter Lübcke in Kassel bereitet. Die Bundesregierung will jetzt gegensteuern und knöpft sich vor allem die sozialen Netzwerke vor, die strafbare Inhalte künftig selbst den Behörden melden müssen. Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt sollen besser ausgestattet werden, um Rechtsextremisten intensiver beobachten zu können. Wer Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Organisation ist, soll keinen Waffenschein mehr bekommen. (Stephan B., der Attentäter von Halle, war übrigens zuvor unauffällig und hat sich seine Waffen zum Teil selbst gebaut.) Demokratie-Projekte sollen stärker gefördert werden.
Das ist wahrscheinlich alles richtig, aber es ist ein Klein-Klein, das außer Acht lässt, wie viele sich vom demokratischen Diskurs entfernen – ein Viertel der Wähler in den ostdeutschen Bundesländern. Was ist mit Menschen, die wir hier Frau Meier und Herrn Schmidt aus Ostsachsen nennen wollen? Die ärgern sich über das Gezanke in der SPD, zürnen Angela Merkel immer noch wegen der geöffneten Grenzen von 2015, haben Angst und Vorbehalte gegenüber Ausländern und können die Grünen nicht leiden, weil sie meinen, dass die ihnen den Diesel wegnehmen wollen.
Frau Meier und Herr Schmidt kehren nicht zu den Parteien der Mitte zurück, weil polizeibekannten Nazis keine Waffen mehr ausgehändigt werden oder weil ein Projekt für Demokratieförderung sich in der Innenstadt von Bautzen einen Stand auf dem Stadtfest oder die Inszenierung eines Theaterstücks leisten kann.
Vielleicht gewinnt man Herrn Schmidt sowieso nicht zurück, weil er ein überzeugter Rassist ist. Und vielleicht muss man das so hinnehmen, so wie man früher auch akzeptiert hat, dass manche Menschen bei der NPD ihr Kreuzchen machen.
Aber vielleicht gewinnt man Frau Meier zurück, indem man ihr bessere Angebote macht. Ein Stück weit kann man die Ratlosigkeit des politischen Betriebs nachvollziehen. Trotzdem gibt es Ideen, die man in praktisches Handeln umsetzen könnte. Mehr Arbeit vor Ort, mehr Präsenz der Politiker auch außerhalb des Wahlkampfes, weniger Bürokratie, sichtbare Erleichterungen im Alltag.
Auf einer abstrakten Ebene wissen Politiker all das. Aber dann scheitert es doch an Zuständigkeiten, an Planfeststellungsverfahren und häufig einfach am Willen. Das ist in einem wohlhabenden Land wie Deutschland, in dem Infrastruktur grundsätzlich funktioniert und es für alles überall Ansprechpartner und Institutionen gibt, nicht mehr hinnehmbar.
Ignorieren geht nicht
Manche Forscher sagen, die AfD hat ihren Zenit erreicht. Mehr als rund 25 Prozent der Stimmen werde sie in naher Zukunft nicht erreichen. 70 Prozent der Bürger sagten, die Partei sei für sie unwählbar. Das könnte uns Hoffnung machen. Aber es verstellt den Blick darauf, dass dieses eine Viertel der Menschen dieses Land, wie es ist, ablehnt und faschistische Einstellungen mindestens toleriert. Das kann uns nicht egal sein.
Es sind zu viele Menschen, als dass die Mitte-Parteien sie ignorieren oder mit Minimalaktionen ruhigstellen könnten.
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Dazu kommt: Sie geben ihre Einstellungen weiter an ihre Kinder. So wie sich traumatische biografische Ereignisse der Eltern in die Psyche der Kinder einfräsen, die gar nicht selbst dabei gewesen sind, werden rassistische Einstellungen, Abstiegsängste und Demokratiefeindlichkeit an die nächste Generation durchgereicht. Da wird ein Fundament gelegt, gegen das die Schule später kaum anarbeiten kann. Wir sollten uns beeilen.